Ausgehungert

Wie der Fotograf Moaz Abutaha die katastrophale Lage in Gaza in ein Bild bannt.

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Fotografie:
IMAGO/APAimages
DATUM Ausgabe Juli/August 2025

Die Gesichter sind vor Verzweiflung verzerrt, die Hände sind ausgestreckt. Leidende ­Menschen drängen gegen das Gitter bei der Essensausgabe. Aus den Behältern dampft es. Fast glaubt man, die Schreie zu hören. Denn diese Komposition erzeugt eine emotionale Kraft. Die dramatische Gestik wirkt beinahe choreografiert, obwohl es sich um eine reale Situation handelt. 

Der Fotojournalist Moaz Abutaha hat die Szene am 25. Mai in al-Mawasi aufgenommen, einem kleinen Ort, der einst zur ›humanitären Schutzzone‹ erklärt, aber mittlerweile schon öfter von der israelischen Armee angegriffen worden war. Die Geflüchteten wohnen dort in Zelten. Wie ­überall im Gazastreifen ist der akute Nahrungsmangel ein massives Problem. Die unvorstellbare Lage verdeutlichen die vielen Fotos unterernährter Kinder auf bestürzende Weise. 

Auch angeschossene, sterbende und tote ­Menschen hat Abutaha fotografiert. Hier aber wählt er einen anderen Zugang zum Thema Hunger: nicht über den schmerzlich ausgemergelten Körper, sondern über die Handlung – den Akt des Drängens, Wartens, Bittens. ›Wir sehen hier ­Hunger als ­soziale Situation, als systemische ­Katastrophe, nicht nur als individuelles Leiden‹, ­erklärt Claudia Paganini, Medienethikerin an der Uni Innsbruck und an der Hochschule für Philosophie München. Das könne Stereotype, zum Beispiel vom ›hilflosen Kind‹, durchbrechen und gebe den Abgebildeten ein gewisses Maß an Würde und Handlungsfähigkeit zurück. Auch wenn die Szene chaotisch sei. ›Es erscheint nicht nur als Darstellung von Hunger, sondern wie ein Sinnbild ­existenzieller Not‹, sagt Paganini. Die Nähe zur Bildsprache der christlichen Ikonografie verleiht dem Foto eine tiefergehende Bedeutung.

Die Dauerpräsenz grausamer Bilder fordert aktuell sowohl das Publikum als auch Medienprofis heraus. Einerseits erfüllen die Fotos eine wichtige Funktion: Sie machen Missstände häufig erst sichtbar und geben den Opfern indirekt eine Stimme. Die Realität möglichst ungeschönt, in ihrer Härte abzubilden, gehört zu den wichtigsten Aufgaben des professionellen Journalismus. 

Andererseits kann die Bilderflut zu Trauma­tisierung, langfristig aber auch zu Abstumpfung führen. Die Medienethikerin rät zu einer soliden Einbettung in erklärende Kontexte. ›Es ist wichtig, nicht auf die Schockwirkung zu setzen, sondern Verständnishorizonte zu eröffnen.‹

Außerdem sollte das Leid keinesfalls ästhetisiert und das individuelle Schicksal nicht als Symbol für eine bestimmte Thematik missbraucht werden.

Wie also kann ein sensibler Umgang mit solchen Bildern aussehen? ›Persönlichkeitsrechte sind in der Situation von Katastrophen ein zentraler ethischer Maßstab. Menschen dürfen nicht entmenschlicht, bloßgestellt oder in einem Zustand gezeigt werden, der ihre Würde verletzt – auch nicht mit der Begründung, damit ein wichtiges ­Anliegen zu transportieren‹, betont Paganini. 

Die Darstellung sollte nicht auf Stereotype zurückgreifen oder bestimmte Gruppen einseitig als leidend, passiv und hilflos oder aggressiv und ­respektlos zeigen. Man müsse dafür Sorge tragen, dass die Opfer nicht erneut verletzt werden oder das Publikum überfordert wird, meint die Ex­pertin. Ein geglücktes Bild sei in diesem Kontext keine bloße Reproduktion sichtbarer Ohnmacht, sondern ein Impuls für Empathie und die Übernahme von Verantwortung. •

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