›Jeder von uns hat Gandhi und Hitler in sich‹

Nicholas Ofczarek und David Schalko über Arschlöcher, politische Korrektheit und den ›geheimen Deal‹ hinter dem Rechtsruck.

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Fotografie:
Stefan Fürtbauer

David Schalko betritt pünktlich den Besprechungsraum im Burgtheater. Er grüßt, geht am Nichtraucherzeichen vorbei zum Fenster, öffnet es, und steckt sich eine Zigarette an. Zwei Tschick später tritt Nicholas Ofczarek durch die Tür. Er kommt von der Probe zu ›Mephisto‹, stark geschminkt: ›Tageslicht. Interessant.‹ Nach einer freundschaftlichen Begrüßung zitiert Ofczarek einen Schauspielerkollegen: ›Irgendwann reicht es. Jeden Tag in abgedunkelten Räumen darauf warten, dass man gelobt wird.‹

Herr Ofczarek, Herr Schalko, Sie sind beide Väter. Wie bringt man seinen Kindern Moral bei?

David Schalko: Moral bringt ein Mensch auch mit auf die Welt, das ist nicht immer etwas Anerzogenes. Wenn ein Mensch auf die Welt kommt, weiß er zum Beispiel, dass er einen anderen Menschen nicht töten soll, das sitzt in uns drinnen. Manche verlernen es halt mit der Zeit. Moral hat oft etwas mit Empathiefähigkeit zu tun. Wobei nicht jede Empathie zu Moral führt. Im Gegenteil. Einfühlungsvermögen hilft rücksichtslosen Karrieristen genauso. Trotzdem: Wir versuchen automatisch, unseren Kindern ein Vorbild zu sein, das ist ein innerer Trieb. Aber man soll sich auch nicht selber überschätzen: Wir bringen keine 1 : 1-Schablonen von uns auf die Welt.

Nicholas Ofczarek: Ich versuche einfach, ein korrekter Mensch zu sein, was auch immer das bedeutet. Empathiefähigkeit ist jedenfalls ein großes Thema in Zeiten wie diesen. Ich hab das Gefühl, die Empathie kommt immer mehr abhanden. Wir leben in der Zeit der Narzissten. Aber vielleicht lebten wir dort immer schon.

Schalko: Der moderne Extrem-Individualismus hat sicher sein Schäuflein beigetragen.

Aus Ihren Werken stechen die unmoralischen Typen ­hervor. Was ist an denen spannend?

Ofczarek: Gewinnertypen finde ich nicht interessant im dramatischen Sinne. Ob im Film oder Theater, es geht darum, Konflikte zu erzählen. Wo kein Konflikt, da keine Dramatik. Es gibt nichts Uninteressanteres, als wenn sich zwei treffen und der eine sagt: ›Wie gehts dir?‹ und der andere sagt: ›Guat, und dir?‹ ›Auch sehr guat.‹ Das ist schnell auserzählt. Was uns Menschen in dem, was wir tun, in unseren Berufen, in unserem Alltagsleben, in unseren Beziehungen, am meisten beschäftigt, das sind ja die Ungerechtigkeit und die Amoral. Jeder kennt a Oaschloch. Und die Mechanik dahinter darzustellen, das ist, was uns als Menschen und als Künstler beschäftigt.

Schalko: Das mit den guten und schlechten Menschen ist ja auch ein Missverständnis. Wenn man jemanden anschaut, der einen wahnsinnig moralischen Eindruck macht, wohnt diesem Moralischen auf den zweiten Blick oft etwas wahnsinnig Scheinheiliges oder Unmoralisches inne. Und umgekehrt – dem Unmoralischen etwas Moralisches.

Muss man ein Arschloch mögen, um es in die Welt, also auf die Bühne oder aufs Papier bringen zu können? Muss man es respektieren?

Schalko: Beim Schreiben muss man schon empathiefähig sein mit solchen Leuten. Sonst wirds eine sehr zynische, billige Erzählung. Wobei ich mit dem Begriff Arschloch vorsichtig bin, weil jeder Mensch mehrere Seiten hat. Wir alle haben den Gandhi und den Hitler in uns. Das Schreiben, vielleicht auch das Schauspielen bringt alle Seiten in einem an die Oberfläche. Und das Schöne an Kunst ist ja, dass man sich damit beschäftigen kann, ohne es sein zu müssen. Um über einen Mörder schreiben zu können, muss man kein Mörder sein.

Ofczarek: Von der schauspielerischen Seite ist es wichtig, der Anwalt der Figur zu sein. Ein Oaschloch weiß ja nicht, dass er ein Oaschloch ist. Sondern der hat ja recht für sich. Ob er ein Oaschloch ist oder keines oder irgendetwas von den vielen Dingen dazwischen, das soll dem Zuseher überlassen sein. Je ambivalenter eine Figur ist, desto besser.

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