2013: Wie wir sterben wollen

Wir werden immer älter und immer kränker – und immer teurere Medikamente versprechen ein noch längeres Leben. Doch wie viel ist das Leben wert, wie viel Leid und wie viel Geld?

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Illustration:
Ūla Šveikauskaitė
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Mitarbeit:
Philine Seydel
DATUM Ausgabe Juli/August 2024

Die ersten Erdbeeren der Saison sind fast immer eine Enttäuschung. Wässrig und geschmacklos, halten sie das Versprechen nicht, das ihre knallrote Farbe gibt. Und jedes Jahr beschließt man, nächstes Mal zwei Wochen länger zu warten, bis man die ersten Erdbeeren kauft, nicht mehr die importierten aus Spanien. Magdalena P. hat aber kein Jahr mehr, wahrscheinlich nicht einmal mehr zwei Wochen. Schilddrüsenkrebs. ›Ich habe eine Überraschung für dich‹, sagt ihre Tochter, greift in die Tasche und stellt Erdbeeren auf den Tisch. Frau P. kennt das Problem, mit einem Lächeln fragt sie: ›Woher?‹ – ›Leider nur spanische‹, sagt die Tochter, während Frau P. sich trotzdem eine in den Mund steckt und strahlt. Wenigstens bei ihren letzten ersten Erdbeeren hat sie Glück, sie sind fast so süß wie rot.

Hinter der Geschichte

Besonders in Erinnerung blieb mir das Gespräch mit Magdalena P. Sie starb wenige Tage danach. Wie sehr sie mit sich und dem Umstand, dass sie bald sterben muss, im Reinen war, hat mich sehr beeindruckt. Man versucht immer, seinen Protagonisten beim Schreiben gerecht zu werden, ihre Persönlichkeit einzufangen. Wenn man dann noch weiß, dass dieser Protagonist bei Erscheinen des Artikels nicht mehr am Leben sein wird, ist die Verantwortung noch einmal größer. Nach Erscheinen der Geschichte und nachdem Magdalena P. verstorben war, bekam ich ein Mail von ihrer Tochter. Ich traute es mich fast nicht zu öffnen. Aber sie fand den Artikel, und wie ich ihre Mutter porträtiert hatte, gut. Das war für mich das wichtigste Echo auf die Geschichte. Was mir aufgefallen ist: Der Begriff der ›Health-Span‹, also jener Lebenszeit, die wir gesund verbringen, wird immer häufiger verwendet. Wir schauen also nicht mehr nur darauf, wie alt wir werden, sondern auch, wie viel dieser Zeit wir krank verbringen.

Ich war von 2009 bis 2015 bei DATUM, lange Zeit davon auch als Chef vom Dienst. Danach war ich zuerst beim Kurier, dann bei Addendum, daneben habe ich immer wieder mal als Freier unter anderem für Geo und Terra Mater Reportagen geschrieben. Jetzt bin ich beim Pragmaticus.

Thomas Trescher

Magdalena P. sitzt in einem kleinen Raum der Palliativstation im Linzer Spital der Barmherzigen Schwestern, die Abteilung ist gedacht für Patienten, die die Ärzte nicht mehr heilen können. Menschen, die ›austherapiert‹ sind, wie das im Fachjargon heißt. Ihr gegenüber sitzen ihr Mann und ihre Tochter, jeden Tag kommen sie hierher. Neben P. steht ein Gehwagen, an dem ein Sauerstoffgerät befestigt ist. Ein durchsichtiger Schlauch führt zu ihrer Nase, das Gasgemisch hilft ihr beim Atmen. ›Vor dem Tod habe ich keine Angst‹, sagt sie mit rauer Stimme. ›Nur vor dem Sterben.‹ Ein Tumor drückt auf die Luftröhre, das Sprechen fällt ihr noch schwerer als das Atmen, und ihre größte Angst ist, am Ende zu ersticken, auch wenn ihr die Ärzte immer wieder versichern, dass das nicht passieren wird. Erst Ende März wurde sie mit Verdacht auf Grippe in das Krankenhaus Wels eingeliefert; es stellte sich heraus, dass ihr kein Infekt, sondern ein bösartiger Tumor zu schaffen machte. Diagnose: unheilbar. Vor einer Woche wurde sie in Linz aufgenommen, sie weiß, dass sie die Station nicht mehr verlassen wird.

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