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Wie es ist … aus der Ukraine geflüchtete Kinder zu unterrichten

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Fotografie:
Thomas Winkelmüller
DATUM Ausgabe Mai 2022

An meinem ersten Schultag hier in der Kleistgasse stieß mich die Direktorin nach einer herzlichen Begrüßung ins kalte Wasser. Zuerst zeigte sie mir die neue Klasse. 26 ukrainische Volksschulkinder aus vier Schulstufen, alle seit Kriegsbeginn geflüchtet. Nach einer kurzen Vorstellung wünschte sie mir viel Erfolg und schloss die Türe hinter sich. Eigentlich hatte ich mit einer ­Einschulung gerechnet. Ich wusste nicht, dass mein erster Tag in der Schule im März auch mein erster Unterrichtstag werden würde. 

Zum Glück hatte ich Stoff vorbereitet. Zettel mit deutschen Redewendungen wie ›Guten Tag‹ oder ›Woher kommst du?‹ zum Beispiel. Danach ließ ich die Kinder eine ukrainische und eine österreichische Fahne mit einem Herz dazwischen ­bemalen. Plötzlich bemerkte ich, dass einige mit den ­Nerven am Ende waren.

Sie hatten Angst, bald allein in eine deutschsprachige Klasse gehen zu müssen. Als ich 2014 von der Krim nach Österreich floh, passierte genau das meiner Tochter. Sie kämpfte sehr mit ihren fehlenden Deutschkenntnissen. Die Kinder in der Kleistgasse konnte ich, was das betrifft, beruhigen. Ich habe um Unterstützung gebeten und unterrichte sie seitdem mit einer zweiten Lehrerin alle gemeinsam. 

Vor allem in Fächern wie Mathematik hilft das, da wir Kinder unterschiedlichen ­Alters in ein und derselben Klasse unterrichten. Ukrainisch spreche nur ich. Das ist gut so. Wir wollen die Kinder Deutsch lehren. Dauerndes Übersetzen versuche ich deswegen zu vermeiden. Zum Beispiel sagen wir zuerst das Wort ›gelb‹ auf Deutsch. ­Verstehen es die Kinder noch nicht, zeigen wir auf Gegenstände in dieser Farbe. Erst wenn auch das nichts hilft, übersetze ich und sage ›жовтий‹. So lernen die ­Kinder leichter. 

Trotzdem: Seit ich hier unterrichte, höre ich zwei Sätze besonders häufig: ›Das habe ich nicht verstanden‹ und ›Ist das eh richtig so?‹. Vor allem die Jüngeren haben in der Ukraine gerade erst begonnen, kyrillische Buchstaben zu lernen. Sie können noch nicht einmal richtig ihre eigene Sprache lesen und schreiben. Es ist dementsprechend schwierig, ihnen Deutsch beizubringen.

Damit kommen wir zu der aktuell entscheidenden Frage. Lehren wir die Kinder bestmöglich Deutsch und bereiten sie für ein Leben in Österreich vor? Oder unterrichten wir sie wie in der ­Ukraine? Ich muss ehrlich sagen, noch versuchen wir beides gleichzeitig. Manche haben zusätzlich zu unserem Unterricht sogar noch Fern-Lehre aus ukrainischen Schulen. Ob die Kinder das annehmen oder nicht, obliegt ihnen und ihren Eltern. Niemand weiß, ob sie im September wieder in Kiew oder Odessa zur Schule gehen können.

Malen wie am ersten Tag lasse ich sie übrigens immer noch. Es fällt ihnen schwer, über ihre Gefühle zu sprechen. Zeichnungen helfen ihnen dabei. Und wir sehen einen positiven Wandel. Zu Beginn malten sie Kreuze und Motive von der Flucht oder dem Krieg. Immer öfter werden es ­Bilder ihres Zuhauses – des neuen in Österreich und des alten in der Ukraine. •

 

Zur Person:

Elina Pivovarcsuk (36) unterrichtet seit März an der Volksschule Campus Landstraße eine ukrainische Klasse. 26 Kinder aus den vier ersten Schulstufen lernen bei ihr. Pivovarcsuk floh bereits 2014 mit ihrem Mann und der gemeinsamen Tochter von der Krim aus nach Österreich, wo sie Deutsch lernte.

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