Figl, schau oba!
Wie Bundeskanzler Nehammer auf die Ahnengalerie der ÖVP zurückgreift.
Mitte Mai wurde Karl Nehammer auf einem außerordentlichen Bundesparteitag zum Obmann der ÖVP gewählt. Unmittelbar vor seiner Rede wurde ein dreiminütiges Video eingespielt, das für die Veranstaltung produziert wurde. Das Video zeigt Nehammer allein im Kreisky-Zimmer des Bundeskanzleramtes spätabends bei der Vorbereitung seiner Parteitagsrede. Nehammer tritt als Protagonist und Erzähler mit Off-Kommentar auf. Er rekapituliert wichtige Stationen seiner Kanzlerschaft und der österreichischen Geschichte, die als Videosequenzen eingeblendet sind. Erzählerisch positioniert er sich als Politiker, der in schwierigen Zeiten Entscheidungen treffen muss. Verantwortung wird zu einem zentralen Begriff der Erzählung.
Solche Videos erfüllen mehrere Funktionen:
Sie sind nicht nur dramaturgische Elemente im Ablauf eines Parteitages, sondern können auch politische Rollen und Themen darstellen. Sequenzen mit Staats- und Regierungschefs sollen den Kanzler als Akteur auf der internationalen Bühne sichtbar machen und ihn in seiner Funktion legitimieren. Parteiintern erfolgt eine Legitimation durch den Rückgriff auf die Ahnengalerie der ÖVP: Bilder von Alois Mock beim Durchschneiden des Grenzzauns zu Ungarn oder Aufnahmen vom EU-Beitritt Österreichs suggerieren, dass ÖVP-Politiker für historische Momente im Land verantwortlich waren. Nehammer versucht, sich in diese Tradition zu stellen. Besonders auffällig sind die mehrfachen Verweise auf Altkanzler Leopold Figl, sei es durch historische Aufnahmen von der Unterzeichnung des Staatsvertrages, durch Nehammers Lektüre von Figls Reden oder durch einen rhetorischen Verweis auf die Weihnachtsansprache des einstigen Kanzlers und dessen berühmtes Zitat
›Ich glaube an dieses Österreich!‹ Nehammer, der sich immer wieder als ›Lernender‹ bezeichnet, will es den Großen gleichtun.
Bei Videos ist das Zusammenspiel von Bild und Text besonders wichtig. Bilder können etwas suggerieren, was mit Sprache nur schwer oder gar nicht zu vermitteln wäre. Auf Details kommt es an: eine aufgeschlagene Kronen Zeitung am Schreibtisch des Bundeskanzlers mit einem Foto von seinem Treffen mit dem ukrainischen Präsidenten. Eine Videosequenz mit Geflüchteten aus dem Jahr 2015, erzählerisch gerahmt als ›Sorgen der Menschen‹. Steigende Spritpreise und Bilder von autofreien Tagen im Zusammenhang mit der Ölkrise der 1970er-Jahre. Sicherheit, Asyl und Wirtschaft geben den thematischen Rahmen vor. Dabei ist auch bemerkenswert, welche Herausforderungen fehlen: Die Klimakrise kommt im Video nicht vor.
Mit dem Versuch der Traditionsbildung durch Rückgriff auf große Vorgänger und mit suggerierter Bodenständigkeit eines Kleinformats am Schreibtisch bedient sich das Video weit verbreiteter Bildstrategien der politischen Kommunikation – und wirkt doch etwas übertrieben. Denn große Politik lässt sich nicht durch Bildstrategien konstruieren. Sie entsteht aus konkreten Handlungen, wenn sie bereit ist, sich den realen Herausforderungen einer Zeit zu stellen. •