›Kurz ist ein Meister der Illusion‹

Wie ich mit Harald Katzmair die Regierungskrise in einer Kurzwarenhandlung erlebte.

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Fotografie:
FAS Research
DATUM Ausgabe Juni 2019

Harald Katzmair sitzt in einer kleinen Fensternische des Café La Mercerie im Wiener Servitenviertel. Es ist der Dienstag jener Woche, im Laufe derer die politische Welt in Österreich auf den Kopf gestellt wurde und es ist eine Phase, in der Katzmairs berufliches Feld quasi in Echtzeit um eine gigantische Fallstudie erweitert wird. Ach ja, und Mercerie ist französisch für Kurzwarenhandlung. Katzmaier fokussiert sich in seiner Forschungs- und Beratungsarbeit besonders auf die Frage, wie sich Organisationen und Netzwerke jene Zauberkraft aneignen können, die in volatilen Zeiten entscheidend ist: Resilienz, also Widerstandsfähigkeit.

Zuallererst erkennt er in den Verwerfungen nach Bekanntwerden des Ibiza-Videos ein philosophisches Lehrstück: Es ist schlicht und ergreifend eine Illusion, dass wir Dinge unter Kontrolle hätten. Um einigermaßen Ordnung in die Nichtlinearität unserer Welt zu bringen, erfänden wir Muster, Systematiken, Geschichten – magisches Denken, würde Sigmund Freud sagen.

Denn es passiere nun einmal immer wieder Unvorhersehbares, und mit einem Mal bricht dann das gesamte vermeintlich unter Kontrolle gehaltene Gedankengebäude zusammen. Plötzlich ist alles ganz anders. In solchen Situationen komme es dann auf die Fähigkeit zur Resilienz an, wobei zwei Faktoren entscheidend seien: Agilität und Stabilität, vor allem aber die Umschaltkompetenz, mit der zwischen diesen beiden Zuständen gewechselt werden könne. Resilienz ist immer eine Frage der Elastizität – des Wechselns zwischen schnell und langsam, oberflächlich und tiefgründig, ruhig und beweglich. Es ist wie ein Tanz.

Wer diesen Tanz beherrscht, als Einzelner oder als Netzwerk, hat die Nase vorne. Für politische Organisationen ist es, so Katzmair, essenziell, den Paarlauf zwischen den schnellen Prozessen – die Hochfrequenzwelt der Kommunikation mit all ihren Affekten und Emotionen – und den langsamen Zyklen, also den längerfristigen Strategien, politischen Verhandlungen, legislativen Prozessen zu schaffen. Wer nur in den langsamen Prozessen lebt, erfriert, und wer ausschließlich in der hysterischen hochfrequenten Welt lebt, der verglüht. Katzmair macht kein Hehl daraus, dass Sebastian Kurz und sein Netzwerk diesen Tanz derzeit wie niemand anderer beherrschen. Das ist ein ungleiches Match. Die Mitbewerber verstehen nicht einmal, was da gerade passiert. Es ist eine Sache, etwas nicht zu können. Schlimmer ist es, gar nicht zu wissen, was man nicht kann.

Kurz selbst beherrsche vor allem die limbische Kommunikation, also das Aktivieren von Emotionen, Wunschwelten, aber auch Ängsten geradezu perfekt. Er arbeite mit Archetypen, die seit gut 4.000 Jahren in unse­rer Kultur verankert seien. Ich bin der Held und mit mir wird es gut. Grauschattierungen, aber auch institutionelle Prozesse oder Kompromisse würden ausgeblendet. Sein Kommunikationsstil habe etwas Absolutistisches. Kurz ist ein Meister der Illusion, er schafft hocheffektive Wortbilder. Dann setzt er nach: Schön wäre es aber, wenn er diese Fähigkeit auch dazu nützen würde, den großen Herausforderungen der Wirklichkeit zu begegnen.

Als diese sieht Katzmair die Klimadisruption, Künstliche Intelligenz oder etwa die zunehmende ökonomische Dominanz durch China. Da sei es dringend notwendig, eine breite gesellschaftliche Allianz zu schaffen, also die längst brüchig gewordene Kohäsion der Gesellschaft zu stärken. Es gibt unendlich viel zu tun, das wir nur als Weggefährten schaffen können. Wir brauchen ein neues Wir – Propaganda bringt uns da nicht weiter.

 

Harald Katzmair wurde 1969 in Linz geboren und studierte Soziologie und Philosophie in Wien. Seit 1992 unterrichtet er an unterschiedlichen Universitäten in Wien und Krems. Katzmair gründete 1997 die FAS Research, ist seither deren Geschäftsführer und wissenschaftlicher Leiter.