Im Gänsehäufel an der Alten Donau ist Zeit nichts wert. Davon hat nämlich jeder genug.
Mindestens dreitausend Menschen werden heute die kleine Brücke am Ende der Moissigasse im 22. Wiener Bezirk überqueren. Es ist ein prachtvoller Montag, keine Wolke zu sehen. Es könnten also sogar viertausend Menschen sein, die in den kommenden Sonnenstunden den Weg über die Alte Donau nehmen. Es ist der einzige Zugang zu der Insel, auf der sie die Hitze der Großstadt, den Lärm, das Tempo des Alltags hinter sich lassen, um ihre Badetücher, Campingbetten und Luftmatratzen auszubreiten. Willkommen im Paralleluniversum des Strandbad Gänsehäufel.
An einem heißen Sommerwochenende kommen bis zu 33.000 Menschen in das 330.000 Quadratmeter große Areal. Wo nahe des Eingangs noch die alte Waage steht, ein vereinsamter Wuzzeltisch und ein bunter Kaugummi-Automat, der sich irgendwie an der Vergangenheit vorbei in die Moderne geschwindelt hat. Im Gänsehäufel durfte tatsächlich einiges stehenbleiben. Vor allem die Zeit.
Wer über die Brücke geht und den beiden Frauen, die über die Schlüssel wachen, die Saisonkarte zeigt, sieht vor sich alte, graue Kabinenblöcke, die in ihrer vorgestrigen Ästhetik wie ein Mahnmal gegen unsere Lebensprinzipien von permanenter Weiterentwicklung, Erneuerung und Wachstumswahn wirken. Wer über die Brücke geht, hat meistens Schlapfen an und verlangsamt den Schritt, sobald er die Eisentore, die um neun Uhr geöffnet werden, passiert. Wer über die Brücke geht, sucht Erholung und Entspannung, Müßiggang und Vergnügen. Die meisten Besucher spazieren in Richtung Osten, wo die Beckenlandschaft wartet, das Wellenbad, das Erlebnisbiotop, das Forscherstudio, das Aquascope und weiter hinten der FKK-Bereich.
Wer sich jedoch links hält und in den Westen aufmacht oder sich von einem der Shuttles dorthin bringen lässt, der trifft eine Entscheidung. Zu Ruhe, Langsamkeit und Bewusstsein. Wie Christine und Willi, ein Ehepaar Anfang 60. Die beiden besitzen seit einigen Jahren eine Kabane. Vorbaukabine wird sie offiziell genannt. 290 dieser Kabanen mit ihren kleinen Vorplätzen gibt es, 627 Euro pro Saison für einen Benützer und maximal zwei Mitbenützer. Alle sind vergeben, die Wartezeit für interessierte Mieter liegt aktuell bei sechs Jahren. Willi liegt in der Sonne und lässt den Blick schweifen, Christine sitzt unter der Markise und liest den Falter – beide haben für ihr Dasein in der Idylle nur ein Wort: ›Faszinierend‹.
Wörter: 2001
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