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Recht clamorös

Michael Rami ist Anwalt und Verfassungsrichter. Er hat die Krone und Heinz-Christian Strache vertreten, aber auch Frauen gegen Wolfgang Fellner. Jetzt ist der Schauspieler Florian Teichtmeister sein Mandant. Wie passt das alles zusammen?

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Fotografie:
Stefan Fürtbauer
DATUM Ausgabe Februar 2023

Wolfgang Fellner macht keine halben Sachen. Als Mitte Jänner der Fall Teichtmeister – bei dem geständigen Schauspieler wurden Darstellungen von sexuellem Missbrauch an Kindern gefunden – öffentlich wurde, stellte Fellners Medium Oe24 eine Frage, die nicht auf den möglichen Täter, sondern seinen Anwalt abzielte: ›Darf ein VfGH-Richter einen mutmaßlichen Kinderporno-Besitzer vertreten?‹ Der Artikel war ein offensichtlicher Ellbogencheck gegen Michael Rami, VfGH-Richter und Anwalt von Teichtmeister. Es zeigte sich einmal mehr: Verfahren, an denen die Öffentlichkeit teilnimmt, werden nicht nur mit juristischen Mitteln ausgetragen. Und gekämpft wird mit harten Bandagen.   

Michael Rami ist Anwalt, ein recht berühmter noch dazu. Man kennt seinen Namen vor allem in Verbindung mit dem Medienrecht. Zuletzt stand er aber auch in der Öffentlichkeit, weil er mehrere Frauen gegen ihren Ex-Chef Fellner vertrat. Rami begnügt sich nicht mit der Rolle als Anwalt im Gerichtssaal: Er steht immer wieder als Erklärer in der Nachrichtensendung ZiB2, hat fast hundert Beiträge in juristischen Fachzeitschriften verfasst und ist Mitglied des Verfassungsgerichtshofs (VfGH). Weil er dort auf einem FPÖ-Ticket sitzt und seit 20 Jahren Boulevardmedien wie die Krone vertritt, ist er noch dazu nicht unumstritten. Viele Leute, die man fragt, sagen: Der Rami, aus dem werd’ ich nicht schlau. 

Es fängt alles damit an, dass Michael Rami eine eindrucksvolle Erscheinung ist. Ein Riese, kerzengerade Haltung, oft mit Einstecktuch. Er hat etwas übrig für die schönen Dinge des Lebens: Im geräumigen Büro hängen große Fotografien aus einer nahen Galerie, die neueste steht noch verpackt an der Wand. Rami passt auf den ersten Blick gut in die Welt der Innere-Stadt-Anwälte, die man gerne in Lokalen wie dem Fabios, dem Schwarzen Kameel oder dem Delia’s trifft: höflich, elegant, bestimmt.  

Was macht einen guten Anwalt aus, Herr Rami? ›Viele glauben, sie sperren nach dem Studium ihr Büro auf und sind dann Anwalt. Man braucht aber viele Eigenschaften in einer guten Mischung.‹ Man müsse idealerweise ein guter Jurist sein, aber auch verstehen, was der Mandant eigentlich genau will. ›Und dann muss man ein entsprechendes Selbstvertrauen und eine gewisse Härte haben, wenn es zur Sache geht.‹

Selbstvertrauen und Härte spricht dem Anwalt Rami niemand ab. Unter Standeskollegen gilt er als exzellenter, detailverliebter, allerdings auch etwas eitler Jurist. Rami macht nicht immer die Fälle, die einem die Herzen zufliegen lassen. Zuletzt mahnte er im Namen von Katharina Nehammer, Ehefrau des Bundeskanzlers, zahlreiche kleine Social-Media-Accounts ab, die eine Falschbehauptung im Internet veröffentlicht hatten. ›Frau Nehammer wurde Opfer einer Impfgegnerblase‹, sagt Rami. ›Sie ist verleumdet worden, und die Verleumder haben später in der Öffentlichkeit versucht, sich selbst als Opfer darzustellen.‹

Auch im Fall Teichtmeister hat Rami für Kritik gesorgt. Als der Fall öffentlich wurde, verwies Rami in einer Stellungnahme darauf, dass sein Mandant darauf bestehe, ein ›rein digitales Delikt‹ begangen und ›keine strafbare Handlung gegen Menschen gesetzt‹ zu haben. Juristisch gesehen ist klar, was Rami meinte: Der reine Besitz solcher Darstellungen wird mit bis zu drei Jahren bestraft, sexueller Missbrauch von Unmündigen mit bis zu fünf Jahren. Aber es zeigte sich, wie unterschiedlich die juristische und die gesellschaftliche Debatte oft ist: Zahlreiche Stimmen – darunter auch Menschen, die sich als Betroffene solcher Verbrechen beschrieben – meldeten sich zu Wort und kritisierten die Formulierung. Fotos von sexuellem Missbrauch seien nur durch sexuellen Missbrauch möglich, man würde immer das System unterstützen. Die Kritik war so laut, dass Rami seine Aussagen auf Twitter ein paar Tage später präzisierte.

Im Medienrecht sind Fälle normalerweise nicht so kontrovers wie im Strafrecht und erregen auch nicht so viel Aufmerksamkeit. In Österreich gibt es nur eine Handvoll spezialisierte Anwälte für diesen Bereich, der laut Rami ›eigentlich‹ gar nicht so schwer sei: ›Wenn Sie als Journalist ordentlich recherchieren, dem Objekt der Berichterstattung ausreichend Möglichkeit zur Stellungnahme geben und diese gleichgewichtig ins Blatt rücken, dann kann Ihnen wenig passieren.‹ Man kennt Rami öffentlich vor allem für die Arbeit im Medienrecht. Sie sei aber nur ein ›sehr kleiner Teil‹ seiner Arbeit. Neben Strafverfahren (im Verfahren um den ehemaligen Grünen-Politiker Christoph Chorherr vertritt er einen Mitangeklagten) ist Rami auch in ­Sachen Urheberrecht erfahren. Nach 20 Jahren ist man in seinem Beruf erfahren und teuer genug, um nur mehr selten persönlich im Gerichtssaal zu stehen. Anfangs seien es ›um die zehn Tage im Monat gewesen‹, heute eher ein bis zwei.

Rami ist auch in eine Causa involviert, die seit einiger Zeit nicht nur die österreichische Medienszene beschäftigt. Er vertritt drei Frauen, die Wolfgang Fellner öffentlich der sexuellen Belästigung bezichtigt haben: Raphaela Scharf, Katia Wagner und Angela Alexa. Es ist ein Mammutkomplex mit bislang 53 Verfahren. Klagen, Gegenklagen, Medienberichte über den Fall, Klagen gegen diese Medienberichte. Viele Verfahren sind durch, Rami war sehr erfolgreich. Er hat seinen Anteil daran, dass Fellner heute zwei Mal wegen Übler Nachrede rechtskräftig strafrechtlich verurteilt ist. Und Rami, der ansonsten öfter für Mandantinnen wie die Krone oder Heute streitet, steht in der Öffentlichkeit auf einmal auf der ›richtigen‹ Seite.  

In der Causa beginnt für Rami alles mit einem Anruf von Raphaela Scharf. Die Moderatorin klagt nach ihrer Entlassung im Jahr 2019 die Mediengruppe Österreich und behauptet, Fellner habe sie sexuell belästigt. Für diese Behauptung wird sie wiederum von Fellner auf Unterlassung geklagt. Die Verfahren laufen schon, als Rami gefragt wird, ob er das übernehmen könne. Anfangs findet das alles quasi unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt: Kein Medium will über die Verfahren um Fellner schreiben. Tun sie es doch, ist er nur ›ein Medienmanager‹. Man scheißt sich an, wie man in Wien sagen würde. Erst als die Zeit den Namen ›Fellner‹ publiziert, ist der Bann gebrochen: Der nächste Gerichtstermin muss aufgrund des Medienansturms in einen größeren Saal verlegt werden. Die Causa Fellner hat Rami sichtlich Spaß gemacht, das gibt er auch unumwunden zu. Die Frauen seien im Recht gewesen, noch dazu ginge es hier wirklich mal um einen Kampf Klein gegen Groß. Und es sei auch interessant, gegen einen reichen, mächtigen Mann wie Fellner anzutreten. ›Ich wusste vorab: Das wird furchtbare Artikel geben, gegen meine Mandantin und mich. Der wird sich wehren mit Händen und Füßen.‹

Wenn Rami Wörter wie ›antreten‹ benutzt, ist das kein Zufall. Er braucht diese Auseinandersetzung. Rami ist Boxer und Kickboxer, trainiert zwei bis drei Mal die Woche. Fast immer Sparring, also mit echten Gegnern. Um die 400 Kämpfe kommen so im Jahr heraus. Rami ist kein angenehmer Gegner, weder im Gerichtssaal noch im Ring: 1,91 Meter groß, 86 Kilo schwer, Linkshänder. ›Ich hab manchmal ein blaues Auge im Gerichtssaal‹, grinst er. Und auch auf die Frage, was Boxen und sein Beruf gemeinsam haben, hat er eine gute Antwort: Wie Boxer müssten sich auch Anwälte strategisch bewegen, die Stärken und Schwächen des Gegners auschecken.

Rami ist ein klassisches Aufsteigerkind. Beide Eltern sind Angestellte, der Sohn der erste Akademiker in der Familie. Er wird 1968 in Wien-Meidling ­geboren, wächst in Kagran auf und geht in der Nähe des Donauzentrums in die Schule. Rami ist ein schlechter Schüler und braucht für die Matura mehrere Anläufe. Aus Mangel an besseren Ideen beginnt er danach, Jus zu studieren. Irgendwann fängt es an, ihn zu interessieren, ab da wird er auch erfolgreicher. Im Studium arbeitet er beim Kreditschutzverband, nach dem Studium in der Rechtsabteilung einer Versicherung. Dort kriegt er viele Schriftstücke anderer Anwälte zu lesen. ›Da hab ich gedacht: Das kann ich locker auch‹, erinnert sich Rami. Von da an ist klar: Er will Anwalt werden und sein eigener Chef sein. 

Dafür braucht er allerdings Praxis. Huberta Gheneff, seine heutige Kanzleipartnerin, vertritt damals die Versicherung, bei der Rami arbeitet. 1998 nimmt sie ihn als Rechtsanwaltsanwärter mit in ihre Kanzlei. Vier Jahre später fügt sich alles zusammen: Der zweite Partner in der Kanzlei, Dieter Böhmdorfer, wird für die FPÖ Justizminister, Rami ist fertig mit seiner Ausbildung. Gheneff und er gründen eine neue Kanzlei, ›verpartnern‹ nennt man das in der Branche. Diese Kanzlei gibt es, mittlerweile mit einem dritten Partner im Boot, seit mehr als 20 Jahren. 

Als Rami als Anwalt zu arbeiten beginnt, ist es noch eine andere Zeit. Die Sekretärin muss zu Mittag beginnen, die Briefumschläge zu frankieren, damit sie am späten Nachmittag fertig ist. Und auch die inhaltlichen Probleme sind noch andere. ›Früher war die Verletzung der Privatsphäre in Zeitungen ein großes Thema, das gibt es heute fast nicht mehr‹, sagt Rami. Dafür seien die Accounts in den Sozialen Medien explodiert. ›Jede blöde Verleumdung kann heute sofort 500 Mal geteilt werden. Das ist gefährlich, damit kann man Menschen richtig fertig machen.‹

Rami landet – anwaltlich gesehen – bei FPÖlern wie Heinz-Christian Strache, obwohl ihm niemand, der ihn kennt, weltanschauliche Nähe zur Partei attestiert. Im Namen seiner Mandanten führt er zahlreiche Medienprozesse. Vor allem mit Maria Windhager, die als Medienanwältin den Standard vertritt, liefert er sich wilde Duelle, die öfter mal vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EuGHMR) landen. ›Wir beide haben das Medienrecht durchexerziert‹, erinnert sich Windhager. In dem Bereich gilt eine einfache Regel: Man weiß nicht genau, was erlaubt ist, solange es nicht ausjudiziert ist. Rami und Windhager machen das über Jahre, aus Rivalität wird gegenseitige Achtung und schließlich Freundschaft. Bei aller Härte im Gerichtssaal sei Rami nie ein Ideologe gewesen, sagt Windhager. ›Man hat immer gemerkt, wie interessiert er an Argumenten war.‹

Die Bezeichnung ›FPÖ-Anwalt‹, die ihn früher verfolgt hat, sei nicht akkurat gewesen, sagt Rami heute. Er habe Menschen vertreten (›Das hab ich gern gemacht, das waren interessante Fälle‹),  sei aber nie Parteianwalt gewesen. Rami hat im Kern ein recht simples, fast technokratisches Berufsethos: Jeder hat das Recht auf einen Anwalt, jeder noch so schlimme Mensch kann Recht haben. Sogar jemand, der angeblich Missbrauchsdarstellungen von Kindern auf 13 Festplatten hatte. ›Ich hab kein Problem damit, jemanden zu vertreten, der in der Öffentlichkeit einen schlechten Ruf hat, zumal gerade diese Personen Hilfe oft am nötigsten haben Für mich ist immer das Kriterium: Kann ich mit dem Menschen vernünftig zusammenarbeiten? Erzählt der mir keinen Blödsinn?‹ Die Polit-Mandate hat er inzwischen alle aufgegeben – VfGH-Mitglieder dürfen parallel als Anwalt arbeiten, aber ideal ist das Bild nicht –, schämen will er sich für sie nicht. 

Rami ist insofern ein ›klassisch‹ österreichischer Verfassungsrichter, als er sich politisch nie aus dem Fenster lehnt. In Interviews spricht er nicht über seine Tätigkeit am VfGH, und man findet auch im Archiv keine Äußerungen von ihm, die sich in ein simples Rechts-Links-Schema einordnen ließen. Während die Richter am Supreme Court in den USA gerade wegen ihrer ideologischen Ausrichtung prominente Persönlichkeiten sind, haben europäische Verfassungsgerichte meist eine andere Tradition. Das Vorschlagsrecht für Richter am VfGH teilen sich Bundesregierung, Nationalrat und Bundesrat; meist ist in irgendwelchen Koalitions-Sidelettern vereinbart, wer wann wie darf. Aber die Richter entscheiden als Kollegialorgan, die einzelnen Mitglieder bleiben unsichtbar, das Abstimmungsverhalten soll auch nicht viel mit der ›Farbgebung‹ zu tun haben. Minderheitsmeinungen werden nicht veröffentlicht. Rami soll ein fleißiger Verfassungsrichter sein, so hört man, und sich ordentlich reinknien. Es würde zu seiner Person passen.

Vielleicht ist sein Berufsverständnis – die Liebe zum Recht als abstraktem Ordnungsprinzip und der Glaube, sich darin schwerelos als Figur ohne eigenes Gewicht bewegen zu können – auch ein Schlüssel, um aus der öffentlichen Figur Michael Rami schlau zu werden, zumindest ein wenig. Es erklärt zumindest, wie es zu Missverständnissen wie um das ›Rein digital‹-Zitat kommt: Rami spricht in der (juristischen) Sprache einer Teil-Öffentlichkeit, die in einer anderen Teil-Öffentlichkeit anders verstanden wird. Sowas passiert immer noch. Redet man aber mit Menschen, die Rami schon länger kennen, dann beschreiben die eine Entwicklung. Der Rami von heute wisse besser als der von vor 20 Jahren, dass Recht – speziell, wenn es um öffentlichkeitswirksame Verfahren geht – nicht nur eine juristisch-technische, sondern auch eine politische Ebene hat. 

Diese beginnt nicht erst im Gerichtssaal, sondern schon im Büro im ersten Bezirk, wo die großformatigen Fotografien an der Wand hängen. ›Meine Hauptaufgabe besteht eigentlich darin, den Mandanten Sachen auszureden‹, sagt Rami. In neun von zehn Fällen rate er von Klagen ab. Man könne ein Verfahren gewinnen, am Ende aber in der Öffentlichkeit trotzdem blöd dastehen. ›Wenn heute jemand mit einem bösen Tweet oder Artikel in meinem Büro steht, sage ich öfter als früher: Lassen Sie es sterben, das ist morgen vergessen.‹ •