› Es war eine tolle Schlacht ‹

Michael Ignatieff, der Rektor der Central European University, über den verlorenen Kampf gegen Viktor Orbán, seine neue Heimat in Österreich und das Wunder der Wiener Straßenbahn.

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Fotografie  :
Daniel Vegel
DATUM Ausgabe März 2021

Am Beginn dieses Interviews steht eine kleine Enttäuschung. Seit Monaten bemühe ich mich um ein Interview mit Michael Ignatieff. So viele Fragen haben sich aufgestaut, seit unserem letzten Treffen vor mehr als vier Jahren. Ignatieff, 1947 in Toronto geboren, studierte ebenda und besuchte dort unter anderem Seminare bei Marshall McLuhan. Es folgte eine akademische Bilderbuchkarriere mit Harvard und allem, was dazugehört, er schrieb zahlreiche Bücher und ging schließlich in die Politik. Für die Liberale Partei saß er fünf Jahre im kanadischen Parlament, drei Jahre lang war er gar Oppositionsführer, bis zu einer schmerzlichen Wahlniederlage im Jahr 2011 – dann rief ihn wieder das Universitätsleben. Seit 2016 ist Ignatieff Rektor der Central European University (CEU). Die von George Soros vor genau 30 Jahren in Budapest gegründete Universität stand jahrelang unter Beschuss der von Viktor Orbán geführten ungarischen Regierung. Mit einem durchschaubaren Gesetzesmanöver wurde der CEU im Jahr 2018 praktisch die Existenzgrundlage in Ungarn entzogen. Unter der Ägide von Ignatieff kämpfte die Universität dagegen an, warb teilweise erfolgreich um Unterstützung aus Europa, musste sich aber letztlich geschlagen geben.

Die Stadt Wien witterte eine Chance, die international renommierte Universität zu sich zu holen. Das Übergangsquartier liegt in der Quellenstraße in Favoriten, fast alle Aktivitäten wurden inzwischen nach Wien verlagert. Ab 2025 soll die Universität ihr endgültiges Zuhause auf dem Areal des Otto-Wagner-Spitals am Steinhof finden. Dort verabredeten wir uns zum Spaziergang, als Ignatieff meine Interviewanfrage annahm. Doch auch in Wien ist Ignatieffs Leben nicht langweilig. Ganz aktuell wurde ein CEU-Student in Ägypten verhaftet. Die Behörden werfen ihm Mitgliedschaft in einer Terrororganisation und die Verbreitung falscher Nachrichten vor. Der Einsatz für eine Freilassung oder zumindest ein rechtsstaatliches Verfahren nimmt den Rektor voll in Anspruch. Statt durch die winterlichen Steinhof-Gründe zu spazieren, konnten wir uns deshalb nur am Telefon unterhalten.

Lange war nicht ganz klar, welche Bereiche des Universitätslebens der CEU tatsächlich Budapest in Richtung Wien verlassen werden. Wie stellt sich das heute dar ?
Michael Ignatieff : Praktisch all unsere Lehrveranstaltungen – Bachelor-, Master- und PhD-Programme – finden in Wien statt. Nur rund zehn Prozent werden noch in Budapest abgehalten, weil wir dafür noch keine Akkreditierung in Österreich haben. Jedenfalls in Budapest bleiben wird unser Demokratieinstitut, das wir im vergangenen Jahr als Flaggschiff gegründet haben. Die Bedeutung eines Demokratieinstituts in Ungarn braucht wohl keine besondere Betonung. Hinzu kommt die Bibliothek, unser Institut für höhere Studien und unser Archiv – das größte Archiv des Kalten Kriegs in Europa. Die CEU wird also weiterhin in Budapest stark Präsenz zeigen, aber 90 Prozent der Studierenden – und unsere Zukunft – sind in Wien.

Die Studierenden sind in Wien – das bedeutet in Zeiten von Distance Learning wohl, sie sind eigentlich ganz woanders, nämlich in ihren Heimatländern.
Ignatieff : Genau, sie sind in Nepal, in Ägypten, in Südamerika oder in den Vereinigten Staaten. Wir sind eben eine globale Universität, aber ganz ehrlich : Wir wären so gerne lokal ! Wir hätten gerne alle hier bei uns in Wien unter einem Dach und hoffen, dass wir ab September die normale Lehrtätigkeit wieder aufnehmen können.

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