Wie es ist … von Benzos abhängig zu sein

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Fotografie:
Lens Kings
DATUM Ausgabe Juni 2024

Begonnen hat alles mit einer Google-Suche. Ich war 15 Jahre alt, lag im Bett meines Kinderzimmers. Meine Eltern stritten sich, und ich hatte gerade eine Panik­attacke. Nicht meine erste. 

Zu diesem Zeitpunkt litt ich schon seit ein paar Jahren an einer Angststörung. In der Schule wurde ich gemobbt, zu Hause geschlagen. Ich hätte dringend Hilfe gebraucht, war aber weit davon entfernt, welche zu bekommen.

Als ich also in meinem Kinderzimmer lag und die Schreie meiner Eltern hörte, wusste ich nicht mehr weiter. Ich nahm mein Handy und begann zu tippen: ›Was hilft gegen Panikattacken und Angststörungen.‹ Als Antwort spuckte die Suchmaschine den Namen ›Xanor‹ aus. Ein weit verbreitetes Benzodiazepin. Ich kann mich nicht mehr erinnern, ob dort damals ein Warnhinweis dabei stand, ich weiß nur noch, dass diese Tablette angeblich ­helfen sollte. 

Ein paar Tage später ging ich nach der Schule zu meinem Hausarzt. Er hörte sich kurz an, was ich zu sagen hatte, und verschrieb mir dann meine erste Packung Benzos, ohne eine einzige Rückfrage zu stellen. Es waren starke Tabletten, ein Milligramm pro Pille. Ich bekam keine Anleitung, keinen Rat, dafür aber ein stark abhängig machendes Medikament. Meine Eltern wussten nicht, dass ich bei unserem Arzt war. 

Zuhause nahm ich dann in meinem Kinderzimmer die erste Pille. Sie schmeckte bitter und ich schlief ein. Als ich aufwachte, waren alle Sorgen futsch, einfach weg. Am nächsten Tag habe ich wieder eine Tablette genommen. Am Tag darauf auch. Als ich drei Wochen später die letzte Pille aus dem Blister drückte, war ich bereits süchtig. Also holte ich mir eine neue Packung vom Hausarzt und brauchte bald zwei, drei und noch mehr ­Tabletten am Tag.

Ich habe damals circa zwei Euro und 50 Cent für eine ­Packung bezahlt. Benzos sind günstiger als die Rezeptgebühr und werden nicht von der Sozia­lversicherung erfasst. ­Deswegen weiß niemand, wie viele im Umlauf sind.

In den Jahren danach haben auch meine Freunde, aus Neugier oder weil es ihnen auch schlecht ging, begonnen, Benzos zu nehmen. Es war ein richtiger Trend. Weil nicht jeder einen Arzt hatte, der sie ihnen verschrieb, kauften sie Pillen um 20 bis 30 Euro vom Dealer.

Wir nahmen die Pillen, oft gemischt mit anderen Drogen, dann bei Freunden zu Hause oder in einer Parkgarage unter dem Karlsplatz. Dort war es warm, im untersten Stock stand nie ein Auto. ›Suicide is not a solution‹ habe ich dort einmal an die Wand gemalt. 

Ich habe trotzdem schon versucht, mir mit Benzos das Leben zu nehmen und nur knapp überlebt. Ein paar Leute, die ich kannte, hatten weniger Glück.

Mein Leben verlief die letzten Jahre auch nicht gerade gut. Ich bin von zu Hause wegge­laufen, hatte keinen Kontakt mit meiner Familie und war ein paar Monate obdachlos. Außerdem spüre ich die Folgen meines Benzo-Konsums. Ich vergesse schnell Sachen, weil sich mein Hirn nicht richtig ent­wickelt hat. Manchmal frage ich Freunde zehnmal am Tag dasselbe. Arbeiten fällt mir schwer.

Trotzdem schaue ich nach vorne. Ich lebe in einer Gemeindewohnung und suche nach einem Psychotherapieplatz. ­Außerdem will ich in ein Programm für teilbetreutes Wohnen kommen. Dann könnte mir jemand bei Terminen und meiner Alltagsbewältigung helfen. Und auch, wenn ich manchmal noch Rückfälle habe, bin ich von meinen schlimmsten ­Zeiten weit entfernt. •

Karina S. (20) ist seit circa fünf Jahren abhängig von Benzodiazepinen und hat eine Borderline-Persönlichkeitsstörung. Sie ist Gründungsmitglied der NGO ›Change for the Youth‹, mittlerweile aber nicht mehr Teil davon.

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