Allein, allein

Einsam, das sind nicht immer nur die Anderen. Manchmal ist man es selbst.

DATUM Ausgabe Juli/August 2018

Es ist 19:06 Uhr, als ich das Handy zur Seite lege und mich in Embryostellung ins Bett. Was für ein beschissener Tag. Es ist Samstag und mein einziger Tagesordnungspunkt an diesem Wochenende wurde gerade abgesagt. Eine Freundin war zufällig in der Stadt und heute wollten wir uns sehen. Kaffee und so. Schon am Morgen schreibe ich ihr, den ganzen Tag über klebe ich am Handy. Der Bildschirm fettig und verschmiert. Um 19:06 Uhr dann ein ›Sry, verpeilt‹. Ja, sorry.

Ich liege im Bett meines winzigen WG-Zimmers in London. Seit eineinhalb Monaten bin ich in der Stadt, für ein mehrmonatiges Austauschprogramm, bei dem ich jede freie Minute auskosten wollte. Und jetzt? Erst mal Nudeln kochen und Netflix einschalten. Ich war wütend auf die Freundin. Klar, und wie. Aber da kam noch ein anderes Gefühl hinzu. Eines, das ich mir wohl sehr lange nicht eingestehen wollte, weil es mir so peinlich war: Ich war einsam.

Einsamkeit, die klingt nach Geigenmelodie, danach, alleine auf einer Parkbank zu sitzen und bei bewölktem Himmel Enten zu füttern. Das klingt nicht nach dem hippen London, Pubs und diesem tollen Job. Einsam, das sind doch die anderen.

Glaubt man Kunst und Literatur, dann kann Einsamkeit eine coole Lifestyle-Entscheidung sein: ›Für mich ist Einsamkeit der Höhepunkt des Luxus‹ soll der Modedesigner Karl Lagerfeld einmal gesagt haben und mit ›Was ich geleistet habe, ist nur ein Erfolg des Alleinseins‹ wird Franz Kafka zitiert.

Mit dieser Romantisierung kann ich nichts anfangen. In meinem Kopf spielt es an dem Tag eher ›So Lonely‹ von der Band The Police – ›now no one’s knocked upon my door‹, jetzt gerade, an diesem Samstagabend, klopft niemand an die Tür. Für viele Menschen ist Einsamkeit keine Entscheidung, sondern eine Abwärtsspirale, die schlimms­tenfalls krank macht. Tocotronic bringt es in einem Song famos auf den Punkt: ›Sich rar machen bringt ja nichts, wenn es niemand merkt‹. Statistiken zeigen, dass sich viele Menschen immer wieder einsam fühlen – überraschenderweise mehr und mehr junge Menschen. Dabei gibt es heute tausende Möglichkeiten, Menschen kennenzulernen, und ich bin mir sicher, jeder von uns kennt hunderte Leute. Manche schreiben schon von Einsamkeit als neuer Volkskrankheit. Studien zufolge sind fehlende soziale Beziehungen mindestens so schädlich wie fünfzehn Zigaretten täglich.

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