„Für manche bin ich ihr Psychiater“

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Fotografie:
Ursula Röck
DATUM Ausgabe April 2024

Name: Patrick Bernhart, 39 

Beruf: Würstelstandler

Wie sind Sie dazu gekommen, Würstel zu verkaufen?

Ich habe damals Wirtschaft studiert und Geld gebraucht. Als ich nach dem Fortgehen einmal am Gürtel auf den Nachtbus warten musste, habe ich mir ein Bier und etwas zu essen geholt. Da bekam ich vom Betreiber eines Würstelstands das Angebot, bei ihm zu arbeiten. Ich war davon überzeugt, dass ich das nur ein paar Jahre nebenbei machen werde. Meine Studienkarriere habe ich letztendlich abgebrochen, weil mir irgendwann der Biss fehlte. Und siehe da, seit 15 Jahren stehe ich in einem Würstelstand.

Bereuen Sie Ihre Entscheidung?

Nein, ich mag meinen Job. Ich weiß zwar, dass ich nicht dasselbe Ansehen genieße wie mit einem Doktortitel, aber ich habe einen ganz normalen Beruf und leiste gute Arbeit. 

Was müssen Sie für den Job gut können?

Ich brauch ein Gefühl dafür, wie viele und welche Würstel ich auflegen muss. Das ist Erfahrungssache. Die Leute wollen Käsekrainer. Bei Schlechtwetter als Hotdog, wenn kein Wind geht aufgeschnitten, am Teller. Bratwürste gehen auch gut, Waldviertler eher weniger. Stressig ist der Job jedenfalls. Aber die Bestellungen arbeite ich mittlerweile ganz automatisiert ab. Und mit Menschen umgehen muss ich können. Von vielen Gästen kenne ich die ganze Lebensgeschichte. Sie erzählen mir, wo sie arbeiten, welche Probleme sie haben und worüber die Frau mit ihnen streitet. Für manche bin ich sowas
wie ihr Psychiater.

Wie viele Stammgäste haben Sie?

Wir haben einen festen Kreis von circa zehn Leuten, die täglich da sind, draußen am Tisch ein Würstl essen und ihr Bier trinken. Die kommen meistens zur selben Zeit und quatschen dann auch miteinander.

Sie arbeiten im ältesten Würstelstand Wiens. Wie hat sich das Geschäft über die Jahre verändert?

Es gibt weniger Würstelstände in der Stadt, weshalb auch mehr Leute zu uns kommen. Hier kann man noch eine ordentliche Burenwurst essen.

Und vegetarische Würstel.

Ja, die gehen mittlerweile recht gut.

Ist vegetarische Wurst auch eine Wurst?

Nein. Sowas habe ich noch nie probiert. Ich bin ein Fleischesser.

Gibt es noch Leute, die kommen und eine Eitrige mit Bugl und Sechzehner-Blech bestellen?

Ja, daran erkenne ich, ob meine Gäste Touristen sind oder nicht.

Wer sind Ihre übrigen Gäste?

Ein Querschnitt der Gesellschaft. Banker, Polizisten und Arbeiter. Auch der Lugner war schon da. In der Nacht kommen natürlich viele junge Leute vom Fortgehen.

Was haben Sie da schon alles erlebt?

Viel. Einmal hat ein junger Typ eine Wurst mit Brot bestellt, also habe ich mich umgedreht und eine Scheibe heruntergeschnitten. Als ich ein paar Sekunden später wieder aus dem Fenster geschaut habe, war er verschwunden. Ich habe ihn gesucht und nicht mehr gefunden. Als ich dann raus bin, lag er am Boden. Der Typ war einfach umgefallen. Einmal hat mir einer aus Wut seine Bierdose reingeschossen. Aber sowas passiert kaum, und wenn, rufe ich die Polizei. 

Wie wirkt sich der Beruf auf Ihr Sozialleben aus?

Na ja, ich bin Single (lacht kurz). Die Nachtdienste machen einem das Leben schwer. Wenn meine Freunde am Wochenende Geburtstag feiern oder was unternehmen, kann ich bei 40 Stunden im Standl oft nicht dabei sein. Aber das gehört dazu.

Bekommen Sie dafür ordentlich gezahlt?

Als Angestellter verdiene ich netto gute 1.500 Euro im Monat, mit Trinkgeld sind das 2.000 Euro. Und ich bekomme 14 Gehälter. Damit lebe ich nicht schlecht.

Können Sie selbst noch Würstel essen?

Oh ja! Käsekrainer vielleicht nicht mehr, aber sonst habe ich da keine Probleme. Komischerweise wechsle ich von Woche zu Woche meine Mahlzeiten hier. Mal esse ich eine Woche Pferdeleberkäs, dann wieder Frankfurter.

Wie geht’s Ihnen damit?

Gut, aber ich glaube, meine Ernährung ist nicht die allerbeste (lacht).  •

 

Zahlen und Daten

2022 haben die Österreicher 530.747 Tonnen Fleisch verzehrt. Damit haben wir im Schnitt pro Kopf 58,6 Kilogramm Wurst, Wild, Rind und so weiter auf dem Teller gehabt. Fisch fällt nicht darunter.
Quelle: Versorgungsbilanzen für tierische Produkte 2022 der Statistik Austria

Wie sich die Zahl der Wiener Würstelstände über die Jahre verändert hat, ist laut der Wirtschaftskammer Wien ob der Änderungen in der Art, wie verschiedene Imbissstände statistisch erfasst und kategorisiert werden, schwer zu sagen. Die letztjährige Jahresstatistik der Fachgruppe Gastronomie verrät nur, dass 115 Würstel- und Kebabstände aktiv sind.

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