Feministin sagt man nicht

Unsere Autorin hat eine Aufgabe im Leben: Sie ist Feministin. Aber was heißt das heute überhaupt?

DATUM Ausgabe September 2018

Mit dem Feminismus ist das so: Eigentlich würde ich viel lieber im Wald spazieren gehen. Ich würde gerne eine Schafherde züchten, ich würde gerne öfter Romane lesen. Lieber hätte ich Zeit für Müßiggang, lieber würde ich Klavier lernen oder Gebärdensprache oder die Titel aller Jazzlieder. Und eigentlich hätte ich gerne ein Buch mit Kurzgeschichten geschrieben. Aber das spielt’s halt nicht. Denn in der Sekunde, in der bestehende Strukturen hinterfragende Worte den Mund einer Frau verlassen, versammeln sich im Internet die Menschen, wie das einst im Mittelalter gewesen sein muss (wenn man den gängigen Filmen glaubt), und sie zeigen auf dich, und alle fangen in fieberhafter Aufregung an zu schreien: ›FEMINISTIN! FEMINISTIN! FEMINISTIN!‹ Und dann hast du eine Aufgabe im Leben.

Ich war Spätzünderin. Ich war Schülerin, Studentin, Journalistin, Tochter, Schwester, Freundin, Sitznachbarin, Hundebesitzerin. Und schon in der Schule war ich ›a pain in the ass‹ gewesen, wie es mein mittlerweile ehemaliger Chef kürzlich voller Wertschätzung sagte (also wirklich voller Wertschätzung). Bei meinem Opa beklagte ich mich, weil in seinen Gutenachtgeschichten immer die Frauen die Unglücklichen waren, denen Farbkübel auf den Kopf fielen; meinen Lehrern sagte ich es vor der gesamten Klasse, wenn sie zu unfreundlich waren, zu unfair, wenn sie Angst in einigen von uns auslösten, wenn Klassenkolleginnen zu weinen begannen. Da kannte ich nichts, da wurde zurechtgewiesen und mit Besserungsvorschlägen um mich geschleudert und Freundlichkeit und Respekt gefordert. Schließlich versuchen wir doch alle, das Leben so gut wie möglich über die Bühne zu bringen. Mit so wenig Hass und Streit und Zwietracht wie möglich – das möchte ich zumindest bis heute glauben. In meiner Arbeit war es dann ähnlich, daher die Worte meines Ex-Chefs, denen noch weitere folgten: ›Aber es ist sehr wichtig, Menschen wie dich in einer Firma zu haben.‹ Und ich wusste, dass er es so meint, obwohl ich wirklich oft Veränderung gefordert hatte, die ihn viel Nerven und die Firma viel Geld gekostet haben muss.

Warum ich trotzdem sage, dass ich Spätzünderin war: Ich selbst habe mich nie als Feministin bezeichnet, obwohl ich längst eine war, und ich sah nicht nur keine Notwendigkeit darin, ich dachte nicht einmal darüber nach. Und ehe ich mich versah, nahm mir der Feminismus meine Berufsbezeichnung weg. War ich auf Podiumsdiskussionen kurz zuvor noch Journalistin gewesen, war ich auf einmal Feministin: ›Es diskutieren Rechtsanwalt Sepp Hubendübel, Medienimperiumsbesitzer und Schriftsteller Franz Hackenbuchner, Schauspielerin Lise Huber und Feministin Hanna Herbst.‹ Eine ganz klare Einordnung, unter der meine Aussagen zu hören und zu werten waren. Ein Disclaimer. Und unter diesem Disclaimer waren auch alle Aussagen und Anliegen für viele quasi zu verwerfen, weil überzogen, weil hysterisch, weil männerfeindliche Männerhasserin.

Antifeministinnen und Antifeministen begegneten mir mit Stolz – und das hatten sie nie getan, bis ich diese Bezeichnung mit mir trug –, denn Antifeminismus ist nicht einmal tauglich für die Rebellion des gemeinen Stammtischrevoluzzers. Antifeministischen Aussagen muss kein ›Das wird man ja wohl noch sagen dürfen‹ nachgestellt werden, weil es für viele vollkommen selbstverständlich zu sein scheint, dass man das sagen darf. Feministinnen, gegen die muss laut und stolz angekämpft werden, gegen Feministinnen, gegen die gehört das traditionelle Familienbild verteidigt, weil Feministinnen, die wollen Bewährtes zerstören, die wollen Buben im Wachstumsstadium für ein Jahr an einen Sessel fesseln, damit ihre Muskeln verkümmern und sie später nicht stärker sind als Frauen. Feministinnen, die handeln nur aus sexueller Frustration heraus, weil ihre Anliegen sind doch längst geklärt. Wir sind doch alle längst gleichberechtigt, Frauen dürfen wählen, sie brauchen nicht mehr die Erlaubnis ihres Ehemannes, wenn sie arbeiten möchten, in der Ehe vergewaltigen darf man sie auch nicht mehr und auf den Hintern greifen nicht und jetzt darf Mann ja sowieso nichts mehr, nicht einmal flirten, weil da kommst, ehe du dich versiehst, unschuldig ins Gefängnis.

Aber die Geschlechterfrage bleibt auch nach mehr als einem Jahrhundert feministischen Diskurses und ebenso vielen Antwortversuchen in einem beinahe tragischen Ausmaß unbeantwortet. Wer eine Antwort hat, soll alle Friedensnobelpreise gewinnen, die die Welt je gesehen hat und auch in Zukunft sehen wird (vor allem bitte den, den die EU einmal bekommen hat). Das Problem ist, dass die Fragen oft einfach nicht gehört werden – oder nur von denen, die sich dieselben Fragen stellen.

Schon in der Schule war ich ein ›pain in the ass‹.

Doch die Arbeit derer, denen es nicht reicht, dass Frauen doch eh wählen dürfen, scheint dieser Tage zur Schadensbegrenzung verdammt. Es gibt so viele kleine neue Feuer zu löschen, dass wir uns kaum die Frage stellen können, was es benötigen würde, um diese Feuer gar nicht erst entstehen zu lassen. Dabei müsste an der leichten Entflammbarkeit des Bodens gearbeitet werden, vielleicht sogar hinterfragt werden, ob der mittlerweile ausgebrannte, nährstofflose, toxische Boden überhaupt der richtige ist. Und deswegen bleibt auch keine Zeit für eine Schafherde im schottischen Hochland. Deswegen muss ich durchs Leben wandeln, ohne die Jazztitel dieser Welt zu kennen, und deswegen kann ich gehörlose Menschen bisher auch nur fragen, ob sie Tee möchten.

Ich bin abends oft nach Hause gekommen, um mich vollkommen erschöpft um 20 Uhr ins Bett zu legen und sofort einzuschlafen. Weil alles aussichtslos schien, weil alles zu viel, zu anstrengend war. Weil ich nicht einsah, weshalb uns so viel Zeit geraubt wird durch all das. Weil ich es unfair fand, dass diese Zeit anderen nicht geraubt wird. Aber leider ist es keine Alternative, die Feuer nicht zu löschen. Weil sonst werden auch alle Frauen nach uns viel zu wenig Zeit für Schafherden und Müßiggang haben, weil sie Wasser tragen, weil sie Angehörige pflegen müssen. Und bis dahin muss ich etwas Versöhnliches sagen, weil ich das am liebsten mache: Feministin ist man nicht, weil man sich als solche bezeichnet (looking at you, Robert Lugar), Feministin ist man, wenn man dementsprechend handelt.

›Feminismus sagt man nicht‹ (136 Seiten) erscheint Ende ­September im Brandstätter Verlag.