Die polnische Blaupause

Wie die Präsidentschaftswahl in Polen über das Schicksal des Landes entscheidet.

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Illustration:
Blagovesta Bakardjieva
DATUM Ausgabe Mai 2025

Als würde man die Schäden einer Atombombe mit einem Löffel beseitigen. So beschreibt Dariusz Mazur, Polens stellvertretender Justizminister, jüngst im niederländischen Volkskrant den Kraftakt, sein Land wieder auf den Weg der Rechtsstaatlichkeit zu bringen. Seit knapp eineinhalb Jahren wird in Polen nur gelöffelt. Dabei hat alles so vielversprechend angefangen, als im Oktober 2023 Polens Opposition das scheinbar Unmögliche gelungen war. Geeint hatte man es als Block unter der Führung von Donald Tusk geschafft, die regierenden Populisten der ›Recht- und Gerechtigkeitspartei‹ (PiS) aus dem Amt zu drängen. Acht Jahre PiS-Herrschaft wurden an der Wahlurne beendet.

Demokratinnen auf der ganzen Welt jubelten. Polen gab Hoffnung: Autokraten ist beizukommen! Man kann sie besiegen, und jenes Land, das einst als Blaupause zur Aushebelung und Zerstörung der Demokratie diente, kann jetzt als eine für ihre Wiederherstellung herhalten. Bloß wie?

Die Bilanz ist bislang mehr als nur bescheiden. Einige würden gar behaupten: Kehrten die alten PiS-Herren wieder zurück, so würden sie alles so vorfinden, wie sie es zerstört haben: politisierte Gerichte, ein politisierter Richterwahlausschuss und viele weitere Zombies aus der PiS-Zeit, die nicht aus dem Weg geräumt werden konnten. 

Der Grund: der noch amtierende Präsident Andrzej Duda, ein PiS-Eleve und selbsterklärter Mit-Architekt der Justizreformen der Vorgängerregierung. Mit seinem Veto kann er jedes Gesetz blockieren. Ohne seine Unterschrift bleiben alle Gesetze zur Wiederherstellung der Rechtsstaatlichkeit vorerst in der Schublade. Das soll sich nun ändern. 

Am 18. Mai wählt Polen einen neuen Präsidenten. In den Umfragen führt Warschaus Bürgermeister Rafał Trzaskowski, Kandidat von Tusks Bürgerplattform. Mit ihm an der Spitze sollen viele Gesetze, die derzeit noch auf Halde sind, endlich unterzeichnet werden und in Kraft treten. Gesetzt den Fall, er wird überhaupt Präsident. Seine Konkurrenten, der Historiker Karol Nawrocki von der PiS und vor allem der Kandidat der rechtsextremen Konfederacja, Sławomir Mentzen, könnten noch für eine Überraschung im zweiten Wahlgang im Juni gut sein.

Schließlich sind die Polen nicht unbedingt glücklich mit der neuen Regierung. Ihre Gegner sehen staatsstreichähnliche Züge, weil sie zuweilen Urteile der politisierten Gerichte ignorieren. Doch auch ihre einstigen Unterstützerinnen sind enttäuscht, dass sie entscheidende Wahlversprechen nicht eingehalten haben, allen voran die Liberalisierung der Abtreibungsrechte. Abtreibung ist in Polen immer noch so gut wie verboten. Auch der aktuelle Asylkurs der Regierung schockiert viele, ist er in einigen Teilen doch noch extremer und radikaler als jener der populistischen Vorgängerregierung. Erst Ende März hat die Regierung etwa beschlossen, das Recht auf Asyl an der Grenze zu Belarus auszuhebeln. Ein klarer Verstoß gegen die Verfassung und das EU-Recht. Sehen so Politiker aus, die sich als Verteidiger der Rechtsstaatlichkeit präsentieren?

Einige Experten kritisieren, dass die Regierenden sich der historischen Tragweite des Moments einer Rückabwicklung der illiberalen Demokratie nicht vollends bewusst sind und – wie es Parteien nun einmal immer tun – nur in Wahlzyklen denken. Vielleicht ändert sich vieles nach der Präsidentschaftswahl – aber nur mit Rafał Trzaskowski. Sollte er verlieren, gibt es keinen Plan B, gestehen Regierungsvertreter in Interviews. 

Dann schauen Demokraten umsonst auf das polnische Märchen, das als Blaupause dafür hätte dienen sollen, wie man Autokraten nicht nur aus dem Amt jagt, sondern das repariert, was sie kaputtgemacht haben. •

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