›Ich habe meine eigenen Sexismen‹

Weshalb ich froh bin, dass Sigrid Maurer keine Jazz-Sängerin wurde.

DATUM Ausgabe März 2019

Sigrid Maurer betritt das Café Eiles. Noch bevor ich mich bemerkbar machen kann, steuert sie auf mich zu. Ich überlege, weshalb sie mich sofort erkennt, und fühle mich geschmeichelt, bis sie ihr Handy auf den Tisch legt. Darauf die Google-Bildersuche mit meinem Gesicht. Ein Millenial halt.

Maurer feiert demnächst ihren 34. Geburtstag. Das steht in keinem Verhältnis zur öffentlichen Wirkung ihres Tuns. Aufgewachsen im Stubaital war sie zunächst Studentin der Musikwissenschaften in Innsbruck. Traumberuf: Jazz-Sängerin. Woran ist’s gescheitert? Zu spät dran und zu feige. Mit 24 Jahren wurde sie Vorsitzende der Österreichischen Hochschülerschaft, mit 28 Grün-Abgeordnete zum Nationalrat. Sie blieb es bis 2017, dem annus horribilis der Grünen. Die breite Öffentlichkeit kam aber erst danach: Zunächst war da ein Instagram-Foto von Maurer mit Sektglas und ausgestrecktem Mittelfinger, das sie ihren ›Hatern‹ widmete – eine Provokation, vom Boulevard zu einem Abschied umgedeutet und genüsslich ausgeschlachtet. 

Im Frühling dann veröffentlichte Maurer eine besonders frauenverachtende Nachricht, die sie vom Facebook-Account eines Bierladenbesitzers erhalten hatte – und dessen Namen. Der klagte sie und gewann den Prozess, weil Maurer nicht der Beweis gelang, dass er die Nachricht auch tatsächlich selbst geschrieben hatte. Derzeit wartet sie auf die Entscheidung der nächsten Instanz. Die Nachricht zu veröffentlichen, war dennoch wichtig, sagt sie heute. Schon alleine zur Bewusstseinsbildung. Viele, die sich noch über mein Mittelfinger-Posting empört hatten, konnten zum ersten Mal sehen, was ich mit ›Hatern‹ gemeint hatte – und zeigten plötzlich mehr Verständnis.

Die Solidaritätswelle danach war enorm, doch auch in den wohlmeinenden Reaktionen auf diese Geschichte offenbarte sich für Maurer, wie tief der strukturelle Sexismus sitzt. Wenn etwa junge Männer anbieten, dem mutmaßlichen Absender der Nachrichten eine reinzuhauen oder sich tröstend mit fragwürdigen und ihrerseits über­griffigen Komplimenten melden. Es ist sehr einfach zu verstehen, dass solche Hassnachrichten unmöglich sind, aber bei der Sicht auf die dahinterliegenden Mechanismen hapert’s dann meistens. Maurer sagt das ohne jede Bitterkeit, die prononcierten Feministinnen so oft unterstellt wird. Und auch ohne Hoch­mut. Wir leben in einer nach wie vor rassistischen und sexistischen Gesellschaft – auch ich habe meine eigenen Sexismen. Das kam unerwartet und ist dennoch beste­chend: Wenn man diese strukturelle Erb­last einmal akzeptiert, dann wird es einfacher, sich dem Vorwurf zu stellen, ein Ge­dankengang, eine Aussage, eine Referenz – oder ein Zeitungscover – sei rassistisch. 

Seit dem Debakel der Grünen bei der Nationalratswahl 2017 ist Maurer wieder auf der Universität, sie macht ihren Master in Soziologie und arbeitet beim Institut für Höhere Studien an europaweiten Erhebungen. Auch das ist Politik. Sieht sie Bedarf für eine neue linke Bewegung im Land? Natürlich seien linke Themen unterrepräsentiert – das habe aber auch seinen Grund: Es ist ja nicht so, dass die linken Massen irgendwo darauf warten, endlich abgeholt zu werden. Dass gesellschaftliche Solidarität quer durch alle Schichten auf der Strecke zu bleiben scheint, bereitet ihr Kopfzerbrechen. Ebenso die Frage nach dem Warum: Ich habe keine Antwort darauf – sonst hätte ich schon ein Buch darüber geschrieben.

Und ich hätte es gelesen.  •

 

Sigrid Maurer:

Geboren 1985 in Rum in Tirol zeigte Maurer bereits als Studentin ihren Hang zur politischen Kontroverse: Sie protestierte gegen die Abschaffung ihres Studienfachs. Nach ihrem Umzug nach Wien begann sie, Soziologie zu studieren, und startete ihre Laufbahn als Grünen-Politikerin.