Zu feig für den Konflikt

Warum wir das ›Canceln‹ missliebiger Meinungen nicht hinnehmen sollten.

·
Illustration:
Blagovesta Bakardjieva
DATUM Ausgabe Juli/August 2025

In der Steiermark ging in letzter Zeit mehr verloren als nur der Landeshauptmannsessel für die ÖVP. Aus dem Bundesland, aus dem vor Jahrzehnten ob seiner kulturellen Toleranz und liberalen Einstellung zahlreiche Denkanstöße gekommen sind, kommen nun verstörende Nachrichten.

Der Buchverlag Leykam hat nach einer kaum breitenwirksamen Kritik und einer wenig mutigen Reaktion der beiden Herausgeberinnen, Mareike Fallwickl und Eva Reisinger, den Beitrag von Gertraud Klemm, einer außerhalb der Community nicht rasend bekannten Autorin, aus einer geplanten Veröffentlichung entfernt. Sie habe nicht die richtige Einstellung zu Trans-Personen, hieß es. 

Man hätte von zwei woken, also aufgeweckten Frauen erwarten können, dass sie vom Hochstand ihrer angeblichen moralischen Überlegenheit aus die Eliminierung eines Textes, mit dem sie offenbar erst nach Kritik in den sozialen Medien nicht einverstanden waren,  zumindest bis zum Ende denken.

Denn dort können – verkrampfte Begriffe wie woke hin oder her – Vertreter am anderen Ende des radikalen Randes, dem rechten, warten. Sie könnten nun mit der gleichen Berechtigung linke und feministische Texte ›canceln‹. Warum sollte man nur auf der linken Seite wachsam sein?  

Intellektuelle und kulturelle Einschränkung beginnt immer mit Büchern. Man muss gar nicht die 1930er-Jahre in Deutschland beschwören, man muss nur aktuell nach Amerika blicken. Dort werden Bücher aus Bibliotheken entfernt, landesweit oder lokal aus Schulen eingezogen, Texte verändert, weil sie Diversität, Rassismus und ähnliche politisch nicht erwünschte Themen beschreiben. 

Es ist erstaunlich, dass gerade in Graz, mit seiner Vergangenheit intellektueller Wachsamkeit, aus einem Text Jahre nach seinem Erscheinen in einer Tageszeitung eine so plumpe Konsequenz wie Zensur gezogen wurde. Und sich der Verlag auch noch sehr für ›die Hinweise und das aufmerksame Hinsehen‹ bedankt, bevor er den Namen Klemm eliminiert hat.

Vielleicht würde es helfen, wenn alle, die irgendetwas ›canceln‹ wollen, sich nicht hinter dem englischen Begriff verstecken, sondern seine Bedeutung beachten: Entfernen, beseitigen, löschen, vernichten. Nichts davon deutet auf die Toleranz hin, auf welcher man auf der woken Seite sonst so kompromisslos besteht. Entfernen und vernichten passt der rechtsextremen Seite gut ins Konzept. Auch diese Entwicklung kann man in Echtzeit in den USA beobachten. 

Jetzt reden wir von der ›Entfernung‹ eines nicht mehr genehmen Textes – was, wenn wir demnächst über Bücher, Filme, Kunstwerke reden, sich aber niemand mehr zu einem intelligenten Diskurs darüber bereit findet? Was, wenn dann jede intellektuelle Auseinandersetzung über irgendeinen Dissens abstirbt?

Die Verantwortung wird dann nicht bei den Tabubrechern liegen, sondern bei jenen, die zu feig für den Konflikt waren. Auf beiden Seiten. •

Sie können die gesamte Ausgabe, in der dieser Artikel erschien, als ePaper kaufen:

Diese Ausgabe als ePaper für € 6,00 kaufen