Vererbte Emotion

Über Österreichs hartnäckige Zuneigung zu Russland.

·
Illustration:
Blagovesta Bakardjieva
DATUM Ausgabe April 2024

Bundeskanzler Nehammer verspielte das Vertrauen Russlands in Österreich.‹  Das wurde von den Initiatoren eines Volksbegehrens mit Rechtsdrall als Begründung für das Begehren ›Nehammer muss weg‹ angeführt. Manche Aktionen in Österreich sind an Absurdität nicht zu übertreffen. Regierungschef in Österreich soll sein, wer das Vertrauen Wladimir Putins genießt? 

Es scheint, als sei die Macht der Bilder auch nach Jahrzehnten stärker als jeder Hinweis auf historische Fakten.  Wie die Mitglieder der Bundesregierung unter Bundeskanzler Julius Raab (ÖVP) im April 1955 das Flugzeug nach Moskau bestiegen, wie sie dann am Militärflughafen Bad Vöslau bei ihrer Rückkehr im Triumph empfangen worden waren. So wurden Staatsvertrag, Freiheit, Souveränität mit der Zustimmung Moskaus gleichgesetzt. Vererbte Emotionen heißt das. Man verdankte Moskau überdies die Streichung der Mitschuld Österreichs am Nazi-Regime, wie sie ursprünglich im Staatsvertrag vorgesehen war. Die Legende von Österreich als erstes Opfer Nazi-Deutschlands war geboren. 

Vererbte Dankbarkeit bei gleichzeitigem Hang zu Unterwürfigkeit und einem Schuss Feigheit reichen aus, um einem autoritären Regime den Vorzug vor demokratischen Staaten wie den USA zu geben, auf deren Hilfe man in Zeiten des Kalten Krieges angewiesen war; von deren Führung bis dato nichts zu befürchten war. Die USA konnte man kritisieren, auch offiziell, wie die frühere Außenministerin Ursula Plassnik mit ihrer im Zusammenhang mit einem Bankenrechtsstreit geäußerten  Bemerkung: ›Österreich ist nicht der 51. Staat der USA‹, ohne negative Reaktion erwarten zu müssen – außer besorgte Depeschen der US-Botschaft an das State Department. Den russischen Bären aber wollte man nicht reizen. Und will es offenbar auch nach der Invasion der Ukraine nicht. 

Mit dieser Einstellung, Russland werde der Republik nicht gefährlich werden, wenn Österreich nicht verhaltensauffällig werde, glaubten eine Reihe von Regierungen, sich Aufmerksamkeit, Finanzierung, Modernisierung der militärischen Landesverteidigung ersparen zu können. Daran haben nicht einmal kriegerische Auseinandersetzungen, wie sie nie mehr erwartet wurden, nur ein paar hundert Kilometer von Wien entfernt etwas geändert. Die Sicherheitsstrategie 2013 ist unter den geänderten Umständen Altpapier. Eine neue wurde für Ende 2023 versprochen, veröffentlich wurde sie noch immer nicht.

Es wird auch nicht mehar so bald die Rede davon sein, denn Neutralität und die Haltung zu Russland will die Regierung gewiss nicht in Wahlkampfzeiten diskutieren. Diese Verzögerung ist verantwortungslos. So wurde zuletzt durch Medienberichte bekannt, dass eine Neuaufstellung des Bundesheeres auch mit Hilfe der zusätzlichen Mittel erst in zehn Jahren wirksam werde. Das Absurde an dieser Planung wird den Verantwortlichen hoffentlich aufgefallen sein. Wenn es je eine Notwendigkeit zu einem parteipolitischen Schulterschluss gab, dann jetzt. Die Sicherheit Österreichs erlaubt keine Wahlkampfspiele. •