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Es ist Zeit – zu träumen

Warum wir Österreich nicht der Regierung überlassen dürfen.

DATUM Ausgabe Dezember 2017

Ich bange um uns. Und diesmal betrifft dieses Bangen eher ›uns Österreicher‹ als ›uns Europäer‹. Weniger, weil die alte österreichische Ordnung zerbirst und wir das in den Parteien, den Kammern und einigen der Länder- und Kommunalstrukturen in den nächsten Monaten weiterhin beobachten werden. Ich mache mir weniger darüber Sorgen, dass noch keine ›neue Ordnung‹ sichtbar ist.

Ich sorge mich hingegen, dass wir noch zu wenige sind, die eine ›neue Ordnung‹ zwar für notwendig halten – nicht allerdings in der Art und Weise, in der die demnächst Regierenden sie bereits angekündigt haben. ›Wann Krieg beginnt, kann man wissen, aber wann beginnt der Vorkrieg?‹ Diese Frage stellt Christa Wolf in ihrer Erzählung ›Kassandra‹. Diese Frage betrifft uns. Denn Kriege fangen früh an, in unsichtbaren Wahrheiten hinter der sichtbaren Welt von Fakten.

›Die Frage nach dem Beginn des Vorkriegs führt Christa Wolf zurück zur Entstehung eines Denkens, dem Gewalt nicht nur strukturell innenwohnt, sondern das zugleich der sichtbaren, kriegerischen Gewalt den Boden bereitet‹, schrieb ­Stefanie Risse dazu 1986 in einer Arbeit zu ›Kassandra‹. Dieses Denken sei stärker als die Individuen, in denen es wirke. Es seien nicht diese Personen, die Christa Wolf als Subjekt der Geschichte gelten, sondern das Denken selbst, so Risse. Wolf versuche Selbstverständliches bewusst zu machen: ›Emanzipation und Subjektwerdung kann es nur im Aufbrechen internalisierter Strukturen geben‹.

Nun sehen wir, dass internalisierte Strukturen – seien das Parteiorganisationen oder Pflichtmitgliedschaften – aufbrechen. Doch sie implodieren visionslos, ohne dass heterogene Gruppen von Gestalterinnen und Gestaltern übernehmen könnten. Solche Prozesse enden höchstens in verkleinerten Rumpfstrukturen, die noch defensiver als vorher an einer alten Logik festhalten.

Jetzt ist die Zeit, um über die Grenzen von Parteien hinweg von einem anderen Österreich, von einer anderen demokratischen Ordnung für gegenwärtige und zukünftige Generationen zu träumen.

Bereiten wir jetzt schon den Boden für eine nächste Regierungskoalition, die nicht spaltet, überrumpelt und übervorteilt. Eine Koalition, die politische Fragen politisch löst und nicht politische Fragen durch Versicherheitlichung zu lösen vorgibt (die Presse schrieb im November von ›massiven Verschärfungen im Asylwesen, eine Ausweitung der polizeilichen Befugnisse, Terrorprävention inklusive Cyber­sicherheitszentrum‹).

Eine Regierung, die in ihrem Selbstverständnis demokratisch ist, handelt besonnen, inklusiv und vorausschauend – und sie behandelt große Fragen groß und kleine Fragen klein. Die großen Fragen sind unter anderem: Zukunft des Sozialstaates, Wertschöpfung, Besteuerung, Klima- und Verkehrswende.

Eine Regierung, die Respekt vor dem Souverän (uns) hat, kann per se nicht ›tun, was richtig ist‹, wie im Wahlkampf angekündigt. Weil es anmaßend ist, wenn sie zu wissen glaubt, was ›das Richtige‹ ist. Weil sie moralisch gar nicht wissen können darf, was richtig wäre.

Die Regierung eines Landes, das christlich-­sozial geprägt ist, baut Brücken statt Mauern. Sie nutzt das kumulative Erfahrungs- und Fachwissen für Reformprozesse. Beginnen wir mit Gesprächen darüber, wer wir heute eigentlich sind, wen wir zum ›wir‹ zählen, was uns zusammenhält, was uns stärkt, uns schwächt und darüber, welche Überlegungen wir für unsere soziale, ökonomische und politische Zukunft anstellen. Dazu braucht es kein Bangen, sondern Mut – und konsequenterweise unsere Taten.

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