›Uns Nachbarn darf nicht der Atem ausgehen‹
Welche Rolle spielt das Recht für die Versöhnung nach einem Krieg ? Justizministerin Alma Zadić und Spitzendiplomat Wolfgang Petritsch über die Lehren aus der Aufarbeitung der Balkankriege.
Es gibt Begegnungen, denen man als Beobachter sofort ansieht, dass sie überfällig sind. Als Justizministerin Alma Zadić den kleinen Festsaal ›ihres‹ Palais Trautson betritt und den Diplomaten Wolfgang Petritsch begrüßt, entfaltet sich sofort ein lebhaftes und herzliches Gespräch – wie unter Freunden, die sich schon lange nicht mehr gesehen haben. Doch obwohl sich ihre Lebensläufe gleich an mehreren Stellen kreuzen, ist es das erste Mal, dass Zadić und Petritsch persönlich aufeinandertreffen – zu einem DATUM-Gespräch über die großen Themen, die beider Biografien geprägt haben : die Kriege auf dem Balkan, ihre juristische Aufarbeitung und das Bemühen um dauerhaften Frieden und Stabilität in der Region.
Wie nennen Sie beide eigentlich die Sprache, in der Sie sich gerade unterhalten haben ?
Alma Zadić: Ich sage immer BKS.
Wolfgang Petritsch: Ich sage Naški, das heißt › unsere Sprache ‹ und umfasst Serbisch, Kroatisch, Bosnisch.
Zadić: Das ist auch der bessere Begriff. BKS hat sich nie so wirklich etabliert. Wenn man Leute aus dem ehemaligen Jugoslawien trifft, sagt man lieber gleich › Naški ‹. Dann fühlen sich alle eingeschlossen.
Petritsch: Das wirkt verbindend …
Frau Zadić, Ihre Familie floh 1994 aus dem kriegszerrütteten Bosnien nach Österreich. Welche Erinnerungen haben Sie an den Krieg ?
Zadić: Ich war damals zehn Jahre alt, und die Erinnerungen sind nach wie vor sehr lebendig. Kinder bekommen ja viel mehr mit, als man glaubt, vor allem Emotionen. Mir ist zum Beispiel ein Moment kurz vor Ausbruch des Krieges noch sehr präsent : Die ganze Familie sitzt vor dem Fernseher. Alle haben verheulte Augen, weil sie wissen, da passiert jetzt etwas Großes. Denn allen war klar : Wenn es in Bosnien bewaffnete Auseinandersetzungen geben wird, dann wird’s brutal. Das war auch Tito immer schon bewusst, dass Bosnien mit seinen drei Volksgruppen (Kroaten, Serben und Bosniaken, Anm.) eine Region ist, wo es besonders wichtig ist, dass Zusammenhalt und Einigkeit gewahrt bleiben. Und man hat ja dann gesehen, wie furchtbar es wurde, als der Krieg auf Bosnien übergeschwappt ist.
Petritsch: Woher stammt Ihre Familie ?
Zadić: Wir lebten in Tuzla, das war zwar auch umzingelt, aber nicht so wie Sarajevo. Es gab einen Korridor, über den die Stadt versorgt werden konnte, aber natürlich immer wieder Bombardements und Schüsse. Es ist schon erstaunlich, wie zäh der Mensch ist und wie schnell sich Kinder an so eine Ausnahmesituation gewöhnen. Wir spielten draußen auf der Straße, dann heulten die Sirenen, wir rannten nach Hause und versteckten uns im Keller. Und als es vorbei war, trafen wir uns wieder auf der Straße, um weiterzuspielen, obwohl ja jederzeit etwas hätte passieren können ! Meine Eltern gingen täglich zur Arbeit. Meine Mama hat erst aufgehört zu arbeiten, als am Parkplatz ihrer Arbeitsstätte eine Granate explodierte, die viele ihrer Kollegen tötete.
An die Flucht selbst haben Sie auch Erinnerungen ?
Zadić: Interessanterweise nur bruchstückhaft, dabei hat die Flucht zwei Wochen gedauert. Wir sind 1994 mit dem ersten UN-Konvoi von Tuzla zur kroatischen Grenze gefahren. Heute braucht man dafür drei bis vier Stunden. Ich kann mich nur an eine Übernachtung in einem Hotel erinnern und daran, dass der Konvoi immer wieder angehalten und durchsucht wurde.
Fünf Jahre später hat ein österreichischer Diplomat, Wolfgang Petritsch, die Verwaltung ihres Geburtslandes übernommen. Wie haben Sie das als Jugendliche in Wien erlebt ?
Zadić: Der Name Petritsch ist natürlich sehr oft gefallen, wenn wir in der Familie über die Entwicklungen in Bosnien gesprochen haben. Sie, Herr Petritsch, haben ja auch wirklich sehr viel dafür getan, dass Bosnien-Herzegowina wieder als Staat funktionieren kann. Aber abgesehen davon habe ich mich als Jugendliche nicht sehr dafür interessiert. Ich wollte einen Neustart und habe mich auf das Leben hier in Österreich fokussiert – und die Vergangenheit verdrängt. Nur, das gelingt einem nicht auf Dauer. Während meines Studiums habe ich angefangen, mich wirklich intensiv mit dem Krieg in Bosnien auseinanderzusetzen. Ich wollte das aufarbeiten und wissen, wie es so weit kommen konnte.
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