›Ich mag die Schwierigen am liebsten‹

Die Schriftstellerin Vea Kaiser über ihre Romanfiguren.

DATUM Ausgabe Dezember 2018 / Jänner 2019

Erinnern Sie sich an die erste Figur, die Sie erschaffen haben?

Oh ja. Der Achillessehnenschlitzer. Mit dieser Gruselfigur wurde ich mit elf Jahren die Queen der Skikurse und Schulausflüge. Eigentlich der Ur-Beginn meines Schreibens. Ich habe mir damals diesen Mörder überlegt, der seinen Opfern die Achillessehne durchschlitzt, um sie dann wegschleppen zu können. Er hatte einen Riesenerfolg in meiner Klasse, und ich glaube, dass bei mir so auch die Lust entstanden ist, Geschichten zu erzählen. Man bemerkt, wenn die ersten anfangen zu tuscheln, und weiß, jetzt muss wieder ein bisschen Spannung kommen. Es war eine gute Möglichkeit, sich am Gegenüber ausprobieren zu können.

Wie bauen Sie Ihre Charaktere?

Das war bisher immer unterschiedlich. Bei meinem ersten Buch war die Grundkonstellation da, und es ergab sich der notwendige Charakter. Beim dritten Buch jetzt, das im März erscheint, sind die Charaktere inspiriert von meiner Oma und ihren Schwestern, haben sich aber im Laufe des Schreibens dann völlig geändert. Einen Roman zu schreiben, ist auch ein Kennenlernen des Personals.

Das heißt, die Figuren entwickeln sich oft so, wie Sie es gar nicht vorsehen?

Immer! Und ich hasse es. Ich versuche immer wieder, Figuren am Reißbrett zu entwerfen, aber das funktioniert nicht. Da­durch nimmt man sich die Möglichkeit, die Figur besser anzupassen oder überhaupt erst kennenzulernen. Beim zweiten Buch war meine Heldin zuerst eine sehr empfind­liche Figur – jetzt ist sie ein Rammbock, die mit Ellbogen links und rechts durch die Welt geht. Ich schreibe ein Buch aber sicher sechs­mal um. Das heißt, bei jedem Umarbeiten kann sich auch der Charakter wandeln. Bei meinem neuen Buch würde man die Ur-Charaktere nicht mehr wiedererkennen.

Woher kommt Ihre Inspiration? Von ­Menschen, die Sie kennen, oder Menschen, die Sie in der Straßenbahn sehen, oder sind sie völlig frei erfunden?

Alles möglich. Eher sind es abstrakte Figuren. Auch Figuren aus anderen Romanen, die dann ein Eigenleben entwickeln. Es gibt ja auch Archetypen in der Literatur, die immer wieder auftauchen. Ich finde, am unmöglichsten ist es, Menschen aus der Realität zu nehmen. Weil sie oft nicht geeignet sind. Weil sie zu komplex sind. In einem Roman geht das nur begrenzt, weil der Charakter nachvollziehbar bleiben muss. Ich habe ein paar Mal versucht, aus dem wahren Leben zu schöpfen, und bemerkt, dass man sich da zu stark limitiert. Es geht selten gut.

Erschaffen Sie Figuren, die Sie dann nicht leiden können?

Nein, ich mag sie eigentlich alle. Wobei, ich habe bisher keine rein bösartige Figur geschrieben und auch keinen richtigen Helden. Meine Lieblingsfiguren sind immer die, die bei den Lesern am unpopulärsten sind. Ich mag die Schwierigen am liebsten.

Ist es schwer, am Ende des Buches los­zulassen?

Da gibt es zum Glück das Fahnenlesen. Man liest das Buch noch so oft, dass man es irgendwann nicht mehr sehen kann. Jetzt freue ich mich schon auf die Charaktere vom nächsten Buch! Ich trage sie mit mir herum, sie sind schon in mir. Sie sind wie alte Freunde. Ich finde, das ist ja das Schönste am Schreiben – dieses Entwickeln zu Beginn.