Die Entzauberung des Einhorns

Bitpanda, Liebling der heimischen Start-Up-Szene, schockte im Juni mit einer Kündigungswelle. Was das Vorgehen des Krypto-Unternehmens über die Arbeitskultur der Zukunft verrät.

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Illustration:
Denis Mujakovic
DATUM Ausgabe September 2022

Die Melange schmeckt Katharina Redl an diesem einen Donnerstag im Juni besonders gut. Der hauseigene Barista von Bitpanda hat sie zubereitet. Nach mehr als zwei Jahren weiß er, was Redl trinkt. Vor Arbeitsbeginn sitzt sie mit ihren Kollegen noch zusammen und tratscht. Redl freut sich auf den Tag. Die Motivation ist wieder so hoch, wie die Hierarchien flach sind. Viele ihrer Kollegen sind wie Freunde oder Familie für sie. Im neuen Büro, gleich neben der Wiener Krieau, arbeiten sie in der festen Überzeugung, die Welt zu verbessern. Für die gemeinsame Mission ziehen hier alle an einem Strang. So fühlt es sich auch für Redl an.

Während Katharina Redl an diesem Abend noch zufrieden nach Hause geht, ist den CEOs von Bitpanda bereits klar, dass sie morgen rund ein Drittel ihrer Angestellten ohne Vorwarnung entlassen werden. Katharina Redl ist eine von Hunderten, die gehen müssen. Und eine von vielen, die einem der beliebtesten Arbeitgeber der hiesigen Fintech-Branche niemals ein solches Vorgehen zugetraut hätten. Zwei Wochen zuvor verkündete die Geschäftsführung noch öffentlich, ›Downsizing ist der letzte Ausweg‹. In einer internen Sitzung, sagt Redl, versicherten sie, die ›Kriegskassen‹ seien gefüllt.

Bitpanda, Österreichs größtes Krypto-Unternehmen, hat sich verkalkuliert. Das gibt die Geschäftsführung nach den Kündigungen offen zu. ›Um mit der Industrie mitzuhalten, ist unser Team zu schnell gewachsen‹, schrieb Bitpanda in einer Stellungnahme. Doch jahrelang war es steil bergauf gegangen. 2021 erlangte Bitpanda sogar den Status des ersten ›Einhorns‹ Österreichs. So werden Start-Ups mit einem Marktwert von über einer Milliarde US-Dollar bezeichnet. Der nächste Schritt sollte der Aufstieg zum europäischen Marktführer sein. Bitpanda befand sich deshalb in einer explosiven und teils chaotischen Wachstumsphase, dem sogenannten ›Blitzscaling‹. Die wirtschaftliche Lage am Weltmarkt, wie auch die Kursverluste diverser Kryptowährungen seit Beginn dieses Jahres, der sogenannte ›Krypto-Winter‹, trübten die Aussichten jedoch und bewegten Bitpanda dazu, mehr als dreihundert Mitarbeiter zu entlassen. Aus dem Einhorn wurde wieder ein Pferd.

Es ist eine Entwicklung, die viele Start-Ups durchleben. Sie bieten Arbeitnehmern unter dem Schlagwort ›New Work‹ schnelle Aufstiegsmöglichkeiten, flexibles Arbeiten, versprechen Sinn durch die gemeinsame Vision – und motivieren damit oft indirekt zur Selbstausbeutung. Schwebt die Firma in Gefahr, kündigen sie präventiv auch mal einen Gutteil der Belegschaft. Die ›Mission‹ wiegt schwerer als die vielbeschworene ›Familie‹, die dafür arbeitet. Bitpanda hatte auf diese Silicon-Valley-Mantras zumindest unterschwellig so sehr wie kaum ein anderes heimisches Unternehmen dieser Größe gesetzt – so erzählen es jedenfalls die (ehemaligen) Mitarbeiter. Bitpanda streitet dergleichen auf Anfrage ab.

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