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Den Farbschleier lüften

Was Carrie Schreck bei ihren Undercover-Recherchen über die Emotionen der Trump-Fans gelernt hat und warum sie auf Schwarzweiß-Fotografie setzt, um diese Gefühle abzulichten.

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Fotografie:
Carrie Schreck
DATUM Ausgabe November 2024

Carrie Schreck hat Ohr, Auge und Kameralinse nahe an den Trump-Fans. Sie war dabei, als am 6. Jänner 2021 ein wütender Mob das ­Kapitol stürmte. Sie besucht ›ReAwaken America‹-Treffen der ultrarechten Christlich-Nationalen und tingelt in den Monaten vor der Präsidentschaftswahl von Rally zu Rally. Um das Foto am Parteitag der Republikaner in Milwaukee zu schießen, heuerte sie als ­frei­willige Helferin bei der Veranstaltung an. 

›Die Inhalte, die Fox News verbreitet, sind schrecklich, aber sie kommen in Bonbonfarben bunt und comichaft, übertrieben daher‹, sagt Schreck. ›Wenn du auf dem Bild mit all den MAGA-Leuten (Anmerkung: benannt nach Trumps ›Make-America-great-again‹-Slogan) die Farbe wegnimmst, sieht man die Realität und die pure Emotion‹, erklärt die Fotografin. ›Dieses ausdrucksstarke Gesicht einer Trump-Unterstützerin wirst du als erstes sehen, und zwar deswegen, weil mein Foto schwarz und weiß ist. Farben ­ziehen den Blick an. Hier haben sie keine Chance, den Betrachter abzulenken.‹  

Besonders ein grelles Rot wie jenes auf dem Schild, das die Frau hochhält, zieht die Aufmerksamkeit auf sich. Rot gilt als Signalfarbe. Es steht für Liebe, Hass, Revolution und Blut und provoziert, was möglicherweise speziell Wutbürger und Protestwähler anspricht. Der politische Farbcode in den USA widerspricht dem gängigen Links-Rechts-Verständnis – aber erst, seit bei Bush versus Gore im Jahr 2000 von republikanischen ›Red States‹  und demokratischen ›Blue States‹  die Rede war. Trumps Kappe und seine überlange rote Krawatte haben die Republikaner noch stärker an die Farbe Rot gebunden. 

Auch am Parteitag der Demokraten empfand Schreck eine aufgeheizte Stimmung, aber bei Donald Trumps Auftritt in Wisconsin beschreibt sie die Atmosphäre als toxisch. ›Rot steht auch für Wut, und die spürte man dort. Wut macht süchtig‹, sagt sie und vermutet: ›Für viele füllt das hier eine Lücke, die vorher von Religion ­besetzt war.‹  Das Bild entstand am 18. Juli, fünf Tage nach dem Attentat auf den Präsidentschaftskandidaten. ›Frauen, wie jene mit dem »Terrific Trump«-Plakat, halten ihn jetzt für einen Heiligen, der wie durch ein Wunder ­überlebt hat‹, meint Schreck. So erklärt sie sich die ebenfalls spürbare frenetische Begeisterung. Verschwörungserzählungen erinnern die Fotojournalistin an Geistergeschichten, die sich Teenager zum Gruseln erzählen: ›Du hast gemeinsam eine Geschichte, die Gänsehaut ­beschert und zusammenschweißt. Und die dich aus dem Alltagsstress reißt. Obwohl ein Teil von dir weiß, dass es sich um eine erfundene Lüge handelt.‹  

Obwohl auf ihrem Shirt nicht ›Trump‹, ­sondern wie bei allen freiwilligen Helfern nur ›Volunteer‹ stand, machte Schreck darin eine verstörende Erfahrung. Bei der Betreuung der Medienvertreter im Pressezentrum vermieden diese den Blickkontakt, hoben die Augenbrauen, schauten etwas herabwürdigend oder mitleidig. ›Nach einer halben Stunde dachte ich leicht aggressiv: Hey, ihr wisst nicht, warum ich das Shirt trage! Ihr wisst gar nichts über mich.‹  Sie habe sich wie ein Idiot gefühlt, so als ob sie sich schämen müsste. ›Ich kann mir vorstellen, wie das Gefühl zu Trotz wird, wenn man diese Ablehnung wochen- und monatelang erfährt, an der Supermarktkassa, auf ­Facebook, bei ­Familienfeiern‹, sagt Schreck. ›Dann ziehst du noch übertriebener die Farben deines Lieblingsteams an, fühlst dich den ­»Außenseitern« zugehörig und wirst immer zorniger.‹  Wie werden diese Menschen reagieren, wenn Kamala Harris die Wahl gewinnt? – ­Menschen wie jene auf dem Foto würden wohl den Kopf schütteln und behaupten, die Demokraten hätten die Wahl gefälscht, meint Schreck. Tatsachen, die nicht ihrer Überzeugung entsprechen, zu verleugnen, habe sich bei Trump-Anhängern durchgesetzt, betont sie. Gleichzeitig sei der 6. Jänner doch allen eine Lehre gewesen. Deswegen werde es im Fall der Niederlage zu keiner aktiven Reaktion kommen, hofft die Fotojournalistin. •

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