Fetzennarrisch

Immer mehr Menschen verdienen mit dem Weiterverkauf von Kleidung ihren Lebensunterhalt. Daraus entsteht ein Wettlauf um die besten Stücke der Stadt. Unser Autor hat die Vintage-Jäger auf ihren Beutezügen begleitet.

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Fotografie:
Stefan Fürtbauer
DATUM Ausgabe Dezember 2021

Mila kommt bereits eine Viertelstunde früher, und trotzdem waren 20 Leute schneller. Vor Flohmarktbeginn Schlange zu stehen, wird immer wichtiger für ihre Arbeit, auch wenn es Zeit frisst. Im November muss die 28-Jährige wegen der Kälte dafür schon einen dicken Wintermantel samt Schal mit gelbem Shell-Logo tragen, aber ohne Vorsprung erwischt sie die guten Teile nicht mehr. 

Die Konkurrenz sei in den letzten Jahren gewachsen, sagt sie. ›Einer mit demselben Ziel reicht, und ich gehe mit leeren Händen heim.‹ Gleich öffnet der Flohmarkt in der Wiedner Pfarre St. Florian seine Tore, und Mila weiß nicht, ob sie noch mit der ersten Gruppe hineindarf. Seit die Corona-Zahlen steigen, sind auch die Plätze bei Flohmärkten limitiert. Wie bei einem Rennen scharren die Wartenden deshalb in den Startlöchern. Stress, der alle anzustecken scheint – auch Mila, denn sie ist nicht zum Vergnügen hier.

Seit ein paar Jahren handelt sie hauptberuflich Second-Hand-Mode und ist bei der Wirtschaftskammer als Selbstständige gemeldet. Mäntel, Hosen und Oberteile, was immer sie heute ergattert, wird sie bald gegen eine ordentliche Marge weiterverkaufen. Mittlerweile kann sie von dem Geschäftsmodell leben, denn: Online-Second-Hand-Shopping boomt. Der Durchschnitts-Konsument kauft dank besserer Preise und aus Bewusstsein für Nachhaltigkeit gern getragene Kleidung – aus Bequemlichkeit meistens online. Nicht nur Mila, auch große Handelshäuser wie Zalando oder Karstadt haben das verstanden und springen auf den Vintage-Zug auf. 

Denn seit ein paar Jahren steigt die Nachfrage stetig. Damit wandelt sich auch die Bedeutung der Flohmärkte. Vom Ramschhaufen und Geheimtipp für Liebhaber mutieren sie zum Arbeitsplatz und zur Einkommensquelle für immer mehr Menschen, auch in Wien. Second-Hand-Spezialisten kaufen hier billig ein und vertreiben die Kleidung dann um ein Vielfaches. Ein einfaches Konzept, dem vor allem junge Menschen immer mehr und auch im Kleinen folgen. Daraus entsteht ein Wettlauf um die besten Stücke der Stadt. 

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