›Aggressive Sprecher können an mir zehren‹
Name : Sabine Zeller, 53
Beruf : Gebärdensprachdolmetscherin
Warum sind Sie Gebärdensprachdolmetscherin geworden?
Ich bin das Kind gehörloser Eltern und wurde deswegen schon früh zum Dolmetschen herangezogen. Damals gab es noch keine Gebärdensprachdolmetscher. Deswegen ist es mir wichtig, dass es diesen Beruf gibt. Kinder sollten nicht für ihre Eltern übersetzen müssen.
Wie kann man Gebärdensprachdolmetscher werden?
Seit 1997 gibt es dafür in Österreich Weiter- und Ausbildungen an -diversen Institutionen. Die Uni Graz nahm sich als erstes dieser Aufgabe an. Ich gehöre der ersten Generation österreichischer Gebärdensprachdolmetscher an.
Ist es schwer, die Sprache zu lernen?
Für manche ja, weil es einen manuellen Anteil gibt. Mir fällt auf, dass es Menschen mit Koordinationsproblemen gibt, die sich anfangs schwertun. Es ist eine Sprache, die einer anderen Logik als gesprochene Sprachen folgt. Ich dolmetsche nicht Wort für Wort, sondern übertrage das Gesagte in eine bildhafte Sprache und arbeite den Kern des Gesprochenen heraus. Mit der Mimik kontextualisiere ich den Inhalt. Mein Gesicht entscheidet zum Beispiel, ob ein Satz als Frage oder Aufforderung ver-standen werden soll.
Gibt es Wörter, die Sie nicht übersetzen können?
Nein, denn wenn es sich um Eigennamen handelt, kann ich das internationale Fingeralphabet nutzen und buchstabieren. Außerdem werden stetig neue Gebärden entwickelt. Wir müssen unser Wissen immer aktualisieren.
Wie anstrengend ist der Beruf?
Nach 20 Minuten Dolmetschen steigt die Fehleranfälligkeit und nach einer Dreiviertelstunde ist Pause angesagt. Im Parlament ist es dann herausfordernd, wenn ein Redner aggressiv spricht. Dann muss ich diese Emotionen vermitteln und das kann auch mal an mir zehren.
Welche Eigenschaften sollte jemand für den Beruf mitbringen?
Ein Gebärdensprachdolmetscher braucht grundsätzlich gutes All-gemeinwissen. Ich muss wissen, was die Mindestsicherung ist oder wie Anträge im Parlament ablaufen. Deswegen lese ich Zeitung und höre viel Ö1. Außerdem braucht man ein gutes Kurzzeitgedächtnis und muss empathisch sein, um die Intentionen der Sprechenden zu erkennen.
Wie viel verdienen Sie?
Die meisten in diesem Beruf sind wie ich selbstständig und arbeiten an vielen Orten. Tarife sind unterschiedlich. So kommt ein Berufs-anfänger samt Vorbereitungszeiten und Dolmetschen auf monatlich etwa 2.000 Euro netto. Das hängt aber davon ab, wie viel und ob man zum Beispiel auf Kongressen oder im Alltag arbeitet. Einen Gebärdensprachdolmetscher, der Probleme damit hat, seinen Lebensunterhalt zu verdienen, kenne ich nicht. Die Nachfrage ist sehr hoch.
Wie gehörlosenfreundlich ist die Gesellschaft in Ihren Augen?
Unsere Gesellschaft ist noch lange nicht inklusiv. Mancherorts bezahlen die Bundesländer nur für wenige Aktivitäten einen Dolmetscher. Vieles im Privaten müssen Betroffene selbst finanzieren, und das ist nicht leistbar. Und der Staat stellt Gehörlosen den Dolmetscher für den ersten Ausbildungsweg bereit. Bei einem Berufswechsel müssten Betroffene selbst be-zahlen – fast immer ein Ding der Unmöglichkeit. •
In Österreich gibt es einen eigenen Gebärdensprach-Dolmetscher- und -Übersetzer-Verband, dem über 120 Mitglieder angehören.
In Österreich leben in etwa 450.000 Menschen, die aufgrund einer Hörbehinderung in der Kommunikation mit anderen beeinträchtigt sind. Ungefähr 8.000 bis 10.000 davon sind gehörlos.
Die Österreichische Gebärdensprache ist seit 2005 in Österreich als eigenständige Sprache anerkannt.
Gebärdensprachen sind nicht weltweit gleich, sondern verfügen über nationale und auch regionale Varianten.