Verstehen Sie mich?

DATUM Ausgabe September 2018

Dafür, wie gut Menschen einander verstehen, habe ich ein schönes Beispiel: Thomas Gottschalk, der große Blonde mit den Cowboystiefeln, hat in einer Talkshow nicht ohne Bitterkeit das Unausgewogene von Ursachen und Wirkungen im Fernsehen thematisiert. Er ächzte über den Aufwand, mit dem man sein ›Wetten, dass …?‹ betrieben hat – und dann kommen ein paar Leute daher und kriegen riesige Quoten mit einer Sendung wie ›Bares für Rares‹, in der nichts passiert, als dass man altes Zeug verscherbelt.

Das hat einen Leser der Krone dermaßen aufgeregt, dass er in einem Brief ans Leibblatt der Öffentlichkeit mitteilte, er hielte diesen Gottschalk für einen arroganten Snob, der die Schönheiten einer Verkaufsshow mit abgewrackten Hab­seligkeiten nicht verstünde. Falsch, denn Gottschalk wollte genau auf das Gegenteil aufmerksam machen, darauf nämlich, wie einfach ein Erfolg zu haben ist und wie man ihn verfehlen kann, gerade wenn man einen großen Aufwand treibt.

Ja, es ist leider so, dass man zuhören muss, will man wissen, was ein anderer sagt, und ich bin der Erste, der zugibt, dass es sich eh nicht auszahlt. Aber hin und wieder empfängt man im Nebel ­seiner Empfangsbereitschaft doch die Botschaft, die nichts zu wünschen übrig lässt. Ich spreche von Fellners Fernsehsender Ö24, der in der Hitzeperiode ­dieses Sommers Glanzleistungen vollbracht hat.

Gut, ich höre den Ö24-ReporterInnen zu und ich verstehe, wie man sagt, kein Wort, also zwei, drei Wörter verstehe ich schon, manchmal sogar den Sinn im Ganzen, ohne ein Wort im Einzelnen zu verstehen. Es ist also wie alles, was von Fellner kommt, eine Hetz, und ich empfehle jedem Menschen, der lachen will, ganz im Ernst den Sender Ö24.

Wo nämlich haben sie sowas wie das Folgende? Die Reporterin redet unverständlich, wunderbar, herrlich! Verständnisinnig schnappe ich dann doch auf, worum es geht: In einem Wiener Lokal hat einer gesagt: ›Die Stelze ist zu fett!‹ Darauf kam es zum Bürgerkrieg. Wer kann denn glauben, dass eine solche Bezichtigung widerstandslos hingenommen wird – die Heeresgruppe ›Zu fett‹ trat sofort gegen die Heeresgruppe ›Keineswegs zu fett‹ an. Ob es Verletzte gab, habe ich nicht verstanden, aber den Ernst der Lage hat mir die Reporterin durch klare Gestik vor Augen geführt.

Dann aber schaltete man per Telefon die Stimme eines Mannes ins Studio, bei dem man wieder jedes Wort verstand, der aber leider auch nie sagt, was er alles weiß: Manfred Ainedter, Anwalt der armen Reichen. Offenkundig hatte er die Heeresgruppe ›Eh nicht zu fett‹ juristisch unterstützt. Sträflich bagatellisierte dieser Jurist den Vorfall, völlig verkennend, dass in der Stelzenfrage das Herz des Wieners beispielhaft schlägt, bis hinein in die kardiologischen Stationen unseres Gesundheitssystems, das jetzt von unserer neuen Regierung total reformiert wird: Allerhand wird verschmolzen, allerhand zusammengelegt, ein bissl experimentiert wird auch, aber gewiss, ›Leistungen‹ für die Patienten, für diese Schäflein der Regierung, werden niemals gekürzt. Freuet euch, bis euch die Wahrheit ins Gesicht schlägt und ihr als arme Sünder zur einen ›Österreichischen Gesundheitskassa‹ pilgern werdet.

So! Und jetzt kommt die Wahrheit und nichts als die Wahrheit, nicht einmal eine Version von ihr, sondern sie selbst in Reinkultur. Dabei geht es nicht um Wahrheit im metaphysischen Sinn, sondern um die einfache Übereinstimmung einer Erzählung mit einem tatsächlichen Ereignis: Im Railjet fuhr ich von Graz nach Wien. Außer einer Dame war ich in der Business Class der einzige Passagier. Die Dame war Karin Kneissl, unsere Außenministerin.

Ich erkannte sie sofort, denn Frau Kneissl hatte ich, als sie noch als Publizistin wirkte, nach Gmunden zu einer Veranstaltung der Oberösterreichischen ›Kulturvermerke‹ eingeladen. Jutta Skokan, die Chefin der ›Kulturvermerke‹ und damals noch die Intendantin der ›Salzkammergut Festwochen‹, wollte dem Publikum einen Vortrag über die Lage im Mittleren Osten bieten. Die Publizistin war mit ihren beiden Hunden, mit Winston (Churchill) und Jacky (Kennedy) nach Gmunden gekommen, und ich dachte, auch Bismarck war ein Hundefreund, und da ich gehbehindert bin, erlaubte ich mir im Zug, die Außenministerin mit Gesten zu bitten, nach vorne zu kommen, um neben mir Platz zu nehmen.

Frau Kneissl hat ein freundliches Wesen und nicht den geringsten Hochmut, und so kam sie tatsächlich. Wir starteten eine unterhaltsame Plauderei. Sie zeigte mir ein Foto von ihrem neuen Haus und hielt ein kleines, sehr spannendes Referat über Wärmepumpen, über deren Leistungsfähigkeit und die Probleme, die man mit ihnen doch bekommen kann.

Ich hatte mich gewundert, dass die österreichische Außenministerin so ganz ohne Bewachung von Graz nach Wien reist, aber ich dachte, das ist eben das Schöne an Österreich: Hier stellt der Innenminister (um den es eine Zeit lang bedenklich still geworden ist) eine Pferdetruppe zusammen, während die Außenministerin im Railjet unbewacht von Wien nach Graz saust.

Die Rechten bauen Österreich um, damit es ihnen ganz allein ähnlich sieht.

Aber das Haus, das Haus, das sie mir gezeigt hat … Wohnt Frau Karin Kneissl nicht in Niederösterreich? Das Haus der Dame vis-à-vis von mir im Railjet stand in Wien, in Strebersdorf, und gab es einen einzigen Vortrag von Karin Kneissl, in dem eine Wärmepumpe die Hauptrolle spielte? Das technische Talent der Dame neben mir, die begeistert von Wärmepumpen aller Art berichtete, ist an Karin Kneissl niemals hervorgetreten. Vielleicht war das gar nicht die Außenministerin, diese Dame, die  in Strebersdorf ein Anwesen besaß. Zu meiner Verteidigung kann ich sagen, die Ähnlichkeit war nicht polizeierlaubt.

Durch geschickte Identitätspolitik, durch mehr oder weniger indiskretes Fragen, stellte sich schön langsam (das heißt: in Mürzzuschlag) heraus, wer mir da gegenübersaß: Die Dame war einst Zugbegleiterin gewesen, zu meiner Zeit sagte man: ›Schaffnerin‹. Der Job wurde ihr zu gefährlich, im Zug war man den Fahrgästen ausgeliefert, nicht alle waren auf eine Plauderei mit der Außenministerin aus. So ließ sie sich zur Lokführerin ausbilden, und in dieser Eigenschaft hatte sie am frühen Morgen einen Zug nach Graz gelenkt. Sie fuhr mit mir zurück – für wen sie mich gehalten hat, weiß ich bis heute nicht.

Das Lachen soll mir im Hals stecken bleiben, denn nicht einmal ich, ein Menschenfreund, kann leugnen, dass die Rechten derzeit Österreich umbauen, damit es ihnen ganz allein ähnlich sieht. Das Land soll ihr Spiegel werden, kein Andersdenkender soll sich im Land je wiedererkennen. Die Postenverteilung ist ein Zeichen: Herr Mahrer bekommt alle Posten, die er auf seinem Weg aufklauben kann.

Aha, Präsident der Nationalbank ist er jetzt auch, und am besten wäre es, er wird überhaupt alles – außer Kanzler, denn einer muss ihn ja zu allem ernennen. Das Antlitz einer gierigen Bourgeoisie erhebt ihr anachronistisches Haupt. Das Haupt sieht ganz nach Mahrer aus. Mit seiner Vizepräsidentin Barbara Kolm bildet der Präsident Mahrer das Herrscherpaar der österreichischen Zukunft, den türkis-­blauen Doppelgeier aus autoritärem Nationalradikalismus und Neoliberalismus. Die Zukunft hat schon begonnen.

Von Barbara Kolm, einer Hayek-Vorzugsschülerin (und ›Vertrauten‹ von HC Strache) kann man lernen, wie der Begriff der Freiheit einen Totalitarismus begründen kann, der dem des Kollektivismus in nichts nachsteht. Aber ich versteh’s nicht. Finanzminister Hartwig Löger nennt Kolm und Mahrer ›ausgewiesene Persönlichkeiten.‹ Wenn die ausgewiesen sind, wie können sie dann überall im Land herumstehen?

Ich verstehe dafür Anneliese Rohrer. Mit Recht sagt sie, das signifikante Problem sei nicht, dass Harald Mahrer, Präsident auch des Wirtschaftsbundes, alle Jobs in our little world bekommt. Problem ist, dass er diesen Job in der Bank bekommt: ›Noch nie in der Geschichte der Zentralbank war der Chef einer politischen Organisation Chef des Aufsichtsgremiums. Im Statement der Nationalbank heißt es, sie sei ‚unabhängig.’ Der Wirtschaftsbund aber untersteht dem Bundesparteiobmann.‹

Schlecht ist, wer da schlecht denkt. Zum Beispiel ich, der die Punkte zusammenzählt, durch die die Orbánisierung darstellbar wird. Orbán hat Flüchtlinge hungern lassen, sein Staat foltert Unwillkommene. Natürlich ist Orbán nichts gegen Putin, und wenn man sich darüber beklagt, dass nur ein (›nicht akkreditiertes‹) russisches Medium das zutiefst österreichische Hochzeitsfest der Außenministerin filmen durfte, möge man doch für alle Zeiten in Erinnerung behalten, dass Ö24, Fellners Sender, zwölf Stunden lang vom Schauplatz filmte, ohne den Schauplatz zu filmen. Ö24 stand nämlich in der Nähe und filmte das Erlaubte, nämlich nichts, während bei Tscheppe der russische Bär los war und ein Tänzchen wagte.

Unvermeidlich schwärmt der Auto­ritarismus für Putin und will zu ihm hin seine Brücken bauen. Gudenus ist ein Pontifex, ein Brückenbauer, und ­Strache in Tracht verkörpert zwar einmalig die autochtone Bevölkerung, aber warum sollte er nicht auch eine russische Seele haben? Ein Leserbrief an die Krone unterschreibt paradigmatisch die hoffnungsvolle Tendenz des neuen Österreich und zieht gleich ganz Europa mit hinein: ›Hoffentlich wacht Europa ­endlich auf und erkennt, dass unsere Zukunft nicht bei Merkel und den Amis liegt, sondern in Russland.‹ Das wird ein Erwachen sein!

Allein wer auf Ö24 die Sendung von den Nicht-Vorgängen gesehen hat, kennt den Grad der Selbstprovinzialisierung, den Österreich unter der Herrschaft der Brücken- und Umbauer erreicht hat. ›Gamlitz‹, hat ein Bürgermeister gesagt (nämlich der von Gamlitz), ›ist jetzt weltweit bekannt.‹ Genau, und dafür lohnt es sich: Ö24 hatte eine Reporterin und einen Reporter nach Gamlitz gesandt.

Die junge Reporterin gewann den Weltmeisterschaftstitel im Bullshit-Reden. Außer der Mitteilung, dass es heiß war, hatte zum Glück nichts, was sie sagte, irgendeinen Sinn. Sie war sich nie ganz sicher, ob sie einer Parodie beiwohnte oder einer Feier, die eh niemanden was angeht. In dieser Unentschiedenheit wirkte sie blendend, und ihr seriöses Pendant, ein netter älterer Herr von Ö24, der nach eigener Auskunft 40 Jahre Außenpolitikberichterstattung auf dem Buckel hatte, konnte nicht mithalten.

Außerdem hatte dieser Mann einen gefährlichen Tick: Während seine Kollegin ›vom Ausnahmezustand in den Weinbergen‹ schwärmte (als ob in den Weinbergen der Ausnahmezustand nicht die Regel wäre), pflegte der Außenpolitiker ein obszönes Verhältnis zum Wort ›aufschlagen‹: ›In einer Stunde‹, sagte er zum Beispiel, ›schlägt Präsident Putin am Flughafen Graz auf.‹ Habe die Ehre, wenn das der russische Geheimdienst abgehört hätte, es hätte ein Erwachen in Moskau gegeben. Aber uns hören ja nur ›die Amis‹ ab.

Selbstverständlich war der hofierte Russe in Gamlitz gar nicht Putin; es war sein Double, ein gewisser Jepantschin aus Petersburg, dem sein Präsident gesagt hatte: ›Hör mal, Jepantschin, es ist schwer, mein Double zu sein, ich weiß es. Also fahr du nach Gamlitz und mach dir schöne 70 Minuten.‹

Die 50 Donkosaken waren Hiesige, nämlich die Rebroff-Boys aus Ottakring, sie treten montags, dienstags und freitags bei der 10er-Marie auf, wenn’s die überhaupt noch gibt. Nur Karin Kneissl (›es war kein Kniefall, es war ein Knicks‹) war ganz echt.

Was tut denn, während Gamlitz tanzt, meine Lieblingsregierung, nämlich die türkis-blaue in Oberösterreich? Der oberösterreichische Landeshauptmann, Thomas Stelzer, ein kalter Typ, setzt immer ein warmes Lächeln auf, wenn eine Kamera kommt, aber weil sein Lächeln gar so aufgesetzt wirkt, unterstreicht es nur seine Kälte.

Unvermeidlich schwärmt der Autoritarismus für Putin und will zu ihm hin seine Brücken bauen.

Die Oberösterreichischen Nachrichten haben den Tenor der Kulturinitiativen überliefert: ›Die oberösterreichische Kulturlandschaft blutet aus.‹ Kulturvereine kämpfen nach der Kürzung des Landeskulturbudgets mit Privatkrediten ums Überleben und denken ans Zusperren. Zu den Strategien, mit denen die oberösterreichische Obrigkeit die Leute entmutigt, gehört es, entweder absichtlich oder aus Unvermögen Förderansuchen monatelang liegen zu lassen. Das verunsichert Menschen und verschiebt jede Planungssicherheit ins Reich des Hazards. Wenn sich das nicht ändert, sagen Betroffene, dann ›werde binnen weniger Jahre alles zerstört sein, was über Jahrzehnte aufgebaut wurde.‹

Wie naiv, das für eine Drohung oder gar nur Warnung zu halten: Die besagte Zerstörung ist das Ziel. Auch der Landeshauptmann wünscht eine schnellere Erledigung der Förderansuchen – Erledigung ganz im Sinne von Zerstörung. In der Landeskulturdirektion hat man sogar Josef Ecker, den Verantwortlichen für die Kulturinitiativen, entlassen. ›Man habe Ecker nicht mehr gewollt‹, referieren die Oberösterreichischen Nachrichten eine Insider-Ansicht, ›weil er empathisch und im Sinne von Künstlern wie Kulturschaffenden über die Fördermittel entschieden habe … Jeder in jüngster Zeit aufgetretene Fehler sei Ecker angelastet worden, man habe ihn mürbe gemacht … Er soll sich obendrein gewehrt haben … die von der Politik entschiedene Kürzung der Kulturförderung im Rasenmäherstil durchzuziehen … Als … Kenner der Szene sei er bestrebt gewesen, Bedürfnisse der Förderwerber abzuwägen und künstlerische Inhalte Jahr für Jahr aufs Neue zu bewerten.‹ Ecker vor den Vorhang! Und auch die Oberösterreichischen Nachrichten, deren Redakteure sich – jedenfalls noch – kein Blatt vor den Mund nehmen. Der Sachverhalt ist paradigmatisch, vorbildlich für die türkis-blaue Kulturpolitik.

Daniel Barenboim hat es entschieden gesagt: ›Die populistischen Bewegungen sind absolut kulturfeindlich.‹ Das aber heißt im österreichischen Kulturstaat der Umwegrentabilitäten, dass die Populisten zusammen mit den türkisen Neoliberalen einen schnieken und aus ihrer Sicht effektiven Betrieb mit der totalen Übermacht sogenannter ›Klassik‹ aufbauen wollen, und zwar rücksichtslos auf Kosten gegenwartsbezogener Kulturinitiativen, die auch experimentell und manchmal nicht effektiv sind, die aber unter anderem dabei mithelfen, den Pluralismus zu bewahren, die Vielschichtigkeit von Bemühungen, deren Vereinheitlichung ein Angriff auf die Freiheit ist.