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Ein Tag bei der Schach-WM in New York City

DATUM Ausgabe Dezember 2016

Bei einer Schach-WM muss man nicht früh aufstehen. Die Partien beginnen erst um 14 Uhr, ich schlafe also aus und frühstücke im Café Konditori an der Ecke Bedford Avenue und North 7th Street. Jeden Tag gehe ich in dieses schwedische Espresso, in dem gar kein Schwedisch gesprochen wird: In einer flüssigen Stadt wie New York City braucht der Mensch feste Bräuche.

Bevor ich zur Partie fahre, ist noch ein Zwischenstopp am Union Square angesagt, wo die Park-Schachspieler sitzen. Immer nur Zuschauen ist auch fad, also nehme ich die Herausforderung von Rakim an. Er hat sein Plastikbrett auf einem Klapptischchen aufgebaut und winkt mich zu sich. ›Fünf Dollar‹, sagt Rakim. Wir spielen eine Partie Blitzschach, fünf Minuten pro Spiel, ich gewin­ne, aber Rakim möchte trotzdem seine fünf Dollar. ›Das ist kein Wettbewerb, sondern eine Spende‹, erklärt er. Und bekommt sein Geld.

Dann schnell ab Richtung Downtown zum Spielort der WM, dem Fulton Market Building im Manhattaner Seaport District. Dort stand bis in die 1970er-Jahre New Yorks größter Fischmarkt. Mit den vielen Backsteingebäuden sieht es hier aus wie in der Hamburger Speicherstadt.

Für das zahlende Publikum heißt es warten. Eine lange Schlange hat sich eine halbe Stunde vor Einlass vor dem Eingang gebildet, die paar hundert Tickets um 75 Dollar das Stück gehen weg wie ein Son­derangebot. Wer zu spät kommt, geht leer aus. Viele Familien mit schachbegeisterten Kindern stehen in der Schlange, überhaupt mehr junge als alte Schachenthusiasten: Das Klischee vom Schachspiel als Senioren­beschäftigung ist überholt.

Dank meiner Akkreditierung kann ich die Schlange hinter mir lassen und mir am Empfang das Armband für die an diesem Tag ausgetragene achte Partie überstreifen lassen.

Mit der Rolltreppe fahre ich in den ersten Stock und ergattere einen Platz mit Blick auf die Brooklyn Bridge. Dutzende Journalisten aus der ganzen Welt sind hier, nicht jeder findet eine Steckdose für seinen Laptop in dem zu klein geratenen Presseraum aus schwarzen Fertigteilwänden.

Im Café nebenan sitzen bald darauf die ersten Zuschauer und beobachten das Geschehen auf Monitoren, Großmeisterin Judit Polgár kommentiert vom WM-­Studio aus. Auf den Tischchen stehen Schach­bretter, damit man auch selbst Hand an­legen kann. Eine WM-Partie dauert bis zu sieben Stunden, da wirken ein paar selbstgespielte Blitzpartien zwischendurch belebend.

In kleinen Grüppchen dürfen die Zuschauer, wenn sie wollen, auch in eine Art Darkroom, in dem es keine Sessel gibt. Von dort aus kann man durch eine stark getönte Glasscheibe die beiden Spieler, Magnus Carlsen und Sergej Karjakin, aus einiger Distanz in Aktion sehen. Das erinnert ein bisschen an einen Zoobesuch. Nach einer Viertelstunde muss man wieder raus in den Vorraum.

Auch die Journalisten sind während der Partie hauptsächlich auf den Live­stream angewiesen, zum Spielraum gibt es keinen Zutritt. Ich verfolge das Spiel gemeinsam mit zwei deutschen Kollegen, wir schätzen Carlsens Chancen ab, heute seinen ersten Sieg zu erzielen: könnte klappen, sieht aber eher nicht danach aus.

Dann die Sensation: Carlsen verspielt in Zeitnot seine Chancen, der Weltmeister verliert, Underdog Karjakin geht in Führung. Zuschauer wie Journalisten fluten den Nebenraum, in dem die Spieler zur Pressekonferenz erwartet werden. Carlsen kommt als Erster, rauscht aber wortlos wieder ab. Der Norweger ist stinksauer, sein russischer Herausforderer grinst dafür wie ein Hutschpferd. Schachsport, wie ihn das Publi­kum sehen will, nach sieben Remis in Serie hat die WM ihren ersten Höhepunkt.

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