Der Kampf ums Auto
Um das EU-Klimaziel für 2030 doch noch zu erreichen, müsste Österreich den Autoverkehr einschränken. Dafür aber fehlt die politische Mehrheit. Bis Juni 2024 muss die Regierung im Nationalen Klima- und Energieplan darlegen, wie die Wende dennoch gelingen soll.
Der Kanzler gibt sich gnädig. Es sei schon in Ordnung, wenn man mit dem Rad in die Arbeit fährt, sagte er in einem Video zur von ihm losgetreten ›Normalitätsdebatte‹. Aber, so fährt er fort, man möge damit aufhören, Autofahrern ein schlechtes Gewissen zu machen. Adressiert sind damit eindeutig die ›Klimakleber‹, die Karl Nehammer in einem Atemzug mit islamischen Hasspredigern, Vandalen und ›sonstigen Extremisten‹ nennt.
Schon bei seinem ›Autogipfel‹ im April hat sich Nehammer für die Autofahrer stark gemacht. Dass der Kanzler damit, auf E-Fuels anstatt – wie die meisten Autohersteller und Experten – auf Elektroautos zu setzen, recht allein dasteht, ist offenbar nicht so wichtig, wenn es darum geht, eine große Wählergruppe zu adressieren. Für 61 Prozent der Österreicher hat das Auto einen ›hohen bis sehr hohen‹ Stellenwert, zeigt eine repräsentative Studie der Wiener Städtischen Versicherung. 5,15 Millionen PKWs waren Ende 2022 laut Statistik Austria zugelassen, mehr als je zuvor, auch wenn die Zahl der Neuzulassungen zuletzt zurückging.
Klar ist: Es brennt der Hut. Der Verkehr liegt zwar laut Umweltbundesamt mit knapp 28 Prozent nach dem Bereich Energie und Industrie (44,4 Prozent) nur an zweiter Stelle der heimischen CO2-Emissionen. Die Lücke zu den selbstgesteckten Klimazielen ist aber beim Verkehr die größte. Seit 2014 sind die Verkehrsemissionen stetig gestiegen, mit Ausnahme der Coronajahre 2020 und 2021. Experten rechnen damit, dass die Kurve nun wieder ansteigen wird.
Den Handlungsbedarf erkennt auch die Regierung. Bis Juni 2024 muss das Klimaschutzministerium eines der wichtigsten Strategiepapiere, den nationalen Energie- und Klimaplan (NEKP), in finaler Fassung an die Europäische Kommission schicken. Eine Überarbeitung ist nötig, weil die bisherigen Maßnahmen nicht für das vereinbarte Ziel von 48 Prozent weniger CO2-Verkehrsemissionen bis 2030 (gerechnet ab 2005 und ausgenommen Emissionshandel) ausreichen werden. Dies zeigen neue Berechnungen des Umweltbundesamts, die selbst geplante, aber noch nicht umgesetzte Maßnahmen bereits miteinrechnen. Ende Juni hat Klimaschutzministerin Leonore Gewessler Umweltorganisationen, Stakeholder und die Gesellschaft um Stellungnahmen und Ideen für neue Maßnahmen gebeten. Derzeit wertet das Ministerium die eingegangenen Rückmeldungen aus.
In seiner aktuellen, kürzlich aktualisierten Form kritisieren Experten den NEKP als zahnlos. ›Da fehlt wirklich einiges, das wird leider nicht reichen. Die meisten Maßnahmen sind viel zu schwammig formuliert‹, sagt Günter Emberger, Verkehrsplaner an der TU Wien. ›Der Plan setzt stark auf Anreize für Öffis und E-Mobilität. Es fehlen aber noch Push-Maßnahmen, die die Menschen vom Auto wegbringen‹, sagt Heinz Högelsberger, Verkehrsexperte bei der Arbeiterkammer Wien. ›Die letzten Jahrzehnte haben gezeigt, dass solche Pläne politisch irrelevant sind. So ein Papier kann man zwar nach Brüssel schicken, eine neue Regierung wird sich aber in keiner Weise daran gebunden fühlen‹, sagt Reinhard Steurer, Professor für Klimapolitik an der Wiener Universität für Bodenkultur (Boku).
Warum ist es so schwer, die Leute vom Auto wegzubekommen? ›Weil öffentliche Verkehrsmittel immer noch zu unattraktiv sind. Und der motorisierte Individualverkehr zu attraktiv ist‹, sagt Steurer. Wegen ein paar Cent auf oder ab durch die neue CO2-Bepreisung hinterfrage niemand sein Mobilitätsverhalten. Oft sind die regulären Spritpreis-Schwankungen im Tagesverlauf höher als die zusätzliche Steuer. Steurer vergleicht die CO2-Bepreisung mit einem Ablasshandel, nennt sie einen ›Scheinklimaschutz, der uns ein gutes Gefühl gibt, aber kaum etwas bewirkt.‹
Offenkundig ist es mit der ÖVP nicht einfach, eine klimafreundliche Verkehrspolitik zu machen. ›Viele Gesetze werden so lange herausgezögert, bis es eigentlich zu spät ist‹, sagt Högelsberger. Vom Klimaschutzgesetz mit verbindlichen CO2-Ausstoßlimits, das bis heute fehlt, bis hin zum Stopp von unökologischen Subventionierungen des Straßenverkehrs. Eine langjährige, bis heute nicht umgesetzte Forderung ist eine grundlegende Reform, wenn nicht gar Abschaffung der Pendlerpauschale. Auch Firmenwagen werden weiterhin subventioniert. Immerhin das langjährige, vielkritisierte Dieselprivileg wurde mit der CO2-Bepreisung seit dem Vorjahr de facto abgeschafft, da Diesel verhältnismäßig stärker verteuert wurde.
Das Klimaticket, das zweite große Prestigeprojekt der grünen Ministerin, sei zwar ein ›netter und hart errungener Erfolg‹, sagt Klimapolitik-Experte Steurer. ›Menschen, die ohnehin viel mit den Öffis fuhren, haben nun ein günstigeres Angebot.‹ Ob aber viele Menschen deshalb ihr Mobilitätsverhalten geändert haben, bezweifelt der Experte.
Tatsächlich ist dies schwer zu überprüfen, da die begleitende Forschung zum Klimaticket nicht einsehbar ist. Sie diene vor allem zur Abgeltung für die Eisenbahnunternehmen, wie es vom Ministerium heißt. Bis heute wurden rund 240.000 Klimatickets verkauft, mehr als das niedrig angesetzte Ziel von Gewessler mit 100.000. Das Klimaschutzministerium verweist auf DATUM-Anfrage auf ›mehrere Tausend monatlich‹, die weiterhin dazukommen. Darüber hinaus haben viele Menschen ein Bundesland-Klimaticket. Rund 15 Prozent der Bevölkerung habe eines von beiden, heißt es vom Ministerium, also etwa einer von sieben. Nochmal zum Vergleich: 5,15 Millionen PKWs sind in Österreich zugelassen.
Es gibt aber auch Lob, etwa vom Green Recovery Tracker des gemeinnützigen Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie für das ›ambitionierte‹ Öffi-Paket inklusive Klimaticket. Der Tracker vergleicht die Klimaschutzmaßnahmen aus dem EU-Recovery and Resilience (RRF)-Fonds in mehreren Ländern. In Österreich loben die Wuppertaler emissionsfreie Busse sowie den Ausbau und die weitere Elektrifizierung der Bahn. Generell ist aber auch die Rede von einem ›Mangel an zusätzlicher Ambition‹. Die Maßnahmen müssten ›weitreichender und kreativer‹ sein.
Weitreichende und kreative Maßnahmen sind es wohl auch, die sich das Ministerium aus den Stellungnahmen zum NEKP erhofft. Möglicherweise kann man sich etwas aus den anderen EU-Ländern abschauen, die vor derselben Herausforderung stehen – wiewohl es laut den befragten Experten noch kein Best-Case-Beispiel für die Mobilitätswende in Europa gibt.
Klar ist aber auch, dass viele jedenfalls effiziente Vorschläge seit Jahren auf dem Tisch liegen. Neue Ideen in großer Zahl kamen zuletzt etwa vom Klimarat, der 2022 aus den rund 400.000 Unterschriften des Klimavolksbegehrens hervorging. Hundert Bürger haben in einem partizipativen Prozess 93 Vorschläge zur Erreichung der Klimaziele erarbeitet. Die Ergebnisse wurden an das Klimaschutzministerium übermittelt, umgesetzt wurde aber kaum etwas davon. Der hundertseitige Endbericht schlägt etwa höhere Besteuerung für Zweit- und Drittautos oder ein Verbot für SUVs und vergleichbare Fahrzeuge vor. Eine bereits ältere, vom Klimarat aufgegriffene Forderung ist, dass die Kompetenz für die Flächenwidmung endlich von Gemeinde- auf Landes- oder Bundesebene verlegt werde, damit nicht länger die ›Einzelinteressen von Gemeinden über den überregionalen und regionalen Interessen stehen‹. So solle etwa eine Anbindung an das öffentliche Netz, aber auch kurze Alltagswege bei jedem Umwidmungs- und Bauprojekt mitbedacht werden. Zum ebenfalls vorgeschlagenen Verbot für Diesel- und Benzinmotoren ab 2027 dürfte es hingegen eher nicht kommen.
Bezeichnend ist, dass selbst eine so einfache Maßnahme wie eine Reduktion der Höchstgeschwindigkeiten offenbar für viele den Rahmen des Erträglichen sprengt. Tempo 100 auf Autobahnen statt derzeit 130 km/h würde Treibstoffverbrauch und CO2-Emissionen um 23 Prozent senken, berechnete der Verkehrsclub Österreich (VCÖ). Damit gebe es weniger Staus, es käme zu weniger Unfällen und Verkehrstoten. Außerdem würden Lärm und Luftverschmutzung reduziert. Mit eben diesen Vorteilen argumentieren auch vier heimische Verkehrsexperten in einem offenen Brief. Sie fordern ein Höchsttempo 100 auf Autobahnen, 80 auf Freilandstraßen und 30 im Ortsgebiet. Mehrere SPÖ- und ÖVP-Bürgermeister unterstützen den Brief. Hat die adressierte Regierung je reagiert? ›Das Klimaschutzministerium erwiderte, dass keine politische Mehrheit dafür gegeben ist. Und zwei Landessprecher meldeten sich und verwiesen auf den Bund‹, sagt TU-Verkehrsforscher Emberger, einer der Initiatoren. Inhaltlich sei nicht darauf Bezug genommen worden.
Das Argument der vermeintlichen Unbeliebtheit von niedrigen Geschwindigkeitslimits lässt Emberger jedenfalls nicht gelten: Erfahrungen anderer Länder würden zeigen, dass die Akzeptanz einer solchen Temporeduktion nach einigen Monaten stark ansteigt, weil sich die Leute daran gewöhnen – so, wie sie sich 1976 an die Gurtpflicht, anfänglich ebenfalls sehr unbeliebt, auch rasch gewöhnt haben. Wenn die Vorteile von Temporeduktionen so eindeutig sind: Warum gibt es nicht einmal eine ernsthafte Debatte darüber? ›Weil es nicht opportun ist. Die Politik traut sich nicht, die Vorteile zu kommunizieren‹, sagt TU-Verkehrsforscher Emberger. Dazu komme die in Österreich ›sehr starke‹ Autolobby, neben der Auto(zuliefer)- und der Erdölindustrie sei das vor allem der ÖAMTC. Der 1946 gegründete Verkehrsclub hat mehr als zwei Millionen Mitglieder und ist mit Abstand der größte Verein des Landes. Dann gibt es noch den ARBÖ, ebenso Autofahrerclub, mit mehr als 420.000 Mitgliedern. Zum Vergleich: Das Rote Kreuz und der Sportklub ASKÖ sind die nach dem ÖAMTC nächstgrößeren Vereine mit je etwa einer Million Mitgliedern. Vor allem der ÖAMTC spielt durch seine Größe und mediale Präsenz, zuletzt etwa in der ZiB2 zu Tempo 100, eine wesentliche Rolle bei der Meinungsbildung.
Dass es noch viel Gegenwind gibt, musste auch der neue SPÖ-Chef Andreas Babler feststellen, als er Tempo 100 forderte. ›Dazu gibt es keinen Parteibeschluss‹, bremste ihn der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig prompt ein. Das passt ins Bild, denn wie die ÖVP macht auch die SPÖ eine Politik für Autofahrer, selbst in Wien. Die Wiener Genossen bestanden darauf, den euphemistisch als ›Stadtstraße‹ bezeichneten Autobahnzubringer zu bauen, obwohl die dazugehörige Lobau-Autobahn bis auf Weiteres nicht kommen wird. Klimademonstranten ließ sie mit Klagsdrohungen in Millionenhöhe eindecken.
Dabei gebe es die besten Voraussetzungen für eine Verkehrswende mit Sicherheit in Wien. Wer sich zu Fuß oder am Rad durch die Hauptstadt bewegt, merkt aber sofort: Wien ist weiterhin Autostadt. Trotz vieler Erfolgsmeldungen der Stadt verbesserte sich der Modal Split, also die Verteilung aller absolvierten Wegstrecken pro Verkehrsmittel, kaum. Der Autoverkehr liegt seit Jahren recht konstant bei knapp 30 Prozent aller Alltagswege. Auch wenn sich Wien gern als Klimamusterstadt in Szene setzt, wird jeder Quadratmeter Parkplatz und Straße verteidigt, siehe etwa beim Naschmarkt-Radweg.
›Wir sehen beinharte Verteilungskämpfe um den öffentlichen Raum in der Stadt‹, sagt AK-Verkehrsexperte Högelsberger. Zwei Drittel der Wiener Verkehrsflächen werden für den Straßenverkehr und Parkplätze verwendet, obwohl nur 30 Prozent der Bevölkerung ein Auto besitzen, sagt der Experte. Was zu tun ist, liege auf der Hand: entsiegeln und beschatten, Öffis verdichten und ihr Netz in den Außenbezirken ausbauen, Radwege bauen und Gehsteige verbreitern. Dies geschieht aber nur schleppend. Auch die Parkraumbewirtschaftung ist in Wien noch viel zu billig, sagt TU-Experte Emberger. Derzeit kann man im Wohnbezirk für zehn Euro pro Monat das Auto abstellen. Eine Parkraumbewirtschaftung fordert Emberger übrigens flächendeckend in Österreich, der öffentliche Raum solle schließlich mehr sein als ein großer Parkplatz.
Was bleibt sonst zu tun? Österreich ist ein wichtiges Transitland für den Güterverkehr. Ein Dorn im Auge ist Gewessler der Tanktourismus aus dem Ausland vor allem durch LKWs. Der bringt Österreich zwar mehr als eine Milliarde Mineralölsteuer pro Jahr ein. Gleichzeitig schlägt er aber auch negativ für die heimische CO2-Bilanz zu Buche. Weil der Emissionshandel nicht mehr so günstig ist wie noch vor wenigen Jahren, wird der Tanktourismus in wenigen Jahren ein Minusgeschäft für den Staat sein.
Wenige Hebel wird es wohl bei Straßenbauprojekten geben, jedenfalls kurz- und mittelfristig. Große neue Autobahnen beziehungsweise Zubringer wie der Linzer Westring (A26) oder die sogenannte Wiener ›Stadtstraße‹ sind zu weit fortgeschritten, um sie zu stoppen. Selbst die Lobau-Autobahn – eigentlich: der Lückenschluss der Wiener Außenring-Schnellstraße (S1) –, deren Bau Ministerin Gewessler vorläufig stoppen ließ, könnte in einer anderen Regierungskonstellation durchaus noch kommen, denn sie steht weiterhin im Bundesstraßengesetz festgeschrieben. Für eine Änderung bräuchte es eine Mehrheit im Parlament, mit der ÖVP ist eine solche nicht zu haben.
Immerhin: Trotz aller Hürden waren die Bedingungen wohl nie so gut für die Verkehrspolitik. Erstmals gibt es ein Superministerium, das die Kompetenzen für Verkehr, Energie und Klimapolitik bündelt. Die im ÖBB-Rahmenplan fixierten Investitionen in das Bahnnetz sind rekordverdächtig hoch. Und das Klimaticket ist ebenso wie die CO2-Bepreisung nun etabliert, könnte also auch von einer künftigen Regierung nicht mehr ganz so einfach abgeschafft werden. Und wer weiß, ob das grüne Klimaministerium mit dem finalen NEKP nicht doch noch einen letzten großen Wurf auf den Weg bringen will? Wenige Monate nach der Abgabe des Papiers an Brüssel wird in Österreich gewählt. •