Ein Leben im Tag von … Lucinda Childs

Die 83-jährige Tänzerin über Morgensport, Schlaftabletten und die Arbeit im Gemüsegarten.

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Fotografie:
Rita Antonioli
DATUM Ausgabe Juli/August 2023

Ich bin ein Nine-to-Five-Mensch. Nur bedeutet das für mich, morgens um fünf Uhr, allerspätestens um sechs Uhr aus dem Bett zu steigen. Früher ging ich danach in Tanz-Stunden, aber mit 83 Jahren gehöre ich dort nicht mehr hin. Ich habe deshalb mein eigenes Programm zusammengestellt. Eine ­Mischung aus Pilates, Yoga und Tai-Chi. Damit fühle ich mich sicherer. Ich trainiere in meinem Haus am Land, zwei Stunden entfernt von New York. Im Grunde brauche ich dafür nur eine Matte und eine Ballettstange. Ich mache das jeden Tag für eine halbe Stunde. Zwar tanze und performe ich nur einige Male im Jahr, aber auch dafür muss mein Körper kräftig bleiben.

Danach beginne ich mit der Arbeit. Ich bin selbstständig und schätze das sehr. Allerdings verbringe ich viel Zeit damit, Reisen zu planen und E-Mails zu schreiben, auch wenn mir meine Assistentin dabei hilft. 

Ich kümmere mich gerne zuerst um all diese Dinge und bringe sie schnell hinter mich. Dann werde ich zu einem normalen Menschen, der frühstückt. Omelett mit Gemüse oder Frühstücksflocken. Dazu Kaffee. Ich verzichte völlig auf Zucker. Er hebt und senkt die Energie, mal so, mal so. Deshalb passt Zucker nicht in meine Lebensplanung. Ich will so gesund wie möglich bleiben. 

Außerdem versuche ich, meine Haut einigermaßen faltenfrei zu halten. Dafür benutze ich Cremes und Seren von Barbara Sturm, einer deutschen Ästhetik-Ärztin, die gerade sehr populär ist. Für mich ist es das Geld wert. Ich sehe besser aus, ich fühle mich besser, also ist es gut.

Am Vormittag arbeite ich dann in meinem Gemüsegarten. Während der Covid-19-Pandemie hatten meine Partnerin und ich Angst vor Lebensmittelknappheit, also beschlossen wir, autarker zu leben. Seitdem bauen wir Salat, Zucchini und anderes Gemüse auf unserem Grundstück an.

Außerdem schreibe ich aktuell meine Memoiren, in denen ich meine Familiengeschichte aufarbeite. Mein Vater wurde auf Sansibar als Sohn von Elfenbeinhändlern geboren. Er war sehr enttäuscht von meiner Entscheidung, Tänzerin zu werden. Er hatte sich gewünscht, dass ich Ärztin werden würde wie er. Er hat bis zu seinem Tod nie etwas von meinen Werken gesehen, und das ist auch gut so. Ich glaube nicht, dass sie ihm sehr gefallen hätten.

Damals habe ich auch Robert Wilson kennengelernt. Mit ihm arbeite ich bis heute zusammen. Wenn ich im Ausland bin und wir Aufführungen ­gemeinsam machen, sitze ich meist schon um zehn Uhr morgens in der Maske und stehe erst abends auf der Bühne. Mit ihm zu arbeiten, ist körperlich fordernd, aber das stört mich bis heute nicht. 

Zuhause esse ich mittags meistens nur einen Salat. Danach arbeite ich den Nachmittag lang, oder lege mich aufs Sofa, um in der New York Times zu lesen. Dabei tanzt mir immer wieder mein Kater vor dem Gesicht herum. Er ist 13 Jahre alt, wurde von der Straße gerettet und braucht viel Liebe.

Abends schaue ich gerne noch eine Serie. Ich schäme mich nicht dafür, mich auf der Couch unterhalten zu ­lassen. Immerhin möchte ich wissen, worüber in der Zeitung geschrieben wird. Unlängst redeten alle über eine Serie namens ›Succession‹. Die Sprache war so derb, dass ich mich nicht darauf einlassen konnte. Aber ich bin nun einmal neugierig, worüber sich die Leute aufregen und was sie begeistert.

Spätestens um neun Uhr gehe ich dann zu Bett. Leider schlafe ich schlecht. Ich stehe immer wieder auf, gehe herum und trinke Wasser mit ­Magnesium. Alles Dinge, die helfen sollen. Manchmal erfolgreich, manchmal weniger. Wenn nicht, nehme ich eine Schlaftablette. Ich kann ja nicht die ganze Nacht wachbleiben, schließlich muss ich am nächsten Tag arbeiten.

Zur Person:

Lucinda Childs ist eine US-amerikanische Tänzerin und Choreografin. Die 83-Jährige gilt als ›Gigantin des Postmodernen Tanzes‹. Mit ihren Arbeiten prägt sie die Tanzgeschichte seit den 1970er-Jahren wesentlich. Diesen Sommer wird sie mit zweien ihrer Stücke auf der Bühne des Wiener Impuls-tanzfestivals zu sehen sein.