Wie es ist … mit Escape Rooms Politik zu machen

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Fotografie:
John Kucukcay
DATUM Ausgabe Juni 2022

Meistens ist es mein Bauchgefühl, das mich zu einem Projekt drängt. Vor sechs Jahren hat es mir gesagt, ich soll Escape-Räume mit politischer Kunst verbinden. Ich war selbst ­leidenschaftliche Rätsel­raterin, ärgerte mich aber über den fehlenden Realitätsbezug in den meisten ­Escape-Spielen. Die Leute flüchteten darin vor Zombies oder überfielen Banken, ich wollte etwas Echteres erlebbar machen. Gleichzeitig empörte mich die Empathielosigkeit, mit der man Geflüchteten in Österreich begegnete. Deshalb spielte ich alle Escape Rooms in Wien durch, suchte mir ­geeignete Partner und entwickelte mit ihnen einen Raum zum Thema Flucht. 

Vor zwei Jahren kam dann die ›Volkshilfe‹ mit der Idee für das neue Spiel zur Kinderarmut auf mich zu. Sie haben mir erzählt, dass jedes fünfte Kind in ­Österreich armutsgefährdet ist und ich habe mich geschämt, weil ich das nicht wusste. Mir war aber klar, dass ich damit nicht allein bin. 

Am Anfang der Entwicklung steht die Recherche, da habe ich eng mit Sozialarbeitern zusammenge­arbeitet. Wir haben uns gemeinsam eine Geschichte überlegt, anschließend habe ich mich um die Ausstattung und Ästhetik der Räume gekümmert. Zwei hatten wir zur Verfügung, aus denen habe ich eine Wohnung und ein Sozialamt gemacht. Für mich sind das die beiden Eckpfeiler des Themas. Der Ort, an dem ­armutsbetroffene Familien leben und jener, der dieses Leben eigentlich besser ­machen sollte. Die Möbel hat uns Ikea gesponsert, da habe ich die billigsten ­ausgewählt. 

Mir war es bei diesem Spiel ein Anliegen, nicht das Leben der Familie XY darzustellen, denn es gibt nicht die eine Armuts­geschichte. Daher haben die im Raum abgebildeten Personen auch alle Hundeköpfe, die schon lange ein Marken­zeichen meiner Kunst sind. So können die Besucher sich mehr auf das Thema konzentrieren und sind ­weniger abgelenkt.  Für die technische Umsetzung ist ein professioneller Rätselentwickler zuständig, da halte ich mich raus.

Wenn ich einen Raum ­designe, muss ich praktisch denken. Die Spieler nehmen ja alles auseinander, weil sie überall nach Hinweisen suchen. Das müssen die ­Gegenstände erstmal ­aushalten. Hauptziel meiner Spiele ist es, den Leuten die Berührungsängste mit schweren Themen zu nehmen. 

Das Wort ›Spiel‹ sehe ich in diesem Zusammenhang natürlich kritisch, weil weder Flucht noch Armut lustig sind. Wir wollen damit aber möglichst viele Menschen anlocken und ihnen durch etwas vermeintlich Unterhaltsames die Augen öffnen. Das neue Spiel hat dreimal so viele Rätsel, ist dadurch weniger museal und niederschwelliger als das erste. Das finde ich schön, weil die Kunst ­dadurch an Elitarismus ­verliert. Gerade wenn es um Politik geht, sollte Kunst die Sprache aller sprechen. 

 

Deborah Sengl (48)
ist Künstlerin und lebt in Wien. In Kooperation mit der ›Volkshilfe‹ und dem Unternehmen ›Time Busters‹ entwickelte sie einen Escape Room im Museumsquartier.
Beim Versuch, aus der Armut auszubrechen, stoßen Besucher auf bürokratische Hürden und sollen mehr über das Thema Kinderarmut erfahren. Das Spiel ist ab Juni für Gruppen von zwei bis sechs Personen jeden Tag buchbar.

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