Was ist artgerecht?
Neue Tierwohl-Siegel versprechen das gute Leben in Österreichs Ställen. Doch gibt es das überhaupt?
Schließen Sie die Augen und denken Sie an das Wort Schweinestall. Was sehen Sie? Vielleicht einen Holzverschlag in einer abgelegenen Ecke eines Bauernhofs. Auf der bloßen Erde stehen drei Schweine, ihre Haut schlammbedeckt, und fressen Küchenabfälle aus einem Trog? Vielleicht sehen Sie auch ein anderes Bild, es ist unschärfer. Eine von spärlichen Deckenlampen beschienene Halle. Auf dem Betonboden pressen sich hunderte Schweine eng aneinander. Einige haben geschwollene Fußgelenke oder blutige Stumpen, dort, wo der Ringelschwanz sein sollte. Das erste Bild stammt aus Zeiten, in denen viele Österreicher ihr Fleisch noch vom Bauern oder Fleischer in der Nachbarschaft bezogen. Mit dem Teil der Schweinemast, die den österreichischen Markt beherrscht, hat es nicht mal mehr am Rande zu tun. Das zweite präsentieren uns Tierschutzorganisationen, die sich oft illegal Zutritt zu großen Mastbetrieben verschaffen. Unser Bild von der konventionellen Schweinewirtschaft ist entweder antiquiert oder erschreckend.
Vielleicht hatten Sie aber auch ein anderes Bild vor Augen. Es sieht ungefähr so aus: Ein Schwein – sauber von der Nase bis zum Ringelschwänzchen, ein schwarzer Fleck am Rücken – steht inmitten seiner Rotte. Behutsam schnobert es mit der Nase im knöcheltiefen, maisgelben Stroh. Ein Bauer kniet sich daneben und füttert es aus der Hand. Schweineohren wackeln, aus dem Schweinemaul ertönt verhaltenes Schmatzen. Es ist das Bild vom glücklichen Schwein, das in weiches Stroh gebettet und liebevoll behütet unter Artgenossen heranwächst. Und um es zu sehen, muss der Verbraucher keinen stechenden Mistgeruch ertragen, keinen Strohstaub, der ihm ein herzhaftes Niesen entlockt. Er muss nicht die Stalltür, sondern den Browser öffnen. Das Bild entstammt einem Werbevideo der Handelskette Hofer. Mit beschwingender Klaviermusik im Ohr kann der Besucher im 360-Grad-Modus durch den Schweinehof der Familie Hitzenberger in Bad Wimsbach, Oberösterreich klicken. Zu dem Zeitpunkt, als der User auf das Play-Symbol klickt, ist das Schwein mit dem schwarzen Fleck am Rücken längst tot. Verarbeitet zu Cocktail-Debrezinern, gemischtem Faschiertem oder einem der 18 weiteren Schweinefleisch-Produkte der Hofer-Eigenmarke ›Fairhof‹.
Wir Österreicher mögen unser Fleisch, am liebsten das vom Schwein. Das ist, trotz der steigenden Anzahl von vegetarisch oder vegan lebenden Menschen, Faktum, mit Zahlen belegbar. Etwa die knapp fünf Millionen Schweine, die, zieht man die Lebendimporte ab, im vergangenen Jahr geschlachtet wurden. Von den 64 Kilogramm Fleisch, die im vergangenen Jahr pro Kopf konsumiert wurden, stammten 37 vom Schwein. Der Marktanteil von Bio-Fleisch wiederum lag im Jahr 2018 bei gerade einmal 1,7 Prozent. Kontrolliert wird für das Label ›Bio‹ nicht nur die Haltung, sondern der gesamte Produktionsprozess, etwa die Abwesenheit von Gentechnik oder die Gabe von ausschließlich biologisch hergestelltem Futter. Auch PMSG darf bei der Zucht von Bio-Schweinen nicht verwendet werden, ein Hormon, das aus dem Blut von Pferdestuten gewonnen und zur Synchronisation des Zyklus von Zuchtsauen verwendet wird. Und auch für das Schwein hat Bio Vorteile – so haben die Tiere etwa Auslauf, Stroheinstreu ist verpflichtend.
Für 98 Prozent der österreichischen Schweine aber sind weder Auslauf, Frischluft noch Sonnenlicht Realität. Kritisiert wird an den ›konventionellen‹ Betrieben unter anderem die Haltung auf Vollspaltenböden, also Auftrittsflächen auf Betonbalken, durch deren Spalten Kot und Harn in eine Art Güllebehälter fällt. Für Bauernvertreter sind Vollspaltenböden eine effiziente Lösung in der Produktion und eine Steigerung der Stallhygiene. Tierschutzorganisationen wie der Verein gegen Tierfabriken sprechen dagegen von enormer Geruchsbelastung für das Schwein, ein Tier, das Trüffelpilze einen halben Meter unter der Erde erschnüffeln kann. Gemästet wird mit Soja, oft aus Südamerika zugekauft. Naturgemäß ist konventionell produziertes Fleisch dadurch weitaus günstiger als Bio-Fleisch. Doch seit einiger Zeit gibt es neben Bio und konventionell eine dritte Option für den Konsumenten vor dem Kühlregal: ›Tierwohl-Schweinefleisch‹. Ziel von ›Fairhof‹ ist, laut der Firma Hofer, ›die konventionelle Schweinehaltung nachhaltig zu verbessern und gleichzeitig dem Kunden ein vielfältigeres Sortiment zu bieten, aus dem er auswählen kann‹. Auch preislich bedeuten die neuen Eigenmarken einen Zwischenschritt. So will man, laut Rewe, ›Konsumenten ansprechen, denen der Preisunterschied zwischen Bio und konventionellem Schweinefleisch zu groß ist‹. Die neuen Eigenmarken sind allerdings keine wirkliche Zwischenstufe, sondern eher eine punktuelle Verbesserung der konventionellen Schweinehaltung. Was genau sich für die Schweine ändert, definiert jede Handelskette selbst. Eine Vielfalt, die für den Konsumenten leicht zum Irrgarten wird.
Im Jänner 2017 startete Hofer seine Tierwohl-Eigenmarke ›Fairhof‹, seit Juli 2017 gibt es mit ›Tann schaut drauf‹ auch im Spar-Regal Tierwohl-Schweinefleisch zu kaufen. Und seit Oktober 2018 hat auch Merkur mit ›Fair zum Tier‹ seine eigene Marke für besser produziertes Schweinefleisch. Der Konsument vor dem Kühlregal erkennt sie an den Siegeln: Bei Hofer ein lila Siegel mit kleinem Herz und dem Schriftzug ›Tierwohl verbessert‹, entwickelt von der Gesellschaft Tierwohl. Diese wiederum wurde mitbegründet vom Wiener Tierschutzverein und vom Verein gegen Tierfabriken. ›Fairhof‹ ist eine Initiative von Hofer und dem Fleischwarenhersteller Hütthaler. Auf Merkurs ›Fair zum Tier‹-Schweinefleisch klebt ein runder, grüner Kreis, umrandet von einem weiteren silbernen – das ›Tierschutz-kontrolliert‹-Siegel von Vier Pfoten. Auf Schweinefleisch im Spar-Kühlregal klebt eine braune Plakette mit dem Schriftzug ›Tann für mehr Tierwohl‹. Schweinefleisch mit diesem Label entstammt ›Gustino Stroh‹, einem Markenprogramm des Verbandes landwirtschaftlicher Veredelungsproduzenten Oberösterreich und ist eine Kooperation mit dem Fleischhersteller Tann. Für jedes dieser Siegel gelten andere Richtlinien. So werden für die Produktion von ›Fairhof‹-
Schweinen etwa keine Mastschweine verwendet, deren Transport zum Schlachthof länger als vier Stunden dauert; die männlichen Ferkel müssen vor dem Kastrieren betäubt werden – eine Auflage, die sonst nur beim Bio-Schwein erfüllt sein muss. Die Tiere dürfen allerdings auf Spaltenböden gehalten werden. Die Transportdauer der Schweine, die über ›Tann schaut drauf‹ vermarktet werden, soll schlicht ›so kurz wie möglich‹ sein, Spaltenböden sind auch hier nicht verboten. Kontrolliert werden die Bauern jedes Programmes jeweils auch noch von anderen Stellen: ›Fair zum Tier‹-Schweine etwa durch ein externes Kontrollunternehmen und Mitarbeiter von Vier Pfoten, ›Fairhof‹-Bauern von der Zertifizierungsstelle AgroVet. So weit, so unübersichtlich.
›Tierwohl ist ein Megatrend, vor allem was Image, politisches und öffentliches Meinungsbild betrifft. Das kann man nicht ignorieren‹, meint Adolf Marksteiner, Leiter der Fachabteilung Marktpolitik für tierische Erzeugnisse in der Landwirtschaftskammer. Der Trend zeichnet sich in Umfragen und Motivanalysen wie der rollierenden Agrarmarktanalyse, kurz RollAMA, ab. Die RollAMA ist ein Panel aus 2.800 repräsentativen österreichischen Haushalten, die 2016 speziell zum Thema Tierwohl befragt wurden. Über die Hälfte der Personen sagten, sie achteten beim Fleischkauf besonders auf Angaben zum Tierwohl. Eine Studie der Agentur Marktagent unter 1.000 Befragten zeigt dieselbe Entwicklung. Tierwohl ist 79 Prozent der Befragten wichtig, 60 Prozent wollen darüber etwa mit einem Siegel informiert werden. Nur ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis und hohe Qualität sind den Befragten noch wichtiger.
Darum wirbt ›Tann schaut drauf‹ mit 60 Prozent mehr Platz fürs Schwein. ›Fairhof‹ und ›Fair zum Tier‹ werben mit hundert Prozent mehr, also doppelt so viel Platz. Das klingt großzügig, aber die Verbesserungen sind immer im Vergleich zu den gesetzlichen Mindestanforderungen zu sehen. Diese stehen in der 1. Tierhaltungsverordnung, die auf der Richtlinie über Mindestanforderungen für den Schutz von Schweinen des EU-Rates basiert. ›Wegen akuten Platzmangels findet in den derzeitigen Haltungssystemen keine artgerechte Tierhaltung statt‹, schrieb der Rat darin. Das war vor elf Jahren. In der österreichischen Tierhaltungsverordnung steht heute, dass ein Schwein, das 85 Kilogramm wiegt, mindestens 0,55 Quadratmeter Platz haben muss. Hundert Prozent mehr sind 1,1 Quadratmeter – gerade einmal der Sprung vom DIN-A2 zum DIN-A0-Blatt.
›Tierwohl ist die wichtigste Basis für bäuerliche Produktion. Wenn sich die Tiere wohl fühlen, sind auch Landwirt und Bäuerin stressfrei‹, sagt Walter Lederhilger. Er sitzt im Besprechungsraum eines nüchternen Bürokomplexes im 20. Wiener Gemeindebezirk. Lederhilger ist Obmann des Verbandes österreichischer Schweinebauern, kurz VÖS. Dieser Dachverband der Züchtervereinigungen und Erzeugergemeinschaften für Ferkel und Mast versteht sich als Interessenvertretung der österreichischen Schweinebauern. Auch der Verband Landwirtschaftlicher Veredelungsproduzenten Oberösterreich, der ›Gustino Stroh‹ konzipiert hat, ist dort Mitglied. Obmann Walter Lederhilger hält selbst Schweine, 140 Sauen stehen zurzeit in seinem Stall. Die wichtigsten Parameter für Tierwohl seien die Betreuung und Fütterung der Tiere. Ob das Schwein 60 oder hundert Prozent mehr Platz hat als gesetzlich vorgeschrieben, sei für das Tierwohl nicht allein ausschlaggebend, meint Lederhilger. Schweine seien soziale Tiere und lägen im Stall meist beieinander. Das sehe er jeden Tag bei seinen eigenen Sauen und Ferkeln. Und weniger Platz für das einzelne Tier bringt ökonomische Vorteile. Die Rechnung ist simpel: Hat das Schwein mehr Bewegung, verbrennt es mehr Kalorien und setzt langsamer Fleisch an. Ergo kommt es zu weniger Kilogramm Schweinefleisch pro Jahr, das man verkaufen kann.
Denken Sie an das Wort Tierwohl. Was sehen Sie? Ist es ein Tier, das auf einer großen Fläche, in einem Auslauf oder gar im Freien steht? Dann geht es Ihnen wie 70 Prozent der Österreicher, die für die RollAMA-Studie im Jahr 2016 befragt wurden. Wichtigste Kriterien für artgerechte Tierhaltung waren für die Befragten Zugang zu Weiden oder Freigelände und keine durchgängige Haltung im Stall. Denkt der Österreicher an Tierwohl, kommen ihm die Assoziationen Freiheit, Natur und viel Platz in den Sinn. Ein Effekt, der sogar einen Namen besitzt: Zentimetertierwohl. Aber lässt sich Wohlbefinden wirklich in Zentimetern messen? Oder hat Walter Lederhilger Recht, und für die Schweine ist die Größe der Fläche, auf der sie stehen, gar nicht so wichtig?
›Das Wort Tierwohl wird zum Teil inflationär verwendet‹, sagt Christine Leeb vom Insitut für Nutztierwissenschaften an der Universität für Bodenkultur Wien. ›Wenn wir vom Normalverhalten eines Schweines ausgehen, ist doppelt so viel Fläche auch nicht viel. Selbst hundert Quadratmeter mehr entsprechen diesem Normalverhalten noch nicht.‹ Die Differenz zwischen den Ansprüchen des hochintelligenten, sozialen Wesens Schwein und der Art, wie es gehalten wird, ist größer als bei vielen anderen Nutztieren, sagt Leeb. Deshalb widmet sie sich seit 20 Jahren dem Schwein, berät unter anderem Landwirte, die sich weiterentwickeln möchten.
›Tierwohl verkauft sich gut‹, sagt dazu Jean-Loup Rault vom Institut für Tierschutzwissenschaften und Tierhaltung an der Veterinärmedizinischen Universität Wien. Er forscht zum Wohlbefinden von Schweinen, seine Kollegin Susanne Waiblinger hat sich auf Rinder spezialisiert. Ihre Forschungsrichtung, die Tierschutzforschung, spricht nicht von Artgerechtheit, sondern von Tiergerechtheit. Man erhebt das Wohlergehen der Tiere mit Hilfe von Indikatoren, anhand derer die Haltungsbedingungen untersucht werden. An der Basis stehen die Grundbedürfnisse: Hat das Schwein ausreichend zu fressen? Hat es eine Möglichkeit, sich vor Hitze oder Kälte zu schützen? Dazu kommt das Ausüben arttypischer Verhaltensweisen: Kann das Schwein sich suhlen, in der Erde graben? Kann es Kot- und Schlafplatz trennen? Herauszufinden, wann sich ein Schwein wirklich wohl fühlt, ist allerdings schwierig. Rault misst etwa die Oxytocinlevels bei Mensch-Tier-Interaktionen, zum Beispiel beim Streicheln. Wohlbefinden ist nur dann möglich, wenn die Grundbedürfnisse befriedigt sind. Und das ist nicht zwangsläufig eine Frage nach Bio oder konventionellem Betrieb. ›Wenn Stallbau und Management passen, die Fütterung und Betreuung, Weidezugang da ist, kann gutes Wohlergehen auch in konventionellen Betrieben gegeben sein‹, sagt Susanne Waiblinger. Tierwohl hänge immer vom Management, von der Bäuerin oder dem Bauern ab, stimmt auch Nutztierwissenschafterin Leeb zu: ›Ich kann das schönste Haltungssystem haben, wenn der Mensch es schlecht managt, zum Beispiel zu wenig Stroh hineingibt, kann es nicht funktionieren‹, sagt sie.
Ein für Schweine wichtiger Faktor, so Tierschutzforscher Jean-Loup Rault, ist die Beschäftigung: ›Das sind sehr aktive Tiere, wie Wildschweine verbringen sie einen Großteil der aktiven Zeit mit Nahrungssuche. In den meisten Haltungssystemen haben sie nicht viel zu tun.‹ In der Tierhaltungsverordnung steht, dass ein Schwein Material zur Verfügung haben muss, das es bewegen oder bekauen kann – ein natürliches Verhalten des ehemaligen Waldbewohners. Holz, Hanfseile oder Stroh zum Beispiel, schlägt die Verordnung vor. In vielen großen Ställen, kritisiert Martin Balluch, Obmann des Vereins gegen Tierfabriken, hänge aber nur ein dicker Ast an einer Eisenkette. Schnobern und wühlen ist damit unmöglich, die gesetzlichen Mindestanforderungen sind dennoch erfüllt. Bei den Tierwohl-Eigenmarken ist dagegen Stroh oder Heu als Einstreu und Beschäftigungsmaterial vorgeschrieben.
Für die teilnehmenden Bauern heißt der Umstieg auf das, was der Handel als ›mehr Tierwohl‹ verkauft, zweierlei. Einerseits: mehr Aufwand und mehr Kosten. Der Verein gegen Tierfabriken spricht von einem finanziellen Mehraufwand von 15 bis 30 Prozent pro Schwein für den Bauern. Werner Pail produziert exklusiv Tierwohl-Fleisch für Spar. Seine Tiere der Altrasse Duroc werden unter der Eigenmarke ›Tann Mühlenhof-Duroc-Schwein‹ in ausgewählten Märkten vertrieben. Pails Betrieb, der Mühlenhof im südsteirischen St. Peter am Ottersbach, hat 1.900 Mastplätze. Fünf Euro pro Mastplatz koste alleine das Stroh, fürs Ausmisten hat er einen Mitarbeiter eingestellt. Die Beschaffung des Strohs, das Gehalt – das fällt unter laufende Kosten für den Landwirt. Einen größeren Brocken machen Kreditraten aus. Viele Bauern nehmen einen Kredit auf, um Stall oder Strohlager um- oder neu zu bauen. Die Kredite können bis zu 30 Jahren laufen, die Abnahmegarantien der Handelsketten seien im Verhältnis dazu viel zu kurz, so Landwirtschaftskammer-Vertreter Marksteiner: Flaut der Tierwohl-Trend ab, so befürchtet er, bleiben die Landwirte auf massiven Investitionen für Produkte sitzen, deren Abnahme nicht gewährleistet ist. Bauern, die für die Tierwohl-Eigenmarken produzieren, erhalten aber andererseits auch mehr für ihre Produkte. 30 Prozent Zuschlag zum üblichen Marktpreis pro Kilogramm gibt es für ›Fairhof‹-Bauern. Jene, die Schweine für die über Spar vertriebene Eigenmarke ›Gustino Stroh‹ produzieren, erhalten zehn Cent pro Kilo Schlachtgewicht als Prämie. Fast noch wichtiger: Sie erhalten auch Abnahmegarantien. Auf Nachfrage will Spar nicht nennen, wie lange man den Bauern die Abnahme ihrer Produkte garantiert, man spricht nur von langfristigen Partnerschaften. Fairhof-Bauern erhalten eine Garantie von fünf Jahren.
Der Umbau des Mühlenhofs auf einen Tierwohl-Betrieb kostete etwa 1,2 Millionen Euro, die laufend abbezahlt werden. Einen Vertrag über die Abnahme seines Fleisches hat Werner Pail nicht. Dennoch fühlt er sich von seinen Partnern – der Handelskette Spar und dem Schlachtbetrieb Steirerfleisch – gut unterstützt. ›Viele Bauern würden sich wünschen, diesen Weg zu gehen. Man will als Bauer auch nicht imagemäßig in ein Eck gestellt werden, in das man nicht gehört. Vor allem bei den Jungen merkt man das. Aber zuerst muss es der Markt fordern. In letzter Konsequenz ist man als Bauer auch Unternehmer‹, sagt Pail.
Denn das Schwein ist und bleibt ein Produkt, mit oder ohne Tierwohl – und eines mit kleiner Gewinnmarge noch dazu. Einen Euro und fünfzig Cent erhielt ein Landwirt im vergangenen Jahr pro Kilo Schlachtgewicht, erhob die Bundesanstalt für Agrarwirtschaft und Bergbauernfragen. Bessere Haltungsbedingungen heißt auch ein höherer Preis am Endprodukt. Bleibt die Frage: Ist der Konsument bereit, diesen zu bezahlen? Über ein Drittel der von ›Marktagent‹ Befragten antwortet mit ja. Bei der Gallup-Umfrage waren es gar 81 Prozent. Mit dem tatsächlichen Kaufverhalten habe das aber kaum etwas zu tun, meint Walter Lederhilger vom Verband Österreichischer Schweinebauern; nur geringe Preisaufschläge für Tierwohl-Produkte würden von den Konsumenten akzeptiert. Strohschwein-Programme, im Spar-Regal etwa mit ›Tann schaut drauf‹ gekennzeichnet, werden oftmals querfinanziert. In Oberösterreich werden zurzeit mehr Strohschweine aufgenomman, als vermarktet werden können. Liegt es als Schnitzel am Teller, schmecke man kaum, ob das Tier die Nase im Stroh, Außenbereich und doppelt so viel Platz hatte, oder nicht, meint Lederhilger.
Die Tierwohl-Initiativen begrüßt er dennoch, weil sie das Gesamtimage des Produktes Schweinefleisch verbessern würden. Die Tierschutzorganisation Vier Pfoten sieht in der Etablierung eines eigenen Tierwohl-Labels eine Möglichkeit, die Bedingungen für viele Schweine in der konventionellen Haltung zu verbessern. Und will der Konsument, dass die Tiere, deren Fleisch er kauft, mehr Platz haben, dann muss er das Tierwohl-Fleisch eben auch kaufen, dann erst können die Bauern umstellen. Das ist die marktlogische Sicht, aber sie hat Schwachstellen. Eine davon: Wenn der Handel selbst Tierwohl-Labels erstellt, gibt es keinen Grund, zumindest Teile der Haltungsbedingungen in der Tierhaltungsverordnung auf ein tiergerechtes Maß anzuheben. Eine eigene Tierwohl-Marke bedeutet für die Handelsketten erst einmal einen Vorteil. Sie können sich von der Konkurrenz abgrenzen, können dadurch Kunden binden. Für den Verbraucher heißt das vor allem Unübersichtlichkeit. ›Für die Konsumenten ist es sehr schwierig, produktbezogene Vergleiche anzustellen‹, konstatiert etwa die Abteilung Konsumentenschutz der Arbeiterkammer. Und in der öffentlichen Diskussion kann ein solcher Prozess auch den Begriff entleeren, wie es etwa bei ›Nachhaltigkeit‹ bereits geschehen ist.
Ein anderer Weg wären staatliche Tierwohl-Labels, Dänemark hat ihn schon eingeschlagen. Seit zwei Jahren finden Dänen ein staatliches Siegel auf Schweinefleisch im Supermarkt. Es wurde unter Mitarbeit von Tierschutzforschern entwickelt und weist in drei Stufen jeweils verbesserte Haltungsbedingungen aus. Das Siegel wurde gut angenommen, rund die Hälfte der Dänen kennt es, zwei Drittel davon vertrauen ihm. Und auch Deutschland hat ein Gesetz für ein staatliches Tierwohl-Label verabschiedet. Ab 2020 soll es in Supermärkten zum Einsatz kommen. Verstanden wird es als Anreizprogramm, als eine Art Auszeichnung für Landwirte, für die die Teilnahme freiwillig ist.
Wäre dieser Weg nicht auch für Österreich denkbar? Aus dem Ministerium für Nachhaltigkeit und Tourismus heißt es dazu lapidar: ›Wer österreichische landwirtschaftliche Produkte kauft, kann davon ausgehen, dass höchste Tierwohlstandards eingehalten werden.‹ Das entspreche auch dem Ruf Österreichs als ›Feinkostladen Europas‹. Das Bundessozialministerium kann sich eine Weiterentwicklung des AMA-Gütesiegels zwar vorstellen, ein staatliches Kennzeichen aber nicht. Denn das benötige auch Ressourcen für Marketing, Verwaltung und Kontrolle, was nicht Aufgabe der Behörde sei.
Mit wem man für diese Geschichte auch spricht: Eigentlich wollen alle tiergerechtere Haltungsbedingungen, oder behaupten es zumindest. Die verantwortlichen Stellen aber spielen den Ball dem Endkonsumenten zu, der bei jedem Einkauf vor einer ethischen Entscheidung steht. Dabei kämpft er sich durch ein Dickicht an Kennzeichnungen, die ihm allesamt zu versprechen scheinen, dass das Tier, das er verzehren wird, ein glückliches Leben hatte. Für ein wahrhaft tiergerechtes Leben müssen aber eine Vielzahl an Bedingungen zusammenspielen. Ein bisschen mehr Platz und Stroh? So einfach ist es nicht. Und die, die es am besten beurteilen können – die Millionen österreichischen Schweine – haben in diesem Prozess als einzige kein Mitspracherecht.