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›Ich werde mein Leben nicht bereuen‹

Die Autorin führt Gespräche ›Auf Leben und Tod‹, diesmal mit Frank Spilker, dem Sänger der deutschen Band Die Sterne.

DATUM Ausgabe März 2017

Wann war Ihnen das erste Mal bewusst, das es den Tod gibt?
Das erste Mal, wo ich bewusst daran gedacht habe, war, als ein Freund von mir verunglückt ist. Ich war so um die zwölf Jahre alt und wir sind beide in einem Steinbruch herumgeklettert, er ist abgestürzt und lag bewusstlos da. Ich war mit ihm alleine und musste den Krankenwagen rufen. Ich bin in das nächste Lokal gelaufen und absurderweise hat man mich zunächst nicht telefonieren lassen. Die Erwachsenen haben für mich angerufen. Das war keine Auseinandersetzung mit dem Tod, aber eine Begegnung. Mir war in dem Moment klar, es kann sein, dass er nicht mehr lebt. Er hat überlebt, es war dennoch ein totaler Schock.

Haben Sie mit Ihren Eltern darüber geredet?
Ich komme aus einem bildungsfernen Haushalt, da wurde geredet, aber nicht verarbeitet.

Sie sind auf dem Land aufgewachsen?
Ja, aber auf einer industrialisierten Landwirtschaft, kein Bauernhof-Idyll. Wir haben zwischen den Maschinen gespielt und in den siebziger Jahren kam regelmäßig jemand zu Tode. Kinder wurden nicht beaufsichtigt, sind in einen Silo gefallen, tot. Da gab es dutzende Geschichten. Als ich dann um die 15 war, starb ein Freund von mir. Er wollte über die Autobahn laufen und hat es nicht geschafft. Er wollte sich beweisen, hatte Probleme zu Hause, ist immer bis an die Grenze gegangen, hat ausgelotet. Er kam immer irgendwie davon, aber an diesem Tag nicht. Und ich musste wieder den Krankenwagen rufen.

Hatten diese frühen Begegnungen mit dem Tod Auswirkungen auf Sie?
Komischerweise habe ich die Todesfälle nie auf mich bezogen. Natürlich war mir klar, dass das Unfälle waren, die mir auch passieren können, aber ich dachte nie, dass man das bedenken muss, wenn man lebt. Man kann nicht angsterfüllt durch die Welt laufen. Ich habe ein Urvertrauen, dass das Flugzeug nicht abstürzt, wenn ich einsteige. Und ich habe schon früh gesehen, dass ich einen Sinn für Gefahr habe und mich beschütze und auf mich aufpasse. Es hat mich eher schockiert zu sehen, dass es Leute gibt, die das nicht machen. Und nun häufen sich langsam Todesmeldungen von bekannten Leuten, mit denen ich mich früher identifiziert habe. Wenn da jemand abtritt, denke ich eher, wer ist der nächste? Weil das Thema persönlich näher rückt.

Macht Ihnen das Sorgen?
Da gibt es zwei Ebenen, die rationale und die emotionale. Auf der emotionalen habe ich keine Angst. Aber der Tod wird immer wahrscheinlicher und langsam rücke ich in die Risikogruppe auf. Zwischen 50 und 65 Jahren sterben etwa immer mehr Männer an einem Herzinfarkt. Das ist die rationale Ebene, da weiß man, man muss anfangen, besser auf sich aufzupassen.

Haben Sie Angst vor dem Tod?
Angst nicht, aber keine Angst wäre zu viel gesagt. Ich komme gerade ins Alter, wo beginnt, dass man zur Vorsorgeuntersuchung geht und einem der Tod als Möglichkeit langsam bewusst wird. Da fängt man an, sich damit zu beschäftigen. Alleine deshalb, weil einen die Krankankasse immer häufiger auffordert zu einer Untersuchung zu gehen.

Machen Sie das?
Kaum. Ich bin Optimist. Ich denke, da ist nichts. Ich fühle mich super. Und das ist ja auch eine Frage von Geld, da steht eine Industrie dahinter, nicht jede Vorsorgeuntersuchung macht nämlich Sinn.

Ist es Ihnen wichtig, dass Sie Kreatives geschafft haben, das Sie überdauern wird?
Es ist immaterieller Besitz. Man hat Rechte geschaffen, das ist in meinem Fall alles nicht wirklich etwas wert, also jedenfalls nichts womit man sich ein Haus bauen könnte. Aber man hat das Gefühl, da ist etwas da. Eine Spur, die sich durchzieht. Diese ganze Beziehung, das es Fans gibt, die sagen, was du gemacht hast, ist Teil meines Lebens, ist eine Währung, ein Wert, der sich ganz schwer erfassen lässt. Ich könnte von mir selbst sagen, welcher Künstler mir wichtig war, welche Kunst und welches Buch mich bereichert hat, aber der Künstler kriegt das nicht mit. Außer in Verkaufszahlen und das ist eine schlechte Größe.

Ist das denn ein schönes Gefühl, dass etwas bleiben wird, wenn Sie sterben?
Ich denke manchmal dass man gesünder ist, wenn man das nicht braucht, wenn man nicht diesen Wunsch nach Anerkennung hat. Weil es auch narzisstisch ist.

Aber vor dem Wunsch nach Anerkennung steht ja der Wunsch, etwas zu schaffen.
Ich höre gerade ein Lied von den Dirty Projectors, da gibt es eine Zeile, die lautet: What I want from art is truth; what you want is fame. Das bringt es auf den Punkt. Ich empfinde es nicht so, dass ich durch meine Kunst die Endlichkeit zu überwinden versuche. Das ist ein sehr romantischer Gedanke. Es macht für mich keinen Unterschied, was nach meinem Tod noch wertgeschätzt wird. Ich weiß es ja vorher nicht und ich werde es auch nicht erfahren. Für mich hat sich eher die Frage gestellt, als ich entschieden habe, welchen Lebensweg ich einschlagen will: Ich wollte nicht mein ganzes Leben warten oder verschieben, bevor ich die Dinge mache, die ich wirklich machen will. Da geht man das Risiko ein, in wirtschaftlich prekären Verhältnissen zu leben. Mein Leben ist total erfolgsabhängig. Es gibt nie eine Garantie, ob es gut läuft oder ob Menschen in Konzerte kommen.

Sie haben einmal gesagt, das Verhältnis zum Tod wird bestimmt durch das Leben, das man führt.
Wenn man das Leben verschiebt, hat man ein Problem mit dem Tod, weil man es nicht schafft, das zu machen, was man will. Gerade Leute mit künstlerischen Ambitionen gehen oft einen Kompromiss mit der Realität ein. Es ist nicht allzu selten, dass Menschen den Wunsch nach Selbstverwirklichung verschieben bis zum Sterbebett. Bei mir wäre es so, dass das Leben, das ich führe, riskant für meinen Lebensabend ist und meine Rente, aber nicht für meinen Tod. Ich werde mein Leben also nicht am Sterbebett bereuen, nur vielleicht vorher in der Pension.

Was passiert nach dem Tod?
Kann mir ja eigentlich egal sein. (lacht) Ich denke da recht aufgeklärt: Ich werde es nicht erfahren, und ich erwarte nicht, dass es nach dem Tod weitergeht. Aber ich lasse mich gerne positiv überraschen.

Wie wollen Sie sterben?
Ich denke da mehr an meine Familie als an mich. Meine Kinder sind junge Erwachsene, da wäre das zu früh, ein Elternteil zu verlieren, und das macht mir mehr Sorgen als dass ich dann nicht mehr bin. Für jene, die zurückbleiben, würde ich mir wünschen, dass es so spät und so sanft wie möglich passiert. Bei meinem Schwiegervater war schon ein Jahr lang klar, dass er sterben wird und da blieb genug Zeit, um sich zu verabschieden und sich an den Gedanken zu gewöhnen. Bei der Mutter unseres Schlagzeugers war es so, dass von der Diagnose bis zum Tod nur wenige Wochen waren und das war sehr schwer für die Familie.

Was macht Ihr Leben schön?
Vieles. Abgesehen von dem Stress und der Sorge um die Existenz bekomme ich so viel Input durch meine Arbeit, ich begegne Leuten, die neugierig sind, das alles ist eine wahnsinnige Lebensbereicherung. Ich erlebe viele Highlights, und davon zehre ich.