Ecken des Anstoßes

Sprache, Verkehr und Diplomatie im Dreieck zwischen Wien, Berlin und München  : Kein Landstrich sorgt für so viele Irritationen zwischen Deutschland und Österreich wie das Deutsche Eck.

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Illustration  :
Nele Fierdag
DATUM Ausgabe September 2021

Als Kind, das im Sommer regelmäßig mit der Familie von Vorarlberg nach Wien fuhr, kannte ich nur ein Deutsches Eck. Es bestand aus Staus an der Grenze und einer dahinterliegenden Autobahn zwischen Kufstein und Salzburg. Ich wusste damals nicht, dass es sich dabei um ein österreichisches Deutsches Eck handelt. Das Deutsche Eck der Deutschen liegt gut 500 Kilometer entfernt, auf einer künstlich aufgeschütteten Landzunge in Koblenz – dort, wo die Mosel in den Rhein mündet.

Die Verwechslung zwischen dem deutschen Deutschen Eck und dem öster­reichischen Deutschen Eck, zwischen Fluss und Straße, illustriert, wie grundsätzlich Deutschland und Österreich mitunter aneinander vorbeireden. Beide Völker teilen sich zwar eine Sprache, übersehen dabei aber immer wieder, dass denselben Worten andere Begrifflichkeiten zugrundeliegen können. Das weiß jeder Österreicher, der schon einmal versucht hat, einem Deutschen zu erklären, dass er nun ausrasten möchte.

Das Deutsche Eck ist aber nicht nur in sprachlicher Hinsicht ein Brennglas für die Komplexität der nachbarschaftlichen Verhältnisse. Hier grenzt Österreich nicht nur an Deutschland, sondern auch – und für manche vor allem – an Bayern. Das deutsche Bundesland ist größer als Österreich und hat auch mehr Einwohner, trotz seines Status als › Freistaat ‹ bleibt es aber nur ein Glied des Ganzen. Gleichzeitig stehen sich ein Großteil Bayerns und Österreichs sprachlich sehr nahe. Man teilt die Skepsis gegenüber den Norddeutschen. Darüberhinaus haben die Bayern im Nachbarland auch Interessen zu wahren, seien es die ausgedehnten Waldbesitzungen der Bayerischen Staatsforsten im Salzburger Pinzgau oder eben der Transit durchs Deutsche Eck.

Das österreichisch-deutsche Verhältnis ist deshalb in vielen Bereichen vor allem eines zwischen Österreich und Bayern. In Berlin, wo man die österreichische Innenpolitik nur am Rande und wenn, dann mit einer Mischung aus Heiterkeit und Irritation verfolgt, übernehmen die Bayern große Teile der deutschen Österreich-Politik. In Berlin denkt man an Washington, Paris und Moskau. In München denkt man an Wien. Das Problem ist nur : Wien wiederum sieht sich auf Augenhöhe mit Berlin – und Innsbruck will auch manchmal mitreden. Je länger man die bilateralen Be­ziehungen zwischen Deutschland und Österreich betrachtet, desto stärker erinnern sie an die unmöglichen Figuren des Graphikers M. C. Escher.

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