Weil du ein wunderbarer Autor bist
Mithilfe von KI und geschicktem Online-Marketing kann heute jeder Bücher verlegen. Besonders der Kinderbuchmarkt wird mit rührseliger Massenware geflutet. Autoren und Illustratoren wehren sich gegen die feindliche Übernahme ihres Metiers.
In der Amazon-Bestseller-Liste zu Kinderbüchern über den Holocaust sticht Platz Nummer fünf besonders ins Auge. Zwischen kunstvoll illustrierten Büchern wie den New York Times-Publikumserfolgen ›Who was Anne Frank?‹ und ›What was the Holocaust?‹ drängt sich dort Anfang April nämlich ›Ein wundervolles Mädchen, wie du es bist!‹ von Mia Steindl. Für einige Zeit befand es sich sogar an der Spitze.
Von der Shoah, also dem Mord an sechs Millionen Jüdinnen und Juden, ist in Steindls Buch allerdings keine Rede. Laut Produktbeschreibung liefert es stattdessen ›pädagogisch wertvolle Lektionen verpackt in sechs weihnachtlichen Mutmachgeschichten, die Botschaften über Mut, innere Stärke und Selbstvertrauen vermitteln‹.
Und noch etwas fällt auf: Mia Steindl, die vermeintliche Autorin des Kinderbuchs, hat am selben Tag, an dem das erste Buch erschien, auch ihr zweites und bislang letztes Werk veröffentlicht. Dabei hat sie im Titel das wunderbare Mädchen durch einen ›großartigen Jungen‹ ersetzt. Das Buch liegt auf Platz zwei in der Bestseller-Liste für ›Literatur über Drogenmissbrauch für Kinder‹. Und die beiden Umschläge, auf denen jeweils ein braunhaariges Kind mit Rehaugen vor einem Weihnachtsbaum sitzt, sehen so künstlich aus, als wäre dem Illustrator eine KI zur Hand gegangen.
Auf Amazon finden sich Dutzende Werke, die nicht nur ähnlich aussehen, sondern auch fast identisch heißen. Sie tragen Titel wie ›Weil du ein besonderes Mädchen bist!‹ oder ›Weil du ein wunderbares Mädchen bist!‹. Auch sie nehmen Spitzenplätze in den Bestseller-Listen ein – wieder in nicht zum Inhalt passenden Kategorien wie ›Gymnastik‹ oder ›Biografien der indigenen Bevölkerung in den USA‹. Und sie werden tausendfach verkauft.

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