Editorial Juli/August 2021: Der ORF und wir
Ist das wirklich das richtige Thema für die Sommer-Doppelausgabe? Interessiert sich das DATUM-Publikum für die Zukunft des Fernsehens und die Rolle, die dem ORF als öffentlich-rechtliche Institution und ganz we- sentlicher Träger und Treiber der österreichischen Gesellschaft und ihrer Identität darin zukommt? Diese zwei Fragen können letztlich nur Sie beantworten, liebe Leserin, lieber Leser. Für uns und unseren Gast-Kurator, den Regisseur und Autor David Schalko, war die Frage nach Relevanz und Aktualität des Themas aber schnell mit Ja zu beantworten. Die internationale Welt des Fern sehens ist mehr denn je im Umbruch, und der ORF selbst steht an einer Zeitenwende.
Im August wird der Stiftungsrat darüber entscheiden, wer in den kommenden vier Jahren Österreichs mit Abstand wichtigstes Medienunter- nehmen führen wird. Die strategischen Weichen- stellungen und die gelebte Unabhängigkeit in dieser Periode werden wiederum bestimmen, wie der ORF in den nächsten zehn Jahren aufgestellt sein wird. Das macht die Entscheidung des Stiftungsrates für uns zur ›Wahl des Jahres‹. Aber findet darüber eine dem Anlass entsprechende Debatte statt? Hat der Stiftungsrat – dessen Mitglieder im Übrigen nach §20 ORF-Gesetz genauso haften wie der Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft – eine Findungskommission auf die Suche nach der absolut besten Kandidatin, dem absolut besten Kandidaten losgeschickt?
Einen professionellen und transparenten Prozess mit einem Wettbewerb an Ideen gestartet? Fehlanzeige. Und eigentlich ein Skandal. Das Spiel im Vorfeld einer ORF-Wahl ist meistens gleich: Es dominieren Gerüchte und Verschleierungstaktik – der Stiftungsrat selbst beobachtet gespannt, gegenüber wem das Kanzleramt ausreichend freundliche Nasenlöcher macht, damit er oder sie eine Bewerbung abschickt. Alles findet im Inoffiziellen statt, wird im Hintergrund ausgedealt – selbst ein öffentliches Hearing am Vorabend der Wahl wird zur Farce.
Mit dem Schwerpunktthema dieser Ausgabe möchten wir der interessierten Öffentlichkeit einen Überblick darüber geben, in welchem Umfeld diese Personalentscheidung getroffen wird und wie viel davon abhängt, welches Team den ORF in die nächste Phase seiner Geschichte führt. Uns geht es dabei nicht um die Qualifikation einzelner Kandidatinnen oder Kandidaten, sondern um eine qualifizierte Debatte, um die gesellschafts- und demokratiepolitische Dimension dieser Wahl und um die fehlende Ernsthaftigkeit, mit der sie im Vorfeld behandelt wird.
Im heiteren Kandidatenraten kam es sogar so weit, dass ORF-Publikumsrat Golli Marboe in einem Presse-Gastkommentar auch meinen Namen ins Spiel gebracht hat. Das war wohlmeinend, ist ehrenvoll, hat mir bei meinen Kindern viel Anerkennung eingebracht, ist aber dennoch eine völlig absurde Vorstellung. Um zu vermeiden, dass dieses Heft als Bewerbung missverstanden wird, will ich daher nur kurz klarstellen: Eine solche wird es nicht geben.
So, nach einem fürs gesamte DATUM-Team sehr ereignisreichen und durchaus anstrengenden Frühling verabschieden wir uns in eine wohlverdiente Sommerpause. Das nächste Heft erscheint am 3. September und wird einige Überraschungen für Sie bereit halten. •
Bis dahin wünschen wir Ihnen einen erholsamen Sommer!
Ihr Sebastian Loudon