Soziologie für Arme
Seit Donald Trump sich als Vizepräsidentschaftskandidaten einen gewissen J.D. Vance erwählt hat, ist dessen Bestseller aus dem Jahr 2016, ›Hillbilly Elegy‹, wieder Gesprächsstoff. Vor acht Jahren wurde das Buch über eine White-Trash-Kindheit zwischen Kentucky und Ohio von liberalen Medien zur Pflichtlektüre für alle erklärt, die weiße Trump-Wähler aus der Arbeiterklasse verstehen wollen.
Liest man es heute, bietet es überraschend wenig: Am ehesten beeindruckt noch die Chuzpe,
die Vance damit beweist, als damals 32-Jähriger ohne besondere Lebensleistung eine dermaßen langatmige Autobiografie vorzulegen. Der gefällige, aber absolut austauschbare Stil des Buches riecht stark nach Ghostwriter.
Als solcher werde ich immer hellhörig, wenn Autoren in ihren Nachworten, wie Vance es tut, ihren angeblich so komplexen Schreibprozess darlegen. Wer immer das Buch wirklich geschrieben hat: In Erinnerung bleiben daraus nur ein paar hollywood-taugliche Drama-Sequenzen, in denen die Vance-Family sich wechselseitig, noch lieber aber andere vermöbelt, um ihre Working-Class-Ehre zu verteidigen (Ron Howard verfilmte den Stoff 2020 für Netflix).
Der Rest sind soziologische Gemeinplätze über die feinen Unterschiede zwischen den Klassen und die fatalen Konsequenzen der De-Industrialisierung. Bekämpfen will der Vance von 2016 diese Probleme allerdings nicht politisch, richten soll es die Gemeinschaft der Hillbillys selbst – deren soziale Dysfunktionalität der Autor zuvor auf 247 langen Seiten ausführlich geschildert hat.
J.D. Vance: Hillbilly Elegy
Verlag: Harper Press