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›Ich habe viele Kollegen verloren‹

Die Autorin führt Gespräche ›Auf Leben und Tod‹, diesmal mit Daniela Musiol, Trauerbegleiterin.

DATUM Ausgabe September 2017

Wann war Ihnen das erste Mal bewusst, dass es den Tod gibt?
Als mein Hase Stupsi gestorben ist. Da war ich sechs Jahre alt und habe den Tod nur auf Tiere bezogen. Dass Menschen auch sterben, ist mir erst klargeworden, als meine Großtante gestorben ist. Da war ich zehn und ich erinnere mich genau an die Halle, an die Menschen dort, an meine Eltern. Es gab einen Sarg mit Fenster und ich habe ihr Gesicht gesehen und ab dem Moment war mir klar: Der Tod betrifft auch Menschen. Recht kurz danach habe ich heimlich einen Film über lebendig Begrabene gesehen, der irrsinnig schirch war und ab da hat mich am meisten beschäftigt: Was passiert nach dem Tod? Wie geht das weiter? Nicht im philosophischen Sinn, sondern eher: Was passiert mit dem Körper? Wann kommen die Würmer? Wann zerfallen die Knochen?

Haben Sie Angst vor dem Tod?
Ich bin klaustrophobisch, also die Vorstellung in so einem engen Kastl zu liegen, egal ob lebend oder tot, ist für mich fürchterlich. Ich habe schon vor Jahren die Order ausgegeben, dass ich verbrannt werde, wenn ich tot bin. Schon alleine um sicher zu gehen. Nicht nur, damit ich sicher tot bin, sondern auch, weil ich nicht weiß, wann was passiert – da habe ich lieber die Kontrolle. Generell habe ich mehr Angst vor dem Tod naher Menschen. Das habe ich schon erlebt und mag ich nicht mehr erleben. Es gibt so eine Art natürliche Ordnung, wonach die Großeltern vor den Eltern sterben und ich merke bei meinen Eltern, dass ich mich da schon immer wieder fürchte. Totalen Horror habe ich vor der Vorstellung, dass mein Kind vor mir sterben könnte. Ich weiß nicht, wie man so etwas überlebt. Von meinem Ehemann habe ich mir das Versprechen geben lassen, dass er nach mir stirbt. Da merkt man schon, das sind Mechanismen mit einer Angst, die grundsätzlich da ist, umzugehen.

Eine Angst, die gewachsen ist?
Ich habe sehr viele Todesfälle erlebt und der einschneidendste war der Suizid eines Partners. Da war ich 19 Jahre alt und das hat sich in mir eingebrannt. Da ist die Angst vor dem Schmerz, den ich damals empfunden habe. Der Moment, als ich das erfahren habe, wie sich das angefühlt hat, wie lange es gedauert hat, bis es sich wieder anders angefühlt hat und trotzdem noch nicht wieder gut war. Die Angst, dass so etwas noch einmal passiert, auch wenn ich heute erfahrener bin, ist immer noch groß. Ich will nie wieder so eine Nachricht bekommen. Was mich damals schockiert hat, war, dass es anders berechenbar war als es dann eingetreten ist. Bei einer Oma weiß man, irgendwann zwischen 70 und 90 kann sie sterben. Bei meinem damaligen Partner habe ich überhaupt nicht damit gerechnet, und dass er das auch noch selbst bestimmt hat – das hat sich eingebrannt.

Manche Menschen, die in ihrer Jugend einen Gleichaltrigen verlieren, sagen, das nimmt einem auch an Unbeschwertheit und jugendlicher Unbekümmertheit.
Mein Vater hat mir Jahre später bei einer Autofahrt gesagt, weißt du, du warst vorher so ein fröhlicher Mensch und das hast du da liegengelassen. Nicht, dass ich heute nicht mehr fröhlich bin, aber da habe ich mich verändert. Das hat mich verändert. Meine Persönlichkeitsentwicklung war dadurch stark geprägt. Keine Ahnung, wie ich mich sonst entwickelt hätte. Würde ich mich sonst mit Tod und Trauer beschäftigen? Da ist eine seltsame Spannung, weil ich gerne hätte, dass das damals nicht passiert wäre, gleichzeitig sehe ich auch die positiven Dinge, die ich durch die Erfahrung mitgenommen habe und dass ich auch deshalb die bin, die ich bin.

Sie haben 2016 Ihr Nationalratsmandat niedergelegt, um als Trauerberaterin zu arbeiten, vorwiegend in Unternehmen. Warum?
Die Beschäftigung mit Tod und Trauer am Arbeitsplatz ist durch Erfahrung gewachsen. Ich habe sehr viele Kollegen verloren, Krebserkrankungen, Unfalltode, Suizide. Ich war sicher bis zu vierzig Mal am Zentralfriedhof. In meiner Zeit als Geschäftsführerin der Grünen war es mein Job, intern für gutes Gleichgewicht zu sorgen und auf der Suche nach Institutionen, die da im Trauerfall helfen, haben eigentlich alle gesagt, wir sind nur für private Fälle zuständig. Gleichzeitig war aber zu sehen, dass Trauer auch im Büro da ist. Das sind Menschen, mit denen verbringt man am Tag oft mehr Zeit als mit der Familie. Da gibt es auch das sich nicht trauern trauen, weil so gut gekannt hat man sich auch nicht und gestern hatte man erst einen Streit. Das war der Beginn meiner Überlegung, da braucht es etwas, weshalb ich dann „Rundumberatung“ gegründet habe und begonnen es parallel zu meiner Arbeit als Abgeordnete aufzubauen. Ich habe mich aber auch politisch immer mehr damit beschäftigt: Was brauchen Trauernde vom Gesetzgeber als Rahmen? Trauerurlaub? Kann ich das auch nach einem halben Jahr machen, wenn die Trauer mich einholt? Ich hatte das Gefühl, da kann man wirklich einen Unterschied machen. Trauer betrifft jeden Menschen. Jedem Menschen fällt sofort ein Trauerfall im Arbeitsumfeld ein. Mir geht es ums Enttabuisieren – und das gefällt mir sowieso (lacht).

Hat diese intensive Beschäftigung mit Trauer und Tod Sie etwas über das Leben gelehrt?
Ich schiebe nichts auf. Keine Konfliktklärung, kein ungutes Gefühl, das ich durch jemanden habe. Ich versuche, mir nicht zu denken, das mache ich in zwanzig Jahren, sondern das mache ich jetzt. Das ist nicht bewusst, das passiert einfach.

Gibt es da noch etwas, das Sie machen wollen?
Ich habe eine Bucket-Liste. Vergangenes Jahr habe ich begonnen, Cello zu spielen und ich will die Titelmelodie von „Game of Thrones“ spielen können. Ich will meinen Sohn nicht drängen, aber ich will gerne noch mein Enkelkind im Arm halten. Mehr brauche ich nicht mehr. Geheiratet habe ich schon vor zwei Monaten, das ist damit abgehakt (lacht).