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Home, sweet Home-Office!

Brauchen wir bald kein Büro mehr? Und wenn ja, wer leidet darunter und wer profitiert davon?

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Illustration:
Francesco Ciccolella
DATUM Ausgabe Juli/August 2020

Acht Uhr morgens, Mitte April, im deutschen Hildesheim: Tobiasʼ (26) erster Blick am Morgen im Bett gilt dem Handy. Da er die Arbeits-Mails vom Handy aus abrufen kann, spielt das jetzt einfach keine Rolle mehr, ob er sie schon im Bett liest oder damit bis nach dem Frühstück wartet. Er ist Berufseinsteiger in der IT und wohnt gemeinsam mit seiner Freundin in einer Hundert-Quadratmeter-Wohnung in Hildesheim. Auch er ist seit Mitte März im Home-Office. Normalerweise arbeitet er 40 Stunden die Woche. Da er auf Kurzarbeit ist, sind es derzeit nur halb so viele. Mehr wäre aber auch gar nicht möglich im Home-Office, meint er. Weil einen daheim viel mehr ablenkt. Computerspiele zum Beispiel. Außerdem sei es auch eine Frage der Selbstdisziplin. Es ist leichter, diese aufzubringen, wenn man sieht, dass die Kollegen auch an den Projekten arbeiten. Seit Mitte März teilen er und seine Freundin sich ein Bürozimmer. Das klappt weitestgehend problemlos. Nur wenn jemand laut telefonieren muss, dann wechselt einer von beiden in die Küche. Zufrieden ist Tobias mit dem neuen Arbeitsumfeld dennoch nicht. Ihm fehlt vor allem der Austausch mit den Kollegen und das Feierabend-Gefühl. Denn der Übergang zwischen arbeiten und nicht arbeiten ist fließender als zuvor.

Acht Uhr morgens, Mitte April, in einem südlichen Randbezirk Wiens. Auch Barbara (40) ist seit Beginn der Coronakrise erstmals im Home-Office. Sie packt ihren Laptop auf dem Küchentisch aus, während ihr Mann und ihre zweieinhalbjährige Tochter im an­­gren­­zenden Wohnzimmer spielen. Gerade ist es ihr ge­­lungen, sich in die Arbeit zu vertiefen, als ihre Tochter nach der Mama schreit. Es ist schwierig, dem Kind klarzumachen, dass man gerade keine Zeit hat, ob­­wohl man im selben Raum ist, sagt Barbara, die für eine österreichische Großbank arbeitet. Immer wieder ist sie mit einem Ohr abgelenkt. Als ein wichtiges Telefonat kommt, flüchtet sie in den Keller, weil es dort leiser ist. Aber zu dunkel, sodass sie es da auch nicht allzu lange aushält. Doch ein eigenes Bürozimmer, in das sie sich jetzt zurückziehen könnte, hat sie nicht. Darauf ist ihr Wiener Kleingartenhaus mit offener Bauweise einfach nicht ausgerichtet.

War Home-Office oder auch Tele-Working, also das Arbeiten von zu Hause aus, vor der Coronakrise eine Option für wenige ausgewählte Arbeitnehmer, ist es nun für viele von uns Alltag geworden. Die ›Notlösung‹ könnte zum Paradigmenwechsel auf dem Arbeitsmarkt führen. Facebook-Chef Mark Zuckerberg sieht in zehn Jahren die Hälfte seiner Mitarbeiter von zu Hause aus arbeiten. Während Zuckerberg von Vollzeit im Home-Office spricht, dreht sich die Debatte in Österreich mehr um eine flexible Mischung von Arbeiten im Home-Office und im Büro. In Österreich wollen laut einer Studie von Ernst & Young vom April 2020, für die 123 Unternehmen mit mehr als 50 Mitarbeitern befragt wurden, acht von zehn Unternehmen in Zukunft mehr Home-Office zulassen. Sechs von zehn Unternehmen überlegen, entsprechend Büro­flächen zu reduzieren. Auch auf Seiten der Arbeitnehmer ist das Stimmungsbild ein positives. Laut einer Studie von Arbeiterkammer und IFES vom Mai 2020 wollen 70 Prozent der Arbeitnehmer auch nach der Krise öfter im Home-Office arbeiten. 

Die Arbeitswelt stehe vor einem ›gewaltigen Wandel‹, schrieb Die Zeit Mitte Juni. Während es laut Arbeiterkammer vor der Krise in Österreich drei bis zehn Prozent der Arbeitnehmer waren, die von zu Hause aus gearbeitet haben, ist dieser Anteil in der Krise auf circa ein Drittel aller Erwerbstätigen angewachsen. Wie wirkt sich das auf Arbeitsbedingungen und insbesondere die psychische Gesundheit aus? Wer setzt die Grenzen fest, wer macht die Regeln dieser neu organisierten Arbeitswelt – Arbeitnehmer oder Arbeitgeber?

Home-Office ist Teil einer zunehmenden Flexibilisierung des Arbeitsmarkts, Arbeit und Privatleben verschwimmen. Die Entgrenzung passiert in verschiedenen Dimensionen, so Christian Korunka, Leiter des Arbeitsbereichs Organisations- und Arbeitsmarktpsychologie an der Universität Wien. Arbeit wird nicht nur im Hinblick auf Zeit und Raum entgrenzt, auch Aufgabengebiete werden verstärkt als ›Projekte‹ definiert. Und selbst die vertragliche Ebene verschwimmt. Führt Home-Office also zur Prekarisierung von Ar­­beitsverhältnissen? ›Die Entgrenzung in einer prekären Arbeitssituation führt einen ja jetzt fast automatisch ins Home-Office. Home-Office ist aber nicht daran schuld‹, so Korunka. Daraus könnte man schließen, dass Home-Office nicht nur die Ursache, sondern auch das Resultat und eng verstrickt in weitreichende Dynamiken der Flexibilisierung des Ar­­beits­­markts ist. 

Entwickelt sich der Dienstvertrag zum Werkvertrag? Anstatt der physischen Präsenz am Arbeitsplatz zählt, was abgeliefert wird. Wie, wann und wo, ist dem Arbeitnehmer überlassen. Die eigene Arbeit wird immer häufiger an der Erreichung von konkreten Zielen und Erfolgen gemessen, erklärt Reinhard Haider von der Arbeiterkammer Oberösterreich. Dies berge das Risiko der ›interessierten Selbstgefährdung‹. Die Arbeitspsychologie versteht darunter eine Art Selbstausbeutung, bei der man die Erreichung beruflicher Ziele über die eigene Gesundheit stellt.

Die entgrenzten Arbeitszeiten hängen aber auch mit erhöhtem Arbeitsdruck zusammen, so Reinhard Haider weiter. Dabei mache es auch aus Unternehmensperspektive langfristig keinen Sinn, solche Be­­dingungen zu setzen: ›Da kann man das Bild des Marathons verwenden. Denn da läuft man auch nicht im Sprint, sondern man ist gut trainiert im Idealfall und versucht eben in Grundlagenausdauer durchzulaufen.‹ Kurze Sprints und Deadlines gehören zwar dazu, so Haider, doch ganz oft ist die erhöhte Arbeitsintensität auf zu knappe Personalbemessung zurückzuführen. Arbeitsintensivierung und der Konkurrenzdruck auf dem Arbeitsmarkt sind eng miteinander verknüpft. Der Wettbewerb mit den Kollegen und Kolleginnen drängt den Arbeitnehmer dazu, immer schneller und weiter zu laufen. Und dieser Druck schwingt oft implizit mit. So erzeugt zum Beispiel die  Frage: ›Hast du die Mails noch gar nicht gelesen?‹ bei der morgendlichen Team-Besprechung Druck auf den Einzelnen. 

Auch Barbara verbindet Erreichbarkeit für die Arbeit mit sozialem Druck zwischen den Kollegen. ›Wenn ein Kollege damit beginnt, am Wochenende erreichbar zu sein, dann halt vielleicht ein zweiter, dem das auch möglich ist, weil er vielleicht Single ist und, ich sage jetzt amal salopp, nichts Besseres zu tun hat, momentan. Dann wird es natürlich für die anderen Kollegen schwierig, die in ihrer privaten Zeit entweder nicht wollen oder auch privat gar nicht können.‹ Weitere Faktoren, die die individuelle Bereitschaft zu Mehrarbeit erhöhen, sind persönliche Ambitionen, Arbeitsmotivation und Identifizierung mit dem Beruf, heißt es im Beitrag von Dominik Klaus et al. im Sammelband ›Umkämpfte Technologien. Arbeit im digitalen Wandel‹ aus dem Jahr 2018.

Darin wird auch dargestellt, wie Mehrarbeit häufig durch viele kurze ›Mikro-Arbeitstätigkeiten‹ erfolgt, wie dem Checken des dienstlichen E-Mail-Kontos und kurzen arbeitsbezogenen Telefonaten, die sich über mehrere Stunden verteilen und mit privaten Aktivitäten abwechseln. Sowohl für Tobias als auch für Barbara waren diese Mikro-Arbeitstätigkeiten auch vor der Krise schon normal. Es kommt häufig vor, dass Barbara abends berufliche Mails checkt, um am nächsten Arbeitstag gleich durchstarten zu können. Diese kleinen Arbeitstätigkeiten summieren sich gewissermaßen zu unbezahlter Arbeitszeit. Es sei ja auch ein Entgegenkommen gegenüber dem Unternehmen, weil ihr direkter Vorgesetzter, selbst Vater, ihre Situation verstehe und ihr auch mehr Flexibilität einräume. 

Doch was macht das eigentlich mit unserer Psyche, ständig die Arbeit ›im Hinterkopf‹ zu haben und auch ständig erreichbar zu sein? Astrid Perst von der Abteilung für psychische Gesundheit des St. Josef-Krankenhauses in Braunau am Inn ist in ihrer Arbeit häufig konfrontiert mit Burnout, hervorgerufen durch ar­­beits­­­­bedingten Stress. Sie erklärt, dass sich ständige Erreichbarkeit vor allem auf unser Kohärenzgefühl negativ auswirkt. ›Ständige Erreichbarkeit führt zu Störungen. Die Sehnsucht aller Lebewesen besteht aber in Kohärenz, das heißt ein Zustand frei von Störungen.‹ Ein Stück weit gehören Störungen natürlich zum Leben dazu, räumt sie ein. Doch ein dauerhaft gestörtes Kohärenzgefühl – Arbeitstelefonate, die ins Privatleben hineinläuten, oder umgekehrt das Kind, das immer wieder mit einer Frage an den Home-Office-Schreibtisch kommt – reduziert unsere Widerstandskraft gegenüber Stress. Außerdem führt ständige Erreichbarkeit zu mehr Zeitdruck und Über­­lastung, was sich negativ auf unsere Konzentrationsfähigkeit auswirkt. Mit jeder Störung nimmt die Konzentration auf unsere ursprüngliche Tätigkeit ab. Zudem erschweren ständig eintrudelnde Benachrichtigungen, uns vollkommen in eine Aufgabe zu vertiefen und somit in einen Flow-Zustand zu kommen, der wichtig ist für Motivation und Vitalität. 

Psychologin Perst hat die Erfahrung gemacht, dass ihre Burnout-Patienten eine große Entlastung erfahren, sobald sie Diensthandy und Laptop abgeben. ›Als klinische Psychologin in einer psychiatrischen Klinik sehe ich tatsächlich viel Überforderung im Zusammenhang mit der Grenzenlosigkeit der digitalen Kommunikationstechnologie.‹ In der Fachliteratur wird die durch den intensiven Einsatz von modernen Kommunikationstechnologien einsetzende Überforderung auch als ›Technostress‹ bezeichnet. Technostress kann sich in Wutanfällen, Schlaflosigkeit, Irritation oder Frustration manifestieren.

Gelegentlich schläft Tobias zwar schlecht, aber er ist sich nicht sicher, ob das in direktem Zusammenhang mit seiner beruflichen Erreichbarkeit steht. Tobias ist Teil einer Generation, die damit aufgewachsen ist, privat und beruflich nicht zu trennen, er kennt es nicht anders. Dennoch vermutet er stark, dass ihn das weniger belasten würde, wenn er nicht erreichbar sein müsste für die Arbeit. ›Weil man halt mehr oder weniger dauerhaft die Lauscher aufhat, ob irgendwas von der Arbeit kommt. Ob man irgendwie helfen kann. Helfen muss.‹ Anstatt die ganze Zeit an die Arbeit zu denken, solle der Feierabend ja eigentlich dafür da sein, sich auszuruhen und so auch mental auf den nächsten Arbeitstag vorzubereiten. Und es passiert schon häufiger, dass er beim Abendessen mit der Freundin oder beim Ausgehen mit den Kumpels nur mal kurz seine Mails checkt und dann für ein paar Minuten geistig abwesend ist.

Aus Barbaras Sicht ist Home-Office alles andere als gesundheitsförderlich. Vor Corona gab es für sie bereits die Möglichkeit, auf Home-Office umzusteigen, doch sie hatte sich bewusst dagegen entschieden. Ihr Arbeitgeber hatte den Vorschlag mehrfach an sie herangetragen, mit der Begründung, dass sie ja so Stunden aufstocken könnte, weil dann An- und Ab­­reise zum Dienstort wegfallen. Und die Arbeit leichter mit der Kinderbetreuung vereinbar sei. Aber Barbara hat das immer dankend abgelehnt, erzählt sie. In der jetzigen Situation fühlt sie sich bestätigt, da sie nun die Auswirkungen dieser Entgrenzung von Arbeit und Freizeit erlebt. ›Weil die Tendenz da ist, wenn du einen Home-Office-Job hast, eher mehr zu arbeiten. Weil alles verschwimmt. Und letztendlich ist es einfach so, dass es Arbeitszeiten gibt. Und das ist auch gut so.‹ Auch AK-Experte Haider spricht von der Tendenz, im Home-Office mehr Arbeitsstunden zu leisten. Die Ursache hierfür ist vor allem der Rechtfertigungsdruck. Es ist die Annahme, dass man sich für das ›Privileg‹ des Home-Office besonders rechtfertigen müsste. ›Weil ja der Arbeitgeber, die Arbeitgeberin, oder meine Kollegen, Kolleginnen glauben könnten, ich mach mir daheim eine schöne Zeit.‹ 

Im Home-Office fällt eine weitere wichtige Funktion eines Arbeitsplatzes aus: die soziale. Tobiasʼ Team hat regelmäßige Meetings zum Online-Austausch. Trotzdem bekommt er viel weniger von den Kollegen mit als sonst. Weil das Informelle untergeht. Weil man den Kollegen nicht einfach so zum Plaudern anruft, sondern nur bei konkreten beruflichen Angelegenheiten. Auch Barbara vermisst die Kaffeepausen. Und kurze Zwischenbesprechungen mit den Kollegen. Die seien auch als Bildschirmpause sinnvoll. Es gibt Versuche, den ›Kaffeeklatsch‹ im virtuellen Raum aufrechtzuerhalten. 

Bei der Telekommunikations-Firma A1 etwa trafen sich manche Abteilungen während des Lockdowns in regelmäßigen Abständen Freitagnachmittags zu ei­­nem internen ›After-Work‹, berichtet Pressesprecherin Livia Dandrea-Böhm. Das Angebot wurde von den Mitarbeitern gut angenommen, aber natürlich sei es trotzdem nur eine Notlösung gewesen.

Dandrea-Böhm gibt Einblick, wie ein großes Telekomunternehmen mit dem Thema Home-Office um­­geht. Schon vor der Pandemie war Home-Office nichts Neues für A1, erzählt sie. Für alle Mitarbeiter mit klassischer Bürotätigkeit seien ein bis zwei Tage Home-Office pro Woche möglich gewesen. Dandrea-Böhm ist überzeugt, dass die Heimarbeit als Konsequenz der Krise einen höheren Stellenwert behalten wird. Fünf Tage die Woche im Home-Office würden aber sicher nicht zum Normalzustand werden, da man den sozialen Kontakt mit den Kollegen weiterhin brauche. Um Erholungspausen auch im Home-Office während des Lockdowns sicherzustellen, wurden bei A1 etwa keine Meetings zwischen zwölf und 13 Uhr vereinbart. Und der Feierabend? Dandrea-Böhm spricht von Eigenverantwortung und dass der Esstisch manchmal auch als Übergangsort in den Feierabend dient: ›Der Heimweg fällt ja weg, man räumt dann den Laptop auf die Seite und sagt, jetzt ist die Arbeit am Esstisch zu Ende und jetzt beginnt meine Freizeit am Esstisch.‹ Es gebe zwar Kollegen, die abends gerne ihre Mails abarbeiten, aber das könne jeder selbst entscheiden und werde nicht erwartet – weil es nicht der Unternehmenskultur entspreche.

AK-Experte Haider hält es für entscheidend, dass die Arbeitsbedingungen daheim auch entsprechend gut ausgestaltet sind. ›Dass es auch in Zukunft Betriebsvereinbarungen gibt, oder Einzelvereinbarungen, wo es keinen Betriebsrat gibt, um auch für einen gelingenden Home-Office-Alltag oder eine gelingende Home-Office-Kultur in Österreich zu sorgen.‹ Hier brauche es klare gesetzliche Regelungen, die über das Kalenderjahr 2020 hinausgehen. Laut einer Studie von Arbeiterkammer und IFES, für die im April 2020 2.200 Personen befragt wurden, ist nämlich erst bei 55 Prozent derer, die im Home-Office arbeiten, das Home-Office in einer Betriebsvereinbarung mit dem Arbeitgeber geregelt. Die Vor- und Nachteile des Home-Office sieht er als sehr ausgewogen. Die wichtigsten Vorteile liegen seiner Meinung nach in einer möglichen Abschwächung des Urbanisierungstrends und dem Einsparen von CO2-Emissionen. Auf der Seite der Nachteile stehe eine mögliche Umverteilung von Betriebskosten auf die Arbeitnehmer. ›Und es geht auch darum, dass Frauen nicht in alte Rollenbilder zurückkatapultiert werden.‹ Bei einer Arbeits­losigkeit von 600.000 bis 700.000 Menschen in Österreich dürften zudem nicht diejenigen vergessen werden, die nicht das Privileg haben, im Home-Office zu arbeiten, so Haider. Und doch werde Home-Office für immer breitere Teile der Bevölkerung denkbar. ›Corona war ein riesiger Beschleuniger des vorher gegebenen Trends zu mehr Home-Office.‹

Laut Wifo-Expertin Julia Bock-Schappelwein liegt das Potenzial für Home-Office des österreichischen Arbeitsmarkts bei 45 Prozent aller unselbstständig Beschäftigten. Diese Zahlen publizierte das Wifo im April 2020, errechnet auf Basis der Mikrozensus-Arbeitskräfteerhebung von Statistik Austria aus dem Jahr 2019. Hier kommt es vor allem auf die Art der Tätigkeit an. Potenzial für die Umstellung auf Home-Office liegt in nicht-manuellen Tätigkeiten. Unter den nicht-manuellen Tätigkeiten seien es vor allem solche mit kognitivem Routine-Schwerpunkt, wie Bürotätigkeiten, die sich für Home-Office besonders eignen, so Bock-Schappelwein. Während Home-Office zuvor vor allem in der Bildung und im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie genutzt wurde, könnte sich dies künftig aber auch auf den Dienstleistungssektor ausweiten, insbesondere die öffentlichen Dienstleistungen. Darunter fällt die öffentliche Verwaltung, Bildung und Gesundheit. Räumlich gesehen liegt das größte Potenzial in den Vorortregionen, weil es hier viele Pendler mit Schreibtischjobs gibt. Inwieweit das errechnete Home-Office-Potenzial tatsächlich realisiert wird, hängt also von vielen Faktoren ab. Vieles würden wir erst in der Retroperspektive beurteilen können, meint die Wifo-Expertin. 

›Die Frage, die dahinter steht, ist eigentlich, wie viel Grenzen sind notwendig im Leben, und Home-Office steht ja für eine entgrenzte Arbeitswelt‹, erklärt Organisationspsychologe Korunka. Es sei die maximale Freiheit, die gleichzeitig zu unserer maximalen Unfreiheit führen kann. Denn hohe Flexibilität bedeutet auch gleichzeitig hohe Gestaltungsmöglichkeit für den Arbeitnehmer. Doch das führt dann unter Umständen dazu, ›dass man um drei in der Früh vielleicht noch vor diesem Bildschirm sitzt, wo man eigentlich schlafen sollte. Man muss es kritisch betrachten, aber die positiven Aspekte werden überwiegen.‹ Laut der ›Flexible Working‹-Studie 2019 von Deloitte Österreich hat sich der Anteil derer, die im Home-Office arbeiten, von 2017 bis 2019 verdoppelt. Der Trend zum Home-Office war also schon vorher da und dieser positive Grundtrend werde auch bleiben, so Korunka. Inwieweit die pandemiebedingte Umstellung aber nun zum Dammbruch in Sachen Home-Office geführt habe, sei schwierig vorauszusagen und hänge vom weiteren Verlauf der Krise ab. 

Stand Anfang Juni hat sich nicht viel verändert für Tobias. Er dürfte zwar ins Büro fahren, aber sieht für vier Stunden am Tag keinen Grund, ›wenn sowieso keiner da ist‹. Die Devise seines Arbeitgebers ist: Wer kann, der arbeitet weiterhin im Home-Office. Und mittlerweile hat sich Tobias an das Arbeiten von zu Hause aus gewöhnt. Dennoch freut er sich schon darauf, dass seine Zeit im Home-Office irgendwann ein Ende hat. 

Zwölf Uhr mittags, Barbara klappt den Laptop zu und beginnt, das Mittagessen vorzubereiten. Normalerweise würde sie gemeinsam mit den Kollegen in der von der Firma bezuschussten Kantine essen. Das Mittagessen in der Kantine erspart ihr sowohl Zeit als auch Kosten. Werden solche im Home-Office wegfallenden Benefits künftig abgegolten? Aus Barbaras Sicht eine ganz entscheidende Frage, damit Home-Office nicht zu einer Umverteilung der Kosten von Arbeitgeber zu Arbeitnehmer führt. Und so gilt es in einem gesellschaftlichen Suchprozess neue Grenzen auszuverhandeln, wo die alten verschwimmen.