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Eine Frage des Überlebens

Der Ukraine gehen nicht nur Waffen aus, sondern auch Männer, die sie bedienen. Denn viele im wehrtauglichen Alter wollen nicht an der Front ihr Leben riskieren. Ilja ist einer von ihnen.

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Illustration:
Ūla Šveikauskaitė
DATUM Ausgabe Februar 2025

Ilja* will nicht sterben. Deshalb rennt er durch einen Wald irgendwo im Westen der Ukraine. Und auch wenn er seine Verfolger schon lange nicht mehr gesehen hat, in seiner Heimat könnten sie ihn überall einholen. Selbst oder vielleicht gerade hier.

Während dem jungen Ukrainer noch die Äste ins Gesicht schlagen, ist er mit seinen Gedanken bereits anderswo. Irgendwo in der Europäischen Union, zusammen mit seiner Verlobten. Er stellt sich vor, wie sie sich gemeinsam ein Leben aufbauen. Wie sie eine Wohnung mieten, heiraten, Kinder bekommen.

Iljas Ziel in diesem Wald ist die ­geschlossene ukrainisch-ungarische Grenze, die ihm ein Leben in neu gewonnener Freiheit eröffnen kann, so hofft er. Als er endlich vor ihr steht, blickt er auf einen meterhohen Stacheldrahtzaun. Einzig der trennt Ilja noch von einer geglückten Flucht aus der Ukraine, von einem aus seiner Sicht sicheren und sinnlosen Tod im Schützengraben.

Denn während die Ukraine im Osten ihre Grenzen gegen russische Invasoren verteidigt, ringt sie zunehmend um die Bereitschaft ukrainischer Männer, ihre Heimat zu schützen, anstatt sie Richtung Westen zu verlassen. Die patriotische Welle der ersten Kriegswochen, die hunderttausende Männer freiwillig in die Armee führte, ist längst abgeflaut. Der Ukraine fehlt es zunehmend an Soldaten. Um ihre Reihen zu füllen, gab der ukrainische Sicherheitsrat Ende Oktober bekannt, weitere 160.000 Rekruten bis Anfang 2025 einberufen zu müssen.

Neben Rekrutierungskampagnen schickt die Ukraine deshalb verstärkt Beamte an öffentliche Orte, sogar zu Konzerten, in Bars und Restaurants, um Einberufungsvorladungen zu verteilen. Vergangenen Frühling verschärfte sie außerdem das Mobilisierungsgesetz und setzte etwa zur selben Zeit das Einberufungsalter von 27 auf 25 Jahre herab. So konnte die Ukraine im Mai und Juni des letzten Jahres zwar insgesamt gut 60.000 Männer mobilisieren. Nur sanken diese Zahlen in den folgenden Monaten wieder. 

Als Konsequenz all dessen müssen sich männliche Ukrainer immer öfter entscheiden: Verteidigen sie im Fall der wahrscheinlicher werdenden Mobilisierung ihre Heimat mit der Waffe – oder wollen sie das Gesetz brechen, sich verstecken und im äußersten Fall ihr Land verlassen?

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