Wann Beamte nicht gehorchen sollten
Plädoyer für die bürokratische Verteidigung der Demokratie.
Dienst nach Vorschrift. Es ist einer dieser Ausdrücke, der einem eine fragwürdige Arbeitsethik unterstellt. Dass man nicht mit vollem Herzen bei der Sache ist. Nur das Nötigste tut. Keine Extras, keine Flexibilität, keine Anpassung. Vollkommen unkreativ. Vorschriftenreiterei eben.
In Demokratien, die seit geraumer Zeit dem Wählerwillen misstrauen, weil der Wähler mit seinem Wahlkreuz Demokratiefeinden den Weg zur Macht ebnen könnte, rücken die Vorschriftenreiter in den Fokus. Und das in einer ungewohnten Rolle: als mögliche Verteidigerinnen der Demokratie. Die letzte Front des Widerstands, wenn jene an die Macht kommen, die sie von innen aushöhlen wollen.
Wie werden sie sich verhalten, die Beamten, die Abteilungsleiterinnen, die Diplomaten, all das Personal, auf dessen Schultern der korrekte Ablauf eines demokratischen Staates ruht? Werden sie sich bei einem Regierungswechsel immer noch an Vorschriften halten, die einen Durchmarsch der Demokratiefeindinnen zu verhindern wissen? Oder werden sie bloße Befehlsempfänger sein, die alles umsetzen, was ›von oben‹ kommt?
In Frankreich hat man sich im Juni bei der Parlamentswahl nach dem ersten Wahlgang, bei dem der rechtsextreme Rassemblement National auf Platz eins lag (im zweiten konnte sich dann das linke Wahlbündnis durchsetzen), öffentlich diese Frage gestellt. Leitende Angestellte des französischen Bildungsapparats haben in einer Petition Position bezogen. Im Falle eines rechtsextremen Bildungsministers werden sie nicht zu Diensten sein, machten sie klar: ›Nach bestem Gewissen und Verantwortungsbewusstsein – wir werden nicht gehorchen. (…) Wir erklären hiermit, dass keiner von uns Maßnahmen umsetzen würde, die gegen die Werte der Republik verstoßen.‹ Mehr als 2.500 Spitzenbeamte hatten die Petition unterzeichnet. Öffentlich wurde in Frankreich debattiert, welcher Handlungsspielraum im Falle eines rechtsextremen Regierungswechsels für Widerstand aus dem Staatsapparat möglich wäre. Durch welche kleinen Sabotageakte Beamtinnen Abläufe verlangsamen könnten, Entscheidungen verzögern, Texte so schlecht verfassen, dass sie permanent überarbeitet werden müssten. Ein Spielen auf Zeit, bis zur nächsten Wahl.
Auch in Deutschland stellt man sich derartige Fragen. Was zu tun wäre, sollte eines Tages die rechtsextreme AfD auf Landes- oder gar Bundesebene an die Macht kommen. Gerade im Osten des Landes, wo in den drei Bundesländern Thüringen, Sachsen und Brandenburg im September Landtagswahlen geschlagen werden und die Partei seit Monaten in Umfragen führt, ist das Was-wäre-wenn-Szenario einer AfD auf der Regierungsbank sehr präsent. Und auch dort hofft man im Falle des Falles auf die Arbeitsethik deutscher Beamten. In einem Interview mit der Zeit spielt der Transparenzaktivist Arne Semsrott durch, wie eine AfD-Machtübernahme an einer widerständigen Trägheit des deutschen Beamtenapparats scheitern könnte. Rechts- und Verfassungswidriges dürften sie ohnehin nicht umsetzen, gibt Semsrott zu bedenken, und beim Rest gebe es genug ›Obstruktionspotenzial‹: ›Deswegen ist es mir auch so wichtig, immer zu betonen, dass eine Regierungsübernahme der AfD eben nicht bedeutet, dass sie automatisch alles umsetzen können, was sie wollen. Die Vorhaben müssten von den Beamten umgesetzt werden. Ohne sie geht nichts.‹
Ob ihnen das auch so klar ist? Diese Macht? Vertraut man den Umfragen, ob in Deutschland oder Österreich, werden sie ihren Widerstand eher früher als später unter Beweis stellen können. Mit allen Vorschriften, die dazugehören – oder eben nicht. •