Wie es ist … von Wien aus Mädchen in Afghanistan zu unterrichten
Ich wollte immer etwas für die Frauen in Afghanistan tun. Ich bin in Kabul aufgewachsen, bevor meine Familie 2015 nach Österreich geflüchtet ist. Ich weiß, wie schlecht es um die Bildung von Mädchen im Land steht. Als vor eineinhalb Jahren die Taliban an die Macht kamen und die Schulen geschlossen wurden, habe ich eine Story auf Instagram gepostet. Ich wollte 50 Mädchen online unterrichten, um etwas beizutragen.
Gemeldet haben sich dann 300. Viele afghanische Studentinnen wollten als Lehrerinnen mithelfen, und ich wurde Direktorin. Ich hatte zwar keine Ahnung, wie man eine Schule leitet, trotzdem haben wir im April 2022 die Omid Online School – Omid heißt ›Hoffnung‹ – gegründet.
Als Lehrerin habe ich schon 2014 bei einem Bildungszentrum in Afghanistan Erfahrung gesammelt. Es war eine schöne, aber auch eigenartige Zeit. Anders als in Kabul sind in diesem kleinen Dorf Männer auf offener Straße mit Waffen herumspaziert. Musik war nicht erlaubt, Schminken tabu, und Mädchen und Buben durfte ich nur getrennt unterrichten. Es gab viele schräge Regeln. Mit 14 Jahren wurden die Mädchen aus der Schule genommen und verheiratet. Trotzdem haben sie jeden Tag motiviert gelernt.
Bei Omid habe ich zuerst auch unterrichtet, jetzt mache ich hauptsächlich organisatorische Arbeit. Am wichtigsten war uns immer, dass die Mädchen nicht von Gesellschaft und Bildung isoliert werden. In Telegram-Gruppen posten wir alle Infos für unsere 1.400 Schülerinnen. Es gibt einen Stundenplan und zehn Minuten vor jeder Einheit einen Link zum Video-Meeting. Der Fokus liegt auf Englisch und den naturwissenschaftlichen Fächern.
Ich treffe mich online mit den 14- bis 21-jährigen Mädchen einmal im Monat auch privat, da reden wir sehr viel miteinander. Es ist wie eine Familie, obwohl wir uns nie gesehen haben. Aus Sicherheitsgründen hat im Meeting niemand außer den Lehrerinnen die Kamera eingeschaltet und alle sind nur mit Vornamen eingeloggt. Manche Eltern ärgern sich, dass ihre Töchter jetzt die ganze Zeit am Handy sind, aber meistens unterstützen sie ihre Kinder.
Ein Onkel hat beispielsweise seine zwei Nichten bei uns angemeldet. Er hat ihnen dafür ein Smartphone und wir den Handytarif gekauft. Davor wussten sie nicht einmal, was das Internet ist, jetzt sind die zwei die Besten in unserer Online-Schule! Leider gibt es auch weniger schöne Geschichten. Eine andere Schülerin ist von zu Hause weggelaufen, weil ihr Vater sie verheiraten wollte. In Sprachnachrichten hat er seiner eigenen Tochter Messerstiche angedroht. Es war furchtbar. Ich habe sie dann finanziell unterstützt, damit sie eine Wohnung mieten kann. Sie lernt noch heute bei Omid.
Anfangs wollten die Mädchen nur einen Safe Space, jetzt soll ihr Zeugnis von Omid auch einen Wert haben. Dafür müssten wir die Schule offiziell beim Ministerium anmelden, aber die Taliban wollen eine Namensliste der Schülerinnen. Die kann ich ihnen natürlich nicht anvertrauen. Im Moment versuchen wir Omid bei einem Bildungsministerium im Ausland, vielleicht in Kanada, anerkennen zu lassen. So könnten unsere Schülerinnen der siebten Klasse auch in afghanischen Schulen in der siebten Klasse weiterlernen, falls die wieder für sie geöffnet werden. Das ist zwar momentan sehr unwahrscheinlich, aber morgen kann sich alles wieder ändern. Was die Taliban im Kopf haben, weiß ja niemand. •
Zur Person:
Die gebürtige Afghanin Zahra Hashimi (26) lebt seit 2015 in Österreich. Sie engagiert sich für Menschenrechte und hat die Omid Online School für Mädchen in ihrer alten Heimat mitbegründet.
Sie können die gesamte Ausgabe, in der dieser Artikel erschien, als ePaper kaufen:
Bei Austria-Kiosk kaufen