›Der Hahnenkamm ist kein schöner Berg‹
Was ich von Kitzbühel-Tourismus-Chefin Signe Reisch über ihre Sorgen gelernt habe.
Signe Reisch betritt die Lobby des Rasmushofs, jenes Hotels, das ihrer Familie gehört, von ihr selbst geführt wird und am Fuße des Hahnenkamms direkt neben dem Zielhang der Streif liegt. Reisch ist seit 2012 Obfrau des Kitzbüheler Tourismusverbands – sie lebt, liebt und atmet Kitzbühel. Ihr Urgroßvater, Franz Reisch, dessen hundertster Todestag gerade mit einer Biografie gewürdigt wurde, gilt als Erfin-
der dessen, was Kitzbühel heute ist. Er brachte den alpinen Skilauf, er initiierte die ersten Hotels und touristischen Angebote – im Winter wie im Sommer. Heute, unter der Ägide seiner Urgroßenkelin, steht Kitzbühel in voller Blüte.
In den vergangenen Jahren sorgte die Gemeinde selbst jeden Herbst für einen verlässlichen Shitstorm, nämlich dann, wenn Mitte Oktober eine erste Skipiste eröffnet wird – präpariert mit konserviertem Schnee aus dem Vorjahr. Die Bilder vom › weißen Band ‹ inmitten grünbrauner Wiesen gehen um die Welt, begleitet von Empörung und Kopfschütteln. Ist das wirklich gescheit ? Ich stehe dazu. So einfach ist das ? Unseren Gästen macht es eine riesige Freude, und für viele Skiclubs aus der Region ist das die erste Möglichkeit, verlässlich trainieren zu können. Über den großen medialen Widerhall wundert sich Reisch mitunter auch, doch erstens laute die dabei stets unausgesprochen vermittelte Botschaft : Kitzbühel ist schneesicher. Und zweitens sind es die Kitzbüheler, allen voran ihre Tourismuschefin, längst gewohnt, im Brennpunkt der Kritik zu stehen. Wir werden immer vor den Vorhang geholt. Einmal waren wir auf der Titelseite der › Herald Tribune‹, weil wir zu Saisonstart überhaupt keinen Schnee hatten. Und wenn es nicht der Schnee ist, dann sind’s die vermeintlich teuren Liftkarten.
Was würde sich der Urgroßvater heute denken, wenn er sich Kitzbühel anno 2020 anschaute ? Signe Reisch denkt lange nach. Es würde ihm sicher nicht alles gefallen. Und manches würde ihn erschrecken. Vor allem die Handschlagqualität würde ihm abgehen. Auf der anderen Seite habe sich bei den Recherchen für die Biografie des Kitz-Pioniers gezeigt, dass sich eigentlich gar nicht so viel verändert habe. Die Sorgen der Hoteliers, die Diskussionen im Stadtrat, das Zusammenleben von Tourismus und Landwirtschaft – die heutigen Themen sind die gleichen wie damals.
Was aber macht ihr heute Sorgen, wenn sie an Kitzbühels Zukunft denkt ? Es sind wenige konkrete Themen, wie etwa der fehlende Respekt von Radfahrern und Wanderern gegenüber der Almwirtschaft, oder auch das Schließen einiger Hotels, insbesondere in der preislichen Mittelklasse. Es ist sehr wichtig, dass wir nicht nur im Hochpreissegment gut aufgestellt sind. Wir sind für alle Gäste da. Dieser Anspruch passt so gar nicht zum Image Kitzbühels als Mekka der Reichen und Superreichen, wird aber durch zielgerichtete Angebote unterfüttert : Kostenlose Bergführer im Sommer für Gruppenwanderungen, niederschwellige Events und viele familienfreundliche Angebote. Angst vor › Overtourism ‹ hat sie nicht. Natürlich ist das Hahnenkamm-Wochenende ein Wahnsinn. Und in der Zeit zwischen Weihnachten und Silvester sind wir auch an unseren Grenzen – aber sonst haben wir noch viel Platz ! Anders als etwa Zermatt sei Kitzbühel kein Ziel für Horden von Tagestouristen. Der Hahnenkamm ist halt kein schöner Berg.
In zwei Jahren endet Reischs Funktionsperiode, dann wird erst einmal Bilanz gezogen. Zehn Jahre sind ein guter Zeitraum. Man hat Dinge neu aufgesetzt, erntet die Früchte und kann ein ordentlich bestelltes Haus hinterlassen. Aber da schwingt noch etwas mit, und schließlich sagt sie es : Die Welt verändert sich so schnell, und die nächste Generation … das ist nicht meine Welt. Was sie damit meint ? Wenn es etwas gibt, was mir Sorgen macht, dann ist es der fehlende Mut der nächsten Generation, Verantwortung zu übernehmen. Die Jungen brennen für kaum etwas. Aber man kann ihnen auch schlecht einen Vorwurf machen, denn es ist ja alles für sie da !
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