›Was bleibt, sind Geschichten‹

Die Autorin führt Gespräche ›Auf Leben und Tod‹, diesmal mit der Schriftstellerin Anna Weidenholzer.

DATUM Ausgabe Dezember 2016

Wann war Ihnen das erste Mal bewusst, dass es den Tod gibt?
Der erste Tod, an den ich mich bewusst erinnere, war der meines Bruders. Er ist mit zwei Wochen gestorben, da war ich sieben Jahre alt. Das ist das erste Bild, das ich dazu habe: dieser kleine weiße Kinder­sarg. Das Begräbnis. Das Gespräch zwischen meiner Großmutter und meiner Großtante im Wirtshaus, wo eine sagt: ›Der Tod wird immer einfacher zu ertragen, je älter ich werde‹, und die andere antwortet: ›Nein, es wird immer schwerer.‹

Danach war Tod etwas, das Sie zuordnen konnten?
Ja, vor allem aber, was Trauer heißt, Trauer bei Erwachsenen. Ich habe das meinen Eltern sehr angemerkt. Vielleicht auch, weil sein Tod so plötzlich kam. Niemand wusste von seinem Herzfehler. Und ich habe verstanden, was es bedeutet, dass jemand auf einmal nicht mehr da ist. Nicht alt werden kann.

Haben Sie Angst vor dem Tod?
Vor dem eigenen Tod gar nicht. Da denke ich, das wird sowieso passieren, also was soll’s. Aber vor dem Tod von anderen habe ich Angst. Davor, dass jemand, der mir wichtig ist, plötzlich nicht mehr da sein wird.

Was bleibt nach dem Tod?
Geschichten. Geschichten, die über einen Menschen weitererzählt, weitergetragen werden, die Bestand haben. Das ist auch, was mich tröstet: Der Mensch ist vielleicht nicht mehr da, aber die Ge­schichte über ihn. Zum Beispiel, wenn ich Palatschinken mache. Das ist so sehr meine Großtante. Ich weiß, wie ich den Teig anrühre, wie die Konsistenz ist, wie der rohe Teig schmecken muss, obwohl man ihn eigentlich nicht essen darf. Das ist auch, was von ihr geblieben ist.

Was, glauben Sie, passiert mit denen, die sterben?
Ich glaube, man hat dieses Leben, dieses eine. Dann ist es vorbei. Ich bin auf dieses Leben konzentriert. Deshalb ist es wichtig, dass man Dinge gleich macht.

Was wollen Sie gerne noch machen?
Ach, da gibt es so viel. Die vielen Bücher, die noch zu lesen sind. Die noch zu schreiben sind. Und man sollte Freundschaften und Beziehungen schätzen.

In Ihrem letzten Roman geht es auch um Glück. Was ist das Glück daran, am Leben zu sein?
Das Glück liegt stark in zwischen­mensch­lichen Beziehungen. Und ich würde auch die Außenwelt als Glück bezeichnen, auch wenn sie manchmal furcht­bar sein kann. Ich habe ganz oft Glücksmomente, wenn ich einfach rausgehe und etwas entdecke. Gerade vorher: Da war eine ältere Frau, und ich habe zunächst nur sie gesehen, sie und ihre Tasche, und da habe ich reingesehen, und es stand ein kleiner Hund drinnen, der dem Regen getrotzt hat. Das war ein ­schönes Bild, die beiden da im Regen. Ja, und das Schreiben natürlich, das ist mein Glück. Es ist ein ­Geschenk, dass ich das machen kann.

In Ihren Büchern steckt viel Beobachtung. Sie sehen bewusst hin.
Es ist wichtig, manchmal einfach be­wusst sitzen zu bleiben. Schauen, was kommt. Auf der Wiese zu ­sitzen und einen Käfer anzusehen. Auch wenn es nichts mit dem Käfer zu tun hat, ich denke, dass dabei etwas ­entsteht. Auch Glück.