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Eiszeit

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Illustration:
Blagovesta Bakardjieva
DATUM Ausgabe Februar 2025

Das neue Jahr ist erst einen Monat alt, aber es fühlt sich sehr viel älter an. Der österreichische Präsident hat nach der Implosion der Verhandlungen zu einer Dreierkoalition erstmals einen Freiheitlichen mit der Regierungsbildung beauftragt, der amerikanische spielt mit dem Gedanken, sich Territorium eines NATO-Verbündeten einzuverleiben, und sein First Buddy gießt Öl in einen von Gewaltverbrechen sowieso schon aufgeheizten Wahlkampf in Deutschland. 

Man könnte diese Liste an Tabubrüchen noch lange fortführen. Viele der Schlagzeilen der letzten Wochen hätten vor einem Jahr noch wie die Kulisse einer leicht überdrehten Netflix-Dystopie gewirkt.

Es gibt einfachere Übungen, als in so atemlosen Zeiten etwas so langsames wie ein gedrucktes Magazin zu machen. Nur damit Sie eine Vorstellung haben, was ich mit langsam meine: Ich schreibe diese Zeilen am Tag nach dem internationalen Gedenken an die Befreiung von Auschwitz. In Österreich knirscht es gerade zwischen FPÖ und ÖVP, aber es ist noch unklar, ob es sich um Theaterdonner handelt oder ob die Bereitschaft der Schwarzen, sich von den Blauen demütigen zu lassen, doch Grenzen kennt. 

Im Gegensatz zu mir beim Schreiben werden Sie beim Lesen also vielleicht schon wissen, ob Herbert Kickl Österreichs nächster Kanzler wird oder ob sich dieses Land ein weiteres Superwahljahr gönnt. Sie haben also das, was lange Zeit die Grundlage der Arbeit von uns Journalistinnen und Journalisten war: einen Informationsvorsprung.

Aber so sehr wir hier in der Redaktion die ›Eiszeit‹ zwischen Abgabe an die Druckerei und Erscheinen immer wieder verfluchen, so sehr wissen wir auch, dass nichts uns erbarmungsloser zwingt, uns auf das Wesentliche unserer Arbeit zu konzentrieren: sorgfältig zu recherchieren und einzuordnen, statt einfach nur irgendwie mitzuhecheln.

Wir haben auch in dieser Ausgabe wieder versucht, sowohl das große Ganze in den Blick zu nehmen, den berühmten ›Wald‹, den man manchmal vor lauter Bäumen nicht mehr sieht, als auch, uns ein paar besonders interessante Bewohner dieses Waldes genauer anzuschauen. 

Im Schwerpunkt versuchen wir innezuhalten und zu verorten, wie es zu dem politischen Scherbenhaufen gekommen ist, vor dem Österreich derzeit steht: Wie konnte uns das Budgetdefizit, das zum Kollaps der Verhandlungen von ÖVP, SPÖ und Neos beigetragen hat, eigentlich so überrumpeln? Wieso macht sich die politische Mitte in Österreich seit Jahren kleiner als sie ist? Und was bedeutet die Selbstverzwergung der konstruktiven Kräfte für den unabhängigen Journalismus in diesem Land?

Wir haben aber nicht nur die Mitte der Gesellschaft unter die Lupe genommen, sondern sind auch einer Geschichte nachgegangen, die auf den ersten Blick ganz am Rand spielt. Es geht darin um eine Gruppe, die sich ›Sächsische Separatisten‹ nennt und das wohl nicht zufällig mit ›SS‹ abkürzt. Acht ihrer Mitglieder ließ die deutsche Bundes­anwaltschaft im November festnehmen, und zwei von ihnen haben österreichische Wurzeln. In enger Zusammenarbeit mit Kollegen von MDR Investigativ haben wir recherchiert, wie weit die Vorbereitungen der mutmaßlichen Rechtsterroristen für einen ›Tag X‹ gediehen waren und welche Rolle ­Österreich dabei gespielt hat. 

Spoiler: eine deutlich größere als bisher bekannt. Elon Musk kommt auch vor, aber lesen Sie doch am besten selbst. •

Viel Freude mit den neuen Seiten der Zeit wünscht Ihnen 

Elisalex Henckel

elisalex.henckel@datum.at

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