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Tschocherl statt Rasen

Warum Tischfußball, hierzulande auch Wuzzeln genannt, das Leben schöner macht.

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Illustration:
Blagovesta Bakardjieva
DATUM Ausgabe Februar 2025

Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das erste Mal gewuzzelt habe, ich weiß nicht mehr, wie ein halbwegs fähiger Spieler aus mir wurde. Ich weiß nur, dass all die kleinen Abmachungen und Codes rund um dieses Spiel für mich zum abendlichen Fortgehen gehören wie sonst nur tschechisches Bier: Die aus dem Portemonnaie gekramte Ein-Euro-Münze, die mit einem betont coolen ›Wir ­fordern‹ auf die Tischecke gelegt wird, womit quasi Rechtsanspruch auf ein Match gegen die Sieger der laufenden Partie besteht. Das ›Spielst du vorne oder hinten?‹, wenn man sich mit einem neuen Partner zusammentut, wobei man inständig hofft, dessen Vorlieben mögen die eigenen Fähigkeiten und Neigungen komplettierend ergänzen anstatt sinnlos verdoppeln (›Vorne? Scheiße, ich auch …‹). Oder die obligatorische Frage vor Spielbeginn, Aug in Aug mit dem gegnerischen Duo: ›Ohne Mitte, mit Aufteilen?‹ 

Wenn einer in Wien nicht versteht, was das heißt, dann darf man freilich berechtigt hoffen, dass er eher hoch verlieren wird – vielleicht sogar zu null, was nach ehernem Wuzzel-Gesetz dazu verpflichtet, den Siegern zwei große Bier zu spendieren. 

Dann die nervenaufreibenden Matches gegen die Semi-Profis, die spezielle Handschuhe tragen, ihre Stangen vor Spielbeginn mit mitgebrachtem Gleitspray präparieren und deren ›Ziager‹ so blitzschnell und ansatzlos kommen, dass du den Ball an der Torrückwand knallen hörst, bevor dein Auge seine Bewegung erfasst – und das Gefühl, wenn du aus purem Instinkt doch einen dieser unsichtbaren Bälle hältst und dann im Konter gar selbst ein Tor schießt: verzögert, geschlenzt, provozierend langsam, um die Reflexe der sonst Unbezwingbaren für einmal elegant zu täuschen. 

Ja, das ist das schöne Leben. Übrigens: Die in Wien gängigen italienischen Tische mit ihren schlanken roten und blauen Figuren sind natürlich das einzig Wahre. Wie unsere Lieblings-Nachbarn mit ihren klobigen Duplo-Männchen spielen können, wird mir nach einer Reihe ärgerlicher Niederlagen in einem ›Tischkicker‹-Lokal auf der Hamburger Reeperbahn anno 2015 für immer ein Rätsel bleiben. •

Spiel: Tischfußball · Wahrscheinlich Erfinder: Harold S. Thornton · Entstehungsjahr: 1922  

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