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Blaue Kulturpolitik

DATUM Ausgabe Juni 2018

Nie habe ich in Österreich eine Zeit erlebt wie diese, die dermaßen von Sprachregelungen beherrscht wird. Daran ist natürlich die FPÖ schuld. Dass sie im Wettbewerb des sprachlichen Schuldhabens die einsame Spitze erreicht hat, dafür steht die Wendung des Johann Gudenus vom ›stichhaltigen Gerücht.‹

Diese Wendung zeigt aber auch, dass die neurolinguistisch programmierten Sprachgenies sich sehr um ihren Ausdruck bemühen, auch wenn die pragmatische Einsicht, von nichts käme nichts, gerade für ihre Sprache nicht gilt. Das sprudelt bei ihnen nur so dahin, und dass sie sich dafür anstrengen müssen, kommt einem überflüssig vor.

Wunderbar Norbert Steger, der für seine verbalen Auffälligkeiten auch eine hermeneutische Theorie mitliefert: Seine abfälligen Äußerungen über den ORF hätte er aus der Position ›einer Ein-Mann-Fraktion‹ gemacht. Jetzt aber, und er sagt es nicht ohne kleinkarierten Stolz, sei er Vorsitzender, da würde er anders sprechen, eine Wandlung, die er mit einer Maxime von Karl Marx begründet: Das Sein schaffe das Bewusstsein!

Auf die Gefahr hinaus, vom Marxisten Steger nicht für einen seiner Genossen gehalten zu werden, melde ich Widerspruch an: Ich halte die These, dass das Sein das Bewusstsein bestimmt, für eine Halbwahrheit, die auf ihrer Hälfte allerdings ganz auf Norbert Steger passt. Sein Sein bestimmte immer schon sein Bewusstsein.

Sonst gilt, dass man zum Beispiel mit Propaganda Bewusstseinsveränderungen zustande bringt, denen auch ein stabiles Sein nicht standhält. Weshalb sonst würde die politische Rechte um jedes Wort kämpfen? Für das Bewusstsein kämpft sie nicht, nö, da ist ihr jede Dumpfheit recht. Sie kämpft für das Sein, sprich für die Macht, für ›die illiberale Demokratie‹, für die Orbánisierung.

Schönes Beispiel dafür eine Meldung im ›Kurier‹. Während einige österreichische Journalisten bereits davon schwärmen, dass Heinz-Christian Strache seine Partei in eine ›ganz normale‹ umwandelt, setzen seine Hinterbänkler andere Signale. Unter der Überschrift ›Nach FPÖ-Kritik: Eva Blimlinger stellt sich vor die Kunst-Unis‹ stand im ›Kurier‹: ›Martin Graf (FPÖ), Mitglied der als rechtsextrem eingestuften Burschenschaft Olympia, wetterte unlängst im Parlament gegen die zwei Wiener Kunstuniversitäten. Sie hätten eine »überbordende Verwaltung« und »links-linke Ideologien«. Er will hinterfragt wissen, ob solche Strukturen »noch zeitgemäß« seien.‹

Das kennen wir schon. Interessant ist, dass der Gebrauch der Sprachregelung ›links-links‹, eine Schöpfung der ›Kronen Zeitung‹, ursprünglich eine rechte Hetze war. Das haben die Redakteure ihren Gegnern an den Kopf geworfen, es waren verbale Gesten der Verachtung. Graf macht ›links-links‹ politisch scharf, und gewiss mögen in einem höheren Sinn die Strukturen im Forschungszentrum Seibersdorf, damals unter Graf, mehr zeitgemäß gewesen sein als das in einer Kunstuni je möglich sein wird. Graf hat überall, wo er konnte, Burschenschafter installiert, damit diese in Österreich endlich das Zeitgemäße etablieren können.

Politik heißt in Österreich, Druck auf Institutionen zu machen, um dort die Gesinnungsgenossen unterzubringen. Das habe ich ›Parteienfeudalismus‹ genannt und dieser war unter der großen Koalition unerträglich. Noch unerträglicher wird er durch eine Partei, die einen Systemwechsel ins Autoritäre herbeiführen will und die, wie Viktor Orbán, geistige Unabhängigkeit stets als ›links-links‹ bekämpft. In einem Mittagsjournal habe ich gehört, dass Eva Blimlinger nicht mehr Rektorin der ›Bildenden‹ ist. Sie wurde abgewählt, und im Radio sagte ein Bevollmächtigter, eine Kunstuniversität würde heute in einem ›anderen Spannungsfeld‹ agieren. Heute ginge es, wie überall in der Gesellschaft, mehr um Effektivität …

Von Tag zu Tag wird mein Weltbild einfacher, dabei war es immer schon unterkomplex genug: Der alte Faschismus kämpft derzeit in Europa um seine zweite Chance. Erneuert und modernisiert (und so verschleiert wie’s nur geht). In Österreich machen ihm die parteipolitisch organisierten und werbewirtschaftlich aufmunitionierten Reste des Christlichsozialen die Räuberleiter, damit sie sich auch eines Tages wundern dürfen, was alles möglich ist.

Die Sprachregelung gegen eine solche These kennt einen progressistischen Akzent: ›Faschismus‹ und ›Rassismus‹ seien überkommene Begriffe, mit denen man die Gegenwart nicht und schon gar nicht die Zukunft beschreiben könne. Da decken die Fortschrittler die Rückschrittler, deren ›konservative Revolution‹ so tief im Vergangenen wurzelt, dass es ja tatsächlich unbeschreiblich erscheint.

Die Mischung aus Modernität und Zurückgebliebenheit ist für das rechte Wirken charakteristisch und hat zum Beispiel in der bayerischen Symbiose von Laptop und Lederhose eine zivile Form. Dem Extremismus sind, um es in der FPÖ-Sprache zu sagen, dort ›die Giftzähne gezogen‹ (auch wenn in Bayern ganz kleine nachwachsen). ›Giftzähne gezogen‹ – ich bin ganz betäubt von dem blöden Gerede, das ich zitieren muss, auch weil ich glaube, sowas kann doch kein Mensch gesagt haben …

Aber weiter im Text: Das Rückwärtsgewandte, das die Propaganda als das eigentlich Moderne ausgibt, garantiert nicht, dass die Folgen sich im bekannten, eh schon fürchterlichen Rahmen halten werden. Mit dem Genossen Steger (dem das Sein die Arbeit abnimmt, sein Bewusst­sein zu bestimmen) würde ich gern Majakowskis Zeilen diskutieren, die an die todbringende Zeit des Ersten Weltkriegs erinnern und darüber hinaus behaupten: ›… nur all das Gemetzel / ist Nebbich, / verglichen mit / dem ­Entsetzlichen / der Phantasmagorien von ­morgen.‹

Das wurde in ›Der fliegende Proletarier‹ 1925 geschrieben und der Zweite Weltkrieg hat die poetische Prophetie realisiert. Dass die Gedichtzeilen im Geschichtsverlauf als stehende Formel dienen können (weil sie stets stimmen), kommt vom Fortschritt, der vor allem in der Waffentechnik stattfindet, während die starken Männer Putin, Erdoğan, Trump oder Orbán (und, noch nicht an der Macht, die Dame in Frankreich) einen archaischen Machtkomplex personifizieren, der älter ist als die Geschichtsschreibung. In diesen hervorragenden ­Menschen ist das Fürchterliche, das einmal war, ansatzweise mit dem Fürchterlichen kombiniert, das einmal sein wird.

Mich hat das Schicksal dazu auserwählt, eine Debatte über ›Kultur‹ im Nationalrat wahrzunehmen: Der Fernseher lief, und da war das Parlament plötzlich im Wohnzimmer. Das erste, was mir zur Kultur im Parlament einfällt, ist ebenfalls Literatur, nämlich die unsterblichen Zeilen Ostbahn-Kurtis: ›I wüs gar ned wissen, gar ned so genau.‹

Ich bin Patriot und wünsche, dass die Nation auf der Höhe ihrer eingebürgerten Selbstüberschätzung den eigenen Wert wenigstens simulieren kann. Aber diese Hinterbänkler-Crew, die wegen der monatlichen Gehaltsüberweisungen so tun muss, als wäre ›die Kultur‹ eines ihrer Anliegen, verdränge ich aus meinem stolzen Gefühl, Österreicher zu sein.

So eine Armseligkeit im Lande von Burg und Oper, aber es trifft mich auch das zutiefst Tragische einer FPÖ, die menschlich und in dem von ihrem Sein geformten Bewusstsein vollkommen überfordert ist: Sie kommt mit der in der Moderne erreichten kulturellen Freiheit nicht zu Rande.

Schönster Ausdruck dieser Freiheit ist nach wie vor die Maxime des Generals de Gaulle, Jean-Paul Sartre betreffend, der ihn ständig böse kritisiert hatte, sodass der Wille entstand, ihn festzunehmen. De Gaulle aber war sich darüber klar, dass die Öffentlichkeit ihm dafür nicht dankbar sein würde. Aus welchen opportunistischen Gründen auch immer, de Gaulle formulierte damals die prägende Formel für die Freiheit eines der Politik unerträglichen Künstlers. Sie lautet: ›Einen Voltaire verhaftet man nicht.‹

Der Satz ist Allgemeingut, für seine Triftigkeit muss man niemanden mit de Gaulle, Sartre oder Voltaire gleichsetzen. Der Satz konfrontiert die politische Rechte damit, dass es in der Moderne ­kulturelle Freiheiten gibt, deren Auswirkungen man polemisch-intellektuell konfron­tieren soll, aber nicht politisch ver­folgen. Eine Altpartei wie die FPÖ kann sich das nicht vorstellen, für sie ist jeder Gegner der politischen Verfolgung auszusetzen, sprich: der Rache, und so kommt es im österreichischen Parlament zu der kreischend absurden Idee, der Dichter Josef Winkler wäre so etwas wie der ver­längerte Arm der Sozialdemokraten.

Die Sprachregelung ist immer dieselbe, und auch wenn sie bereits Kabarettreife erreicht hat, wird sie von denen, die sich ›Freiheitliche‹ nennen, immer wieder angewandt: Staatskünstlerin und Staatskünstler werden von der SPÖ alimentiert und sprechen sich dafür gegen die FPÖ aus. Dass man so etwas gratis, einfach gerne macht, kommt zum Beispiel der vom Staat gut bezahlten Abgeordneten der FPÖ, Sandra Wassermann, nicht in den Sinn. Nein, ›fürstlich entlohnte Künstler‹ würden von der SPÖ in die Schlacht gegen den braven ›Mitbewerber‹ FPÖ geworfen.

Wassermanns Rede gegen Winklers berühmte Klagenfurter Rede (›die Skandalrede‹) hat einen merkwürdigen Zungenschlag. Die Abgeordnete unterschlägt Winklers oft wiederholten Hinweis, dass es in Klagenfurt keine Stadtbibliothek gibt, dafür aber ein aus Großmannssucht gebautes, in einer Kleinstadt nicht zu füllendes Stadion. Um es profitabel zu füllen, sagt Winkler, müsste man ›den halben Annabichler Friedhof ausgraben, dann könnten in den Schlachtenbummlerrängen die Skelette auf ihre eigenen Totenköpfe trommeln‹.

So kommt der Tod ins Spiel, und wenn schon der Annabichler Friedhof seine Toten entlässt, könnte auch Jörg Haider auferstehen, dessen Urne, so Winkler, man zur Sicherheit gleich ins Gefängnis bringen sollte, damit der ­Landeshauptmann als Auferstandener nichts mehr anstellen kann.

Das ist wahrhaftig ein hartes Gleichnis. Für mich ist es auch eine satirische Antwort auf den kitschigen carinthischen Totenkult: ›In Kärnten ist die Sonne vom Himmel gefallen‹, hieß es nach Haiders tödlicher, auch andere Menschen gefährdender Autofahrt. In Wassermanns Rede bleibt von der ­ganzen Fragwürdigkeit bloß die auf­geregte Bekundung von Pietät: ›Über Tote zu schimpfen, das ist wirklich das Letzte!‹

Aber Winklers Schimpf galt gar nicht dem Toten und der Totenruhe, die jeder Mensch am Ende verdient. Er galt der Politik eines Menschen, die Folgen hatte, die Kärnten immer noch ausbaden muss. Das mögen Haiders Anhänger anders sehen, aber diese Armen müssen damit leben, dass es von ihrer Sicht abweichende Meinungen gibt, die genauso hart in der Sache sein können, wie es die literarisch viel schlechter formulierten Polemiken sind, mit denen die FPÖ seit Jahren das Land überzieht.

Das ist die längst schon augenfällig gewordene Merkwürdigkeit: Es ist eine Partei, die heute den Innenminister stellt, der einst über Ariel Muzicant, den Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde, in Anspielung auf das Waschmittel Ariel dichtete: ›Wie kann einer, der Ariel heißt, so viel Dreck am Stecken haben?‹ Das und vieles Ähnliches übertrifft an sich selbst genießender Geist­losigkeit sogar den Witze-Stammtisch von Puls4.

Frau Wassermann beendete ihre flammende Rede gegen den Dichter Winkler mit einer wohlgesetzten Pointe, mit einem Zitat von Jörg Haider höchstselbst: ›Sie werden mich noch nach meinem Tod verfolgen‹, und da ist es wieder, das selbstmitleidige Paradigma der ›verfolgenden Unschuld‹, das der FPÖ so viel Erfolg in dieser Welt voller unschuldiger Täter eingebracht hat.

Walter Rosenkranz, als er ›Kultursprecher‹ der FPÖ war, hat deklariert: ›Künstler lassen sich gern für die politisch Herrschenden instrumentalisieren.‹ Im Fall der FPÖ müssen die Künstler erst dazu gezwungen werden. Frau Wassermann legt in aller Unschuld mit ihrer Rede auch eine Strategie bloß, wie man die Ungezwungenen isolieren und auszuschließen versuchen wird: Man macht aus ihnen kassierende Unmenschen. Um zu zeigen, was für ein niedriges Wesen Josef Winkler ist, erwähnt sie dessen Vorlass. Sie sagt, Winkler hätte 460.000 Euro kassiert, und zwar dafür, dass er ein Billa-Sackerl nach dem anderen hergibt, jeweils mit einer literarischen Idee versehen.

Das wäre kein schlechtes Happening, eine kynische Verspottung der Tatsache, dass viele Dichterinnen und Dichter auf der Welt arm sterben. Keine Red’ davon. Die Recherche im Internet ergibt, dass die FPÖ getobt hat, weil der Vorlass ihres prominenten Gegners gekauft wurde. Billa-Sackerln scheinen dabei keine Rolle zu spielen. Winklers Vorlass umfasst 44 Werke, von Notizbüchern bis zu Korrespondenzen. In dem Vorlass finden sich unter anderem auch handschriftliche Entwürfe, digitale Aufzeichnungen, Druckvorlagen und Fotos. Der Preis wurde auf Basis von Gutachten festgelegt. Stadt und Land teilen sich die Kosten je zur Hälfte, das Land wird seinen Anteil auf Raten bezahlen.

 

Im deutschen öffentlich-rechtlichen Fernsehen lief ein Film über eine in Ungarn doch willkommen geheißene Zuwanderung: Man sieht einen aus Schweden in seinem Paradies angelangten Nazi, keinen Neo-Nazi, sondern einen klassischen Nationalsozialisten aus echtem Schrot und Korn. Beim Abendessen prosten er und seinesgleichen einander mit erhobenen Schnapsgläsern zu. Der Nazi gibt die Losung aus: ›Mit Linken nicht diskutieren, einfach ihnen sagen, was sie zu tun haben.‹ Dabei lächelt er, wie die Spießer sagen, ›verschmitzt‹, spielt er doch kokett auf das wesentliche Betriebsgeheimnis des ­Extremismus an, auf die Gewalt, die die zu spüren bekommen sollen, die noch anders denken.