Zarter Schneeglöckchenduft und bestialischer Lederhosenschweiß

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Illustration:
Blagovesta Bakardjieva
DATUM Ausgabe Juni 2018

09:08. ›Ist der Wiener Prater gefährlicher als wir denken?‹ Guten Morgen mit den Headlines von Addendum, die immer klingen, als würde Didi Mateschitz nach 13 Wodka-Red Bull in seinem Hubschrauber cholerisch Story-Ideen in sein Handy schreien.

11:35. Meine Augen tränen vor Rührung wegen der neuen Heimatliebe-Kampagne von Michael Ludwig. Vorbildliche Imaginationsarbeit für unsere Nation! Ich fühle mich abgeholt, wie ein zartes Schnitzelfleisch beim österreichischen Metzger.

13:00. Mittagspause. Ich entscheide mich beim Billa bewusst nicht für das simple ›Roggenbrot‹, sondern für das ›Österreichische Roggenbrot aus hochwertigen österreichischen Zutaten aus unserer Heimat Österreich, scheiß Ausländer, Heil Kurz, mein Kanzler, immer wieder Österreich, die schöne Landschaft mit Alpen‹.

15:05. Luft aus Hallstatt soll jetzt nach China exportiert werden, schreibt derstandard.at. Eine Dose ›Hallstatt Breeze‹ kostet 19 Euro. Die Luft wird mit typisch österreichischen Aromen angereichert (zarter Schneeglöckchenduft, uriger Heugeruch, bestialischer Lederhosenschweiß von Andreas Gabalier). Der Hersteller verspricht durch das Inhalieren ›eine Verbesserung des psychischen Zustands‹. Ich bestelle eine Dose. Zum ersten Mal in meinem Leben kann ich mich zu 100 Prozent mit einem Produkt identifizieren: komplett nutzlos und innerlich völlig leer.

17.23. Die Krone berichtet von 38.000 verletzten Polizisten im Dienst. Laut dem Medien-Watchblog Kobuk.at gibt es in Österreich aber nur 30.000 Polizisten insgesamt. Die Krone hat einfach alle verletzten Cops seit dem Jahr 2000 addiert und kommt somit auf 38.000. Jeder einzelne Fall verdient unser Mitleid. Zwei bewegende Beispiele: Ein Polizist hat einen 14-jährigen Einbrecher im Supermarkt erschossen und sich dabei die Leiste gezerrt. Und einer von der WEGA hat sich beim Afrikaner-Foltern in der Lagerhalle wegen der Klimaanlage eine Verkühlung eingefangen.

18:00. ›Im Zentrum‹ nachschauen. Thema: Mauthausen-Gedenkfeier und warum die FPÖ nicht mitfeiern darf. ­Versöhnliche Lösung: Die FPÖ darf 2019 Mauthausen originalgetreu nachbauen und dort gedenken, inklusive Aftershow­party mit Kollegah-Gig in einer Gas­kammer.

21:18. Ich schaue apathisch Puls 4 und Harry Prünster erzählt einen Witz. ›Herr Doktor, Herr Doktor, meine Frau bildet sich ein, dass sie ein Auto ist. Was soll ich machen? Arzt: Wie alt ist Ihre Frau? 62! Arzt: Verschrotten‹. Fünfzig Männer im Publikum, alle schauen aus wie Harry Prünster, alle lachen und klatschen sich minutenlang in völlige Ekstase. Mehrere der Harry Prünsters müssen von Zivil­dienern in die stabile Seitenlage gebracht werden.

22:50. Immer, wenn man auf Servus TV schaltet, steht ein stark verschwitzter Mann Mitte fünfzig irgendwo in den Alpen und sagt ›Heimat!‹. Die Kamera zoomt raus, und immer spielt neben ihm ein beängstigend muskulöser Achtjähriger mit der Ziehharmonika.

01:47. Ich kann nicht einschlafen. Eine Freundin hat auf Facebook ein Zitat von Stefan Zweig gepostet: Der National­sozialismus habe sich vorsichtig, in kleinen Dosen durchgesetzt. Um mich wieder runterzufahren und ruhiger zu atmen, nehme ich einen tiefen Zug aus meiner kleinen ›Hallstatt Breeze‹-Dose. Das ­Heimatgefühl spreizt meine Lungenflügel wie die des Bundesadlers, der Gabalier-Lederhosenschweiß brennt brutal und vertraut in der Luftröhre. Ich schlafe beruhigt weiter. Für Österreich.