Ein indisches Spiel
Wie ich das erste Mal zu einer Schacholympiade reiste.
Mein Vater brachte mir die Schachregeln bei, als ich vier Jahre alt war, und seither hat mich das Spiel nicht mehr losgelassen. Wenn Sie Schachspieler sind, muss ich Ihnen den Grund nicht erklären, und wenn nicht, dann kann ich es nicht.
Na gut, ich versuche es trotzdem: Schach ist nicht einfach (nur) ein Spiel, es ist mehr ein ganzer Bereich menschlichen Schaffens, wie die Musik oder die Wissenschaft. Es kann fröhlicher Zeitvertreib, tiefe Suche nach der konkreten Wahrheit einer Position oder heftiger sportlicher Kampf um den Sieg sein – und ist meist ein bisschen von alledem. Im Schach ist der Zufall aufgehoben, was zählt ist der bessere Zug, und doch bietet es Freiheit für die Entfaltung eigener Ideen, Stile und Vorlieben. Schach wird auf der ganzen Welt nach denselben Regeln gespielt, es überwindet alle sprachlichen und kulturellen Barrieren, Kleinkinder spielen gegen Greise, Männer gegen Frauen, und seit dem Online-Schach-Boom können Sie zu jeder Tages- und Nachtzeit in Sekundenschnelle einen passenden Gegner in Ihrer Spielstärke finden.
Mitte September erfüllte ich mir einen lange gehegten Wunsch und fuhr als Berichterstatter zur Schacholympiade, die dieses Jahr in Budapest stattfand. Auch wenn viele Menschen Schach nicht als Sport sehen und ich ihre Gründe sogar verstehen kann: Die Schacholympiade ist alle zwei Jahre eine der größten Sportveranstaltungen der Welt, diesmal traten fast 2.000 Spielerinnen und Spieler aus 190 Nationen in Teams gegeneinander an. Die Atmosphäre war wie zu erwarten einzigartig. In keinem anderen Spiel oder Sport gibt es ein fast zwei Wochen währendes, unmittelbares Neben- und Gegeneinander von Amateuren aus der ganzen Welt und Top-Profis, wie dem über die Grenzen der Schachwelt hinaus bekannten Magnus Carlsen.
Nach elf Runden und zigtausenden Partien gewannen die Inder, womit Schach sozusagen nach Hause kam: In Nordindien soll das Spiel vor rund 1.500 Jahren entstanden sein. Die Olympiade war eine Reise wert, und beglückt fuhr ich mit dem Gedanken heim, dass meine kleine Tochter bald alt genug sein wird, um ihr endlich das Schachspielen beizubringen. •
Nächste Schacholympiade: Usbekistan 2026