Öffnet die Ställe!

Warum das Verhältnis zwischen Mensch und Nutztier so zerrüttet ist und was sich dagegen tun ließe: ein Erklärungsversuch.

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Illustration:
Deborah Sengl
DATUM Ausgabe Oktober 2019

Wenn man diesen Herbst durchs ländliche Österreich fährt, mit Auto, Zug oder Fahrrad, sieht man: Hügel, Wälder, Felder, begegnet hie und da einem Traktor. Was hingegen kaum zu sehen ist, auf den Weiden, das sind Tiere. Vielleicht noch Schafe oder Pferde. Aber wo sind all die Kühe, deren Milch wir täglich für unsere Cappuccinos aufschäumen? Früher wischten sie als braun-weiße Tupfen im Grün am Zugfenster vorbei. Heute sind sie: verschwunden. Auch die Schweine und Hühner, deren Eier wir zum Frühstück wachsweich kochen, deren Fleisch wir zu Mittag in einer Schnitzelsemmel essen, sind nirgends zu sehen. Wo befinden sie sich? Indoor. Nutztiere werden heute überwiegend, oft ausschließlich, im Stall gehalten. Warum eigentlich? Wie? Und: Muss das so sein?

Wir Urbane, die die Ballungsräume bevölkern, fühlen uns als aufgeklärte Konsumenten: Wir wissen, so rosa wie für das ›Ja! Natürlich‹-Schweinderl ist die Welt für echte Bio-Ferkel nicht. Sie müssen sterben. Aber wir wollen und können es uns leisten, dass sie davor zumindest ein ›gutes Leben‹ hatten, so sagen wir. Deshalb kaufen wir ›bio‹ oder Produkte aus ›artgerechter Haltung‹. Als Statement. Die großen Handelsketten haben den Trend zum Tierwohl erkannt und bieten seit kurzem Fleisch aus ›fairer‹ Haltung an (siehe dazu auch Seite 20). Oder wir essen einfach kein Fleisch mehr, verzichten gar vollkommen auf tierische Lebensmittel. Und nehmen uns damit raus aus der Diskussion, aus einer Auseinandersetzung mit dem, was die industrielle Massenproduktion von tierischen Lebensmitteln sei: unnatürlich, unerträglich, unwürdig für Mensch und Tier und auch noch schlecht fürs Klima. 

Doch ob wir hinschauen oder nicht, ob wir Nein sagen zur Fleischsteuer oder Ja zum Tierschutzvolksbegehren, ob wir das Steak vom Biorind gern blutig essen oder lieber nur ein ›Salatblattl‹: Die überwiegende Mehrheit der Nutztiere in Österreich – bei den Schweinen 98 Prozent – lebt unter den Bedingungen der konventionellen Massentierhaltung. Was wäre unsere angemessene Haltung zum Schlachtvieh? Wäre seine artgerechte Haltung möglich – und sinnvoll? Wie sähe die aus? Und wären Vegetarier, die Weißwähler der Massentierhaltung, nicht ein wichtiges Korrektiv in der Diskussion darüber?

Diese Geschichte beginnt mit der kalten Realität der Zahlen. Immerhin, sie sind der Schlüssel zum Rätsel der verschwundenen Nutztiere: Der sogenannte Deckungsbeitrag – das, was dem Bauern nach Abzug aller Kosten pro Tier als Gewinn übrig bleibt – ist die beherrschende Größe, nicht nur in der kleinstrukturierten österreichischen Landwirtschaft, sondern in Nutztierhaltungen in aller Welt. Und passt so gar nicht in die Idylle, die wir Städter gerne im bäuerlichen Leben sehen. Dabei waren Bauer und Bäuerin immer schon auch Unternehmer, weibliche Tiere ihre Betriebsmittel: die Sau in der – so der Branchenbegriff – ›Ferkelerzeugung‹, die Kuh in der Milchproduktion, die Legehenne mit ihrem Ei. 

Heute müssen Landwirte genauer kalkulieren denn je. Die Preise tierischer Lebensmittel sind so niedrig, dass sie kaum die Produktionskosten decken. Die Zielgröße dafür, dass die Schweinemast gerade noch rentabel ist, heißt es in der österreichischen Bauernzeitung, betrage 25 Euro pro Schwein. 2018 entsprach der Deckungsbeitrag genau diesem Zielwert. ›Der Deckungsbeitrag ist der ökonomische Maßstab für die Produktionsqualität des laufenden Betriebes und ist in seiner Veränderung voll gewinnwirksam‹, heißt es dazu im Berechnungsformular auf der Website der Bundesanstalt für Agrarwissenschaft. Bedeutet: Es gibt in jedem Betrieb zahlreiche kleine Stellschrauben – Auslastung der Stallplätze, Futterverwertung der Tiere, Mistanfall, Tierarztkosten, aber auch die Qualitätskennzahlen von Milch, Fleisch, Ei –, die sich unmittelbar auf das Geschäftsergebnis auswirken. Der Bauer als Unternehmer trifft heute seine Entscheidungen also nicht bloß mit Blick auf die Tiere, sondern auf Basis von Produktionsdaten und Gesundheitsparametern, darauf bedacht, diese ständig zu optimieren.

Beim Tier passiert das etwa mit der Zucht hin auf Leistungssteigerungen: Bei Hühnern gibt es entweder ›Legerassen‹, gezüchtet auf ›Legeleistung‹, oder ›Broiler‹ (nach dem englischen Begriff für ›Brathuhn‹), die besonders schnell besonders viel Brustfleisch ansetzen und ihr Schlachtgewicht, das sie dann kaum noch auf den Beinen halten können, erreicht haben, bevor sie ein erstes Ei legen. Bei Kühen gibt es entweder ›Fleischrassen‹ oder ›Milchrassen‹, etwa die schwarz-gefleckte Holsteinkuh mit riesigem Euter, dafür hervorstehendem Beckenknochen, weil sie alle Energie auf die Milchleistung verwendet. Mittels Genom-Editierung werden hornlose Rinder erzeugt, die im Laufstall andere nicht verletzen können. Und besamt wird ohnehin fast ausschließlich künstlich, weil eine Zeugung durch ›Natursprung‹ ein zu wenig berechenbarer Faktor bliebe.

Auch die Ausstattung der Ställe begünstigt eine rationalisierte und weiter optimierbare Arbeitsweise. Ein illustratives Beispiel ist das Melkkarussell: Ist eine Kuh zum Melken bereit, betritt sie eine rotierende Plattform; die einzelnen Melkstände sind darauf im Kreis angeordnet. Kühe sind heute in größeren Beständen mit einem Transponder ausgestattet, integriert ins Halsband, der automatisch ausgelesen wird. Die Daten zu jedem Melkgang sowie relevante Kennzahlen der Milchqualität fließen ins stalleigene Computersystem. Für Bäuerin oder Bauer ergeben automatische Melksysteme – je nach Bestandsgröße – eine Zeitersparnis von ein paar Stunden pro Tag. Auch der Laufstall ist eine Optimierungsmaßnahme: Kühe werden nicht auf die Weide getrieben und fressen einfach das, was dort wächst. Es wäre nicht nahrhaft genug, um die geforderten Milchmengen zu erreichen. Stattdessen versorgt man sie unter Dach mit jener Nahrung, die die beste Futterverwertung garantiert: Silage, also mittels Milchsäuregärung haltbar gemachtes Gras, und Kraftfutter. Bei Schwein und Huhn ist wiederum Platz ein wichtiger Kostenfaktor: Werden weniger Tiere pro Quadratmeter gehalten als gesetzlich erlaubt, steigert das den Aufwand pro Tier um ein paar Cent – und verringert den Deckungsbeitrag. So läuft alles auf die ›Intensivtierhaltung‹ hinaus.

Österreichische Landwirte mit ihren – im Vergleich etwa zu deutschen oder niederländischen Betrieben – kleinen Tierbeständen sehen sich dabei einer Industrie gegenüber, die die Professionalisierung in ihrer Branche gesteigert hat, ihnen aber auch einiges abverlangt. Sie haben nicht viele Möglichkeiten. Viele geben auf. Besonders viele Schweinebauern: Im Jahr 2000 waren es in Österreich noch knapp 63.900, 2016 nur noch 26.400; parallel dazu hat sich die durchschnittliche Bestandsgröße pro Hof allerdings von 27 Schweinen im Jahr 1991 auf 119 im Jahr 2017 vergrößert. Manche Bauern stellen auf Bio-Landwirtschaft um, womit sich der Fokus aber nur geringfügig weg von der Leistungseffizienz verschiebt. Und wieder andere sind bereit, sich zu spezialisieren, zu wachsen, die Produktion zu intensivieren, dabei sehr effizient zu wirtschaften und beständig zu optimieren. Die Investition in ein Melkkarussell etwa rentiert sich nur, wenn der Tierbestand entsprechend groß ist, der Effekt der ›Economy of Scale‹ zeigt hier ab 100 bis 150 Tieren seine Wirkung. Dazu fördert die EU Landwirte mit Direktzahlungen pro Hektar, was diese zu Übernahmen ermuntert. Erst seit 2013 gibt es auch Förderungen für Jung- und Kleinbauern, um dem Hofsterben entgegenzuwirken. Ob uns diese Entwicklungen gefallen oder nicht: Sie führen zu einem Strukturwandel.

Auf der anderen Seite hat die Haltung größerer Tierbestände auch Vorteile. Konsumenten profitieren von rigideren Kontrollen der Lebensmittelqualität, Bauern von der Zeitersparnis durch Rationalisierung, teils werden sogar die Bedürfnisse der Tiere besser gestillt: Die Bewegungsfreiheit der Milchkuh im Laufstall etwa bereichert ihr Sozialleben. Durch die elektronische Datenerfassung der Tiere und Tierprodukte entfernen sich Bäuerin und Bauer zwar von ihrem Vieh, werden aber zum Beispiel auch automatisch darauf aufmerksam gemacht, wenn ein Gesundheitsindikator eines Tieres auffällt, eine hohe Zellzahl in der Milch etwa auf eine für die Kuh sehr schmerzhafte Euterentzündung hindeutet. So ist sogar das Verhältnis zwischen Bauer und Tier heute unpersönlicher und gleichzeitig optimierter. 

Für uns, die wir Lebensmittel tierischen Ursprungs zu uns nehmen, sind die Vorgänge in den Ställen höchst intransparent. Um heute in einen industriell produzierenden Schweinestall zu gelangen – was kaum ein Schweinebauer zulässt –, muss man durch eine Hygieneschleuse, duschen und einen Einwegoverall anziehen, um keine Krankheitserreger einzuschleppen, weil Tiere und Stallklima so empfindlich sind. Und viel mehr als das wissen wir dann auch schon gar nicht mehr über die Leben unserer Nutztiere. Wir bemerken bloß, dass wir nicht (mehr) mit ihnen in Berührung kommen. Anders gesagt: Es gibt kaum Kontaktzonen mit ihnen. Wann sind Sie zum letzten Mal – oder überhaupt je – einem Schwein begegnet, haben es über längere Zeit beobachtet, ihm ins Auge geschaut, sich mit ihm auseinandergesetzt?

Es gibt eine Sportart namens Agility, an der Zweierteams teilnehmen können, bestehend aus Mensch und Hund. Dabei muss der Hund einen gesetzten Parcours absolvieren, sein menschlicher Partner signalisiert ihm mittels Körpersprache oder akustischer Signale, in welcher Reihenfolge er die Hindernisse am schnellsten überwindet. Aus der Teilnahme an solchen Wettbewerben mit ihrer Hündin Cayenne schöpft die US-amerikanische Wissenschaftstheoretikerin Donna Haraway ihre Interspezies-Erfahrung. Sie beschreibt die Art des Zusammenspiels zwischen Mensch und Tier in der Kontaktzone ›Agility‹ als eine gegenseitige Beeinflussung dieser ›companion species‹. Dieses Spiel, das wir alle miteinander spielen, so Haraway, müsste eigentlich von Resonanz und Respekt geprägt sein. So entstünden gemeinsame Lebenswelten, in denen Aktionen nicht ausschließlich vom Menschen ausgehen, sondern jene der Tiere uns wesentlich beeinflussten. 

Wenn wir uns auf einen solchen Kontakt einlassen, dann verändert uns das. Die belgische Philosophin Vinciane Despret erläutert das anhand eines recht bekannten Beispiels: 1904 lebte in Berlin ein Pferd, das von allen der ›Kluge Hans‹ genannt wurde. Es hieß, der Wallach könne Rechenaufgaben lösen; war die Lösung etwa vier, klopfte er vier Mal mit dem Huf auf den Boden. Tatsächlich aber konnte er die unbewusste Körpersprache seiner menschlichen Aufgabensteller so gut lesen, dass er ihnen ansah, wann er oft genug mit dem Huf geklopft hatte – und diese aufatmeten. Damit nicht genug: Hans brachte den ahnungslosen Aufgabenstellern, die teils über längere Zeiträume mit ihm trainierten, seine eigenen Gesten bei – indem er auf körpersprachliche Ausdrücke der Menschen, die sich in diesen offenbar unbewusst dem Pferd anglichen, eher mit dem erwünschten Verhalten reagierte, als wenn sie sich strikt an ihre typischen Menschengesten hielten. Egal, dass Hans in Wirklichkeit nicht zählen konnte – er hat in der Kontaktzone des gemeinsamen Trainings etwas Bemerkenswertes erreicht: Er hat seine Besucher auf Pferde eingestellt, ihre Körper derart auf seine Bedürfnisse abgestimmt, dass sie eine gewisse Sensibilität für Pferde entwickelten. Sie wurden zu Pferdemenschen. Umgekehrt haben die Besucher das mit dem Pferd gemacht, was Menschen seit Jahrtausenden tun: es domestiziert, wie Despret schreibt, es ihnen also verwandter, ähnlicher gemacht. Vom Wildpferd zum Menschenpferd.

Despret und Haraway legen nahe, dass unser Verhältnis zu Tieren abhängig von der Qualität und Quantität der Kontaktzonen ist, auf die wir uns miteinander einlassen. Allerdings: Versuchen wir, dieses Sich-aufeinander-einlassen zu pflegen, also zu Tiermenschen zu werden, muss das nicht immer gelingen. Es kann langwierig und mühsam sein, dreckig oder – beim Überqueren mancher Kuhweide – sogar lebensgefährlich. Aber es bereichert unseren Erfahrungsschatz, öffnet uns die Augen für die Perspektiven anderer (Spezies) und verändert unser Verhalten und damit uns selbst.

Das führt uns zurück zum Alltag der Bäuerinnen und Bauern, die in der kleinstrukturierten österreichischen Landwirtschaft noch Kontaktzonen leben, tatsächlich wohl in den allermeisten Fällen Tiermenschen sind. Im Moment sind sie dazu gezwungen, der Kostenreduktion in der Tierhaltung und -produktion alles andere unterzuordnen, um über die Runden zu kommen. Deshalb werden nicht die Haltungsbedingungen an die Bedürfnisse der Nutztiere angepasst, sondern die Tiere an die effizientesten Produktionsbedingungen. Was würde sich ändern, wenn die Rentabilität ersetzt würde durch die Leitgröße einer verantwortungsvollen Beziehung zwischen Nutztier, Mensch und Umwelt? Das hieße nicht, dass jeder Stall zur Streichelzone werden müsste – die Versorgungssicherheit muss ja gegeben bleiben –, aber vielleicht zu einer Zone transparenter, verantwortungs- und zukunftsbewusster Kreislaufwirtschaft?

Angenommen, die Landwirte öffneten ihre Ställe: Was würden wir, die wir sonst unsere Augen vor der Massentierproduktion verschließen, sehen, wenn wir dem Tier und seinen Haltern ins Auge schauten? Mit dem Anspruch, uns in Kontaktzonen zu begeben oder sogar Tiermenschen zu werden? Deprimierend Schreckliches. Und unerwartet Vitales – es kann unter Umständen sogar ein Sich-Wohlfühlen in der industriellen Massentierhaltung geben. Nutztiere müssen unseren Erwartungen nicht entsprechen, etwa wenn wir uns vorstellen, alles Leben im Stall sei ›Leiden‹ und das Tier dort seiner ›Natürlichkeit‹ beraubt: Das gute Dutzend aufgeweckter Ferkel, die einander in der Abferkelbucht auf dem Plastikboden hin- und herjagen, widerspricht dem Bild; auch die Hochleistungskuh, die ihrem Gegenüber im Laufstall den Kopf leckt, ein Akt der sozialen Körperpflege. Umgekehrt erlebt man auch ganz andere Szenen: das Kalb, das nach der Geburt von der Mutter getrennt wird und in der Einzelbox an einer Plastikzitze seinen Milchaustauscher nuckelt; das Mastschwein, das aufgrund einer eitrigen Gelenksentzündung nicht laufen kann; das Broiler-Huhn, dem mit 5.000 anderen die Lichtanlage einen künstlichen Tag-Nacht-Rhythmus vorgibt. Und dann sind da noch die Bäuerinnen und Bauern, die ein gutes Auslangen finden wollen, und so gut wie möglich für ihre Tiere sorgen. Vielleicht noch besser, wenn es einmal im Monat einen Tag der offenen Stalltür gibt.

Anstoßen müsste eine solche Entwicklung hin zu mehr Transparenz die Politik; die gesellschaftliche Verantwortung kann nicht vollständig auf den Kaufentscheidungen einzelner Bürger basieren. Eine Herkunftsbezeichnung für Fleisch, Ei und Milch in verarbeiteten Produkten, auch in Spitälern und Kantinen, forderte im Wahlkampf sogar die ÖVP; auch die Rückverfolgung für Schweinefleisch wie schon beim Rindfleisch wäre sinnvoll. Die (den Grünen nahestehende) Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin empfiehlt in ihrem Agrar-Atlas 2019, mehr Fördermittel aus der Gemeinsamen EU-Agrarpolitik für ›besonders tiergerechte Haltungen‹ bereitzustellen. Derzeit würden aus dem dafür vorgesehenen Budget zur Förderung der ländlichen Entwicklung EU-weit nur 1,5 Prozent als Tierwohlprämien ausbezahlt; die Mittel fließen etwa auch in Landschaftspflege oder Tourismus. Müssten die Bauern selbst in bessere Haltungsbedingungen investieren, steigerte dies nur die Preise heimischer Tierprodukte – Stichwort Deckungsbeitrag. Das führe wiederum zu mehr Importen, für die in den Herkunftsländern oft deutlich niedrigere Tierschutzstandards gelten als in Europa. Auch eine höhere Mehrwertsteuer auf Fleisch würde Landwirt und Tier kaum etwas bringen, weil diese nicht zweckgebunden in verbesserte Tierhaltung re-investiert werden müsste.

Es bräuchte also eine gesellschaftliche Debatte, in der nicht Fleischesser mit dem Finger empört auf Veganer zeigen, sondern eine, die ergründet: Wie wollen wir in unser aller Interesse unser Verhältnis zum Nutztier gestalten? Wir könnten damit beginnen, unsere Vorstellungen von der ›artgerechten Haltung‹ der Tiere in ihrem ›natürlichen Umfeld‹ zu hinterfragen: Unsere Nutztiere haben sich im Zuge der Domestizierung uns angeglichen (und, mit Despret: wir uns ihnen!); in den vergangenen Jahrzehnten haben wir sie für die industrielle Massenproduktion zurechtgezüchtet beziehungsweise in jüngster Vergangenheit auch derart genetisch manipuliert, dass die Existenz mancher Arten außerhalb der Produktionszyklen undenkbar wird. So seien viele der domestizierten Tiere ihren wilden Verwandten heute intellektuell unterlegen, schreibt der Wiener Philosoph und Künstler Fahim Amir in seiner Schrift ›Schwein und Zeit‹, weil sie ihre Nahrung nicht mehr selbst suchen müssen. Bei der Stadttaube verhalte es sich genau umgekehrt. Sie hat sich emanzipiert und ist heute Akteurin in Debatten wie: Wem gehört eigentlich der öffentliche Raum? Darf sie denn das, die Taube? Ist das denn noch ›artgerecht‹?

Österreich ist derzeit Europas Musterbioland: Mit 22 Prozent hat die ökologische Landwirtschaft hier den größten Anteil an landwirtschaftlich genutzter Fläche, vor Schweden mit 17 Prozent. Mit einem Bekenntnis zu transparenter Tierhaltung könnte das Land sich weiter als Best-Practice-Beispiel positionieren. Eine Schlüsselfrage dabei: Wie ließe sich diese Entwicklung auch annehmbar für die Bauern umsetzen, die das Land prägen und sich stark mit ihren Betrieben identifizieren, ihre Existenz als davon abhängig sehen? Sie müssten in der Sorge vieler (Städter) ums Tierwohl unbedingt mitberücksichtigt werden; das Wohl des Tieres hängt ganz wesentlich vom Anspruch seines Halters ab. Was also wollen wir, dass die Landwirtschaft fürs Gemeinwohl leistet? In puncto Tierwohl, in puncto Erhalt der Kulturlandschaft, Klimawandel, Gewässerschutz oder Landflucht? Bäuerinnen und Bauern produzieren gemeinsam mit ihren Tieren derzeit strikt arbeitsteilig unsere Nahrung. Wäre es nicht an der Zeit, auf Augenhöhe mit ihnen in Kontakt zu treten? Sie könnten unser Leben verändern.