Alles normal? Als ob!
Warum der alte und der neue US-Präsident in Sachen Inszenierung plötzlich an einem Strang zogen.
Im Kamin knistert das Feuer. Die Spannung zwischen den Kontrahenten Donald Trump und Joe Biden scheint wie weggeblasen. Die Büsten von Martin Luther King und John F. Kennedy und die Porträts ehemaliger Präsidenten unterstreichen die staatstragende Atmosphäre.
Fotos wie diese seien natürlich orchestriert, sagt Nicole Dahmen, Journalismus-Professorin an der University of Oregon. Das Oval Office gebe dem Treffen einen formellen Rahmen. ›Die Kommunikationsabteilung im Weißen Haus möchte Biden präsidial wirken lassen und zeigen: Wir wickeln das korrekt ab. Im Gegensatz zu Trump, der vor vier Jahren Biden nicht eingeladen hat‹, erklärt sie.
Hier in diesem Raum entstand durch einen Mitarbeiter von Richard Nixons Sprecher der Fachbegriff ›Photo-Opp‹ oder ›Photo-Opportunity‹. Aus journalistischer Sicht gilt es, solche ›gestellten Fotos‹ zu vermeiden, betont Dahmen. Fragen bleiben unbeantwortet, und die wenigen Sätze, die fallen, bekommen besonders viel Gewicht. Eine ruhige und vorhersehbare Machtübertragung sei geplant, sagt Trump, nicht ohne auf einen für ihn typischen Superlativ zu verzichten: ›Die Übergabe wird so reibungslos sein, wie es nur möglich ist.‹
›Dem Bild liegt die Botschaft zugrunde, dass die amerikanische Politik wie immer funktioniert und dass die Bürger durch das, was sie sehen, beruhigt sein sollten‹, schätzt Alan Schroeder. Der emeritierte Professor befasst sich an der Northeastern University in Boston mit Präsidentschaftswahlen und Fotojournalismus. Ohne den Kontext wirke es wie eine gewöhnliche Interaktion zwischen politischen Persönlichkeiten, wie ein routinemäßiger Besuch eines Würdenträgers bei einem anderen, führt er aus: ›Man gewinnt den Eindruck, dass ein normales Ereignis stattfindet, aber damit täuschen wir uns.‹
Es handle sich um einen ganz bewussten Versuch, eine zutiefst abnormale Situation zu normalisieren: Biden und Trump haben eine lange Geschichte gegenseitiger Feindseligkeit. Ihre politischen Ziele und Stile könnten unterschiedlicher nicht sein. Bei der Wahlkampfdebatte schüttelten sie einander nicht einmal die Hand.
Schroeder ist überzeugt, dass der bevorstehende Übergang zu einer zweiten Amtszeit von Trump eine Kehrtwende bringt, während man auf dem Foto überzeugen wolle, dass die Geschichte auf vorhersehbare und bewährte Weise weiterlaufe. ›So gesehen ist das Bild eine täuschende Fassade, die mit dem Ziel errichtet wurde, politische Stabilität zu projizieren‹, sagt er. Es verberge das tiefe Unbehagen rund um die Wahl 2024 und versuche sich damit seine eigene Realität zu erschaffen. Beruhigung sei Biden und seinem Team zu diesem Zeitpunkt offenbar wichtiger als die Warnung, dass Trump die Demokratie bedrohe, meint Schroeder, der auch vermutet: ›Hätte Biden sich gegen die Fotomöglichkeit in diesem inszenierten Setting mit Trump entschieden, hätte er kleinlich und dünnhäutig gewirkt – mit anderen Worten, er hätte ausgesehen wie Trump.‹
Der Fototermin dauerte keine zwei Minuten. Als es nach dem Klicken laut wird und die Fotografen hinauskomplimentiert werden, beginnt Biden zu grinsen. Fox News nimmt ein Foto, das ihn mit diesem fröhlichen Gesichtsausdruck zeigt, zum Anlass, die Erzählung vom freudig erregten, mit dem Wahlausgang zufriedenen Joe Biden zu verbreiten. ›Eine klare Missinterpretation des Fotos und unethisches Verhalten‹, wertet Nicole Dahmen: ›Pressefotografen sollten die bestmögliche Version der Wahrheit zeigen, und dazu gehört, dass man nicht eine Erzählung drumherum erfindet.‹ •