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Die andere Wasserkraft

Flüsse sind nicht nur Energieressourcen, sondern Lebensraum für eine Vielzahl von Arten, die unser Ökosystem im Gleichgewicht halten. Sie nur deswegen zu schützen, wäre aber zu kurz gedacht.

DATUM Ausgabe Juli/August 2022

Es war vor etwas mehr als 20 Jahren, im Juni 2002. Da sagte David Bowie in einem Interview mit der New York Times, dass Musik einmal genauso selbstverständlich verfügbar sein werde, wie fließend Wasser oder Strom. ›Music itself is going to become like running water or electricity.‹ Damals klang das nach Science-Fiction. 

Heute wissen wir, wovon Bowie sprach. Über unseren Spotify-Zugang am Smartphone finden wir Ohrwürmer in Sekundenschnelle, Songs, denen wir früher wochenlang nachstellten, Plattenläden und Libro-Filialen durchstöberten, nicht und nicht fündig wurden.Jetzt ist da dieser Luxus, jedes Stück Musik hören zu können, wann und wo immer wir wollen.

Was das mit Biodiversität zu tun hat? 

Biodiversität, die Vielfalt der Arten, ist die Basis aller natürlichen Vorgänge. Ökosysteme aller Bereiche – ineinandergreifende atmosphärische, biologische, chemische und physikalische Prozesse, an denen unterschiedlichste Mikroorganismen, Tiere, Pflanzen, Pilze teilhaben – wirken in einer Weise zusammen, die unsere Lebensgrundlage ausmachen. Sie sorgen für saubere Luft zum Atmen: Bäume nehmen CO2 auf und geben Sauerstoff ab. Sie sorgen für sauberes Trinkwasser: Mikroorganismen ›fressen‹ Schmutz, etwa Fäkalien, aus dem Wasser. Sie sorgen für ausreichend Regen, sie sorgen für die Bestäubung der Pflanzen, für Holz als Rohstoff zum Heizen und Bauen – die Liste ließe sich lange fortsetzen. In der Sprache der Ökologinnen und Ökologen sind diese Leistungen, die die Natur für uns erbringt, Ökosystemleistungen. Sie sind einfach da, unsichtbar, kostenlos, verfügbar ganz ohne unser Zutun. Fast wie Spotify. Im Gegensatz dazu aber absolut überlebensnotwendig für uns.

Diese Ökosystemleistungen basieren auf sensiblen Wechselbeziehungen, einem umfassenden Geflecht an ausbalancierten Symbiosen, feingliedrigen Nahrungsketten. Fallen einzelne, kleine Bausteine in dem komplexen Gebilde um, stellt das noch kein Problem dar. Alles fließt, alles ist dynamisch, alles verändert sich. Wandel findet in der Natur ständig statt. Das Problem ist das Tempo. 

Wir befinden uns mitten in der ›Großen Beschleunigung‹: Industrialisierung, Mobilität, Konsum explodierten nach dem Zweiten Weltkrieg in der westlichen Welt. Das sechste Massenaussterben, auf das wir uns zubewegen, ist nicht – wie die fünf Male davor – bedingt durch eine Veränderung der Umweltbedingungen, sondern menschengemacht. Passiert diese Veränderung zu rasch, kommen viele Arten ins Straucheln. Und sterben zu viele von ihnen aus, laufen die Zyklen nicht mehr rund, gerät das ganze Gebilde ins Wanken. Bricht es zusammen, dann könnten auch unsere Lebensgrundlagen verschwinden, auch der Mensch könnte zur aussterbenden Art werden. Welche Möglichkeiten bleiben uns? 

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